Ich vermisse die Ruhe
08.08.2025 PolitikMichael Dinter, Gemeindepräsident Läufelfingen, parteilos
Es mag makaber klingen, aber ab und an vermisse ich die Corona-Zeit. Alles war entschleunigt und ruhiger. Mittlerweile sind wir wieder in unserem «normalen Leben» angelangt. Vollgas heisst ...
Michael Dinter, Gemeindepräsident Läufelfingen, parteilos
Es mag makaber klingen, aber ab und an vermisse ich die Corona-Zeit. Alles war entschleunigt und ruhiger. Mittlerweile sind wir wieder in unserem «normalen Leben» angelangt. Vollgas heisst die Devise. Die Wirtschaft muss brummen, die Renditen müssen immer höher werden. Damit das alles funktioniert, muss die Arbeit noch effizienter getan, das Rentenalter nach oben gesetzt werden.
Zurück aus dem Urlaub in einem der schönen Länder Südeuropas muss ich sagen, es geht auch anders. Besucht man ausserhalb der Hauptsaisonzeit eines dieser Länder, lernt man, dass alles auch etwas langsamer und gemütlicher funktionieren kann. Die Leute finden Zeit, sich neben dem Beruf mit einem zu unterhalten und alles etwas gelassener zu sehen.
Ich hatte ein interessantes Gespräch mit einer unserer Ferienwohnungsvermieterinnen. Sie brachte an, dass sie seit vier Wochen auf den Elektriker warte. Dieser teile ihr jeweils mit, dass er morgen vorbeikomme und dies, wie bereits erwähnt, seit Wochen. Sie sei aber überzeugt, dass das Problem diesen Sommer noch beho- ben werde. Was für eine Aussage, bei uns undenkbar. Steht der Handwerker nicht schon am Tag nach dem Anruf vor der Türe, ist er unfähig und hat keinerlei Interesse an einem guten Service.
In der heutigen Zeit, da Präsidenten als Diktatoren und andere als narzisstische Wirtschaftskriminelle fungieren, da Konflikte ohne jede Scham und ohne Respekt gegenüber dem Leben ausgetragen werden, da soviel Leid über die Welt gebracht wird, wäre es doch wieder angebracht, etwas innezuhalten und überlegter zu handeln.
Nicht, dass ich mir Corona an sich zurückwünschen würde; auch nicht den eingeschränkten Kontakt zu den Mitmenschen. Aber vermissen wir nicht alle diesen Moment, als es ruhiger wurde, als alles entschleunigte? Weniger Kondensstreifen am Horizont, mehr Ruhe! Wer wünscht sich nicht mehr Zeit, um etwas überdenken zu können, bevor eine Antwort erwartet wird. Ein etwas langsameres Arbeiten, dafür wieder in einer hohen Qualität. Ist das Ziel wirklich immer grösserer Wohlstand? Sind wir hier in unserem Land nicht auf einem Level angelangt, auf dem nur noch über Luxusprobleme gesprochen wird?
Wenn ich die Themen unserer Politiker anschaue, sind wir genau so weit. Zudem sind wir erpressbar geworden durch Globalisierung und Abhängigkeiten. Dafür leidet unsere Lebensqualität und es kommt zu immer mehr Burn-outs und anderen psychischen Erkrankungen, von denen unsere Eltern noch nie gehört hatten, und somit zu Druck, diese Leute aufzufangen, zu versorgen und in die Moderne einzugliedern. Es ist Zeit, sich wieder Zeit zu nehmen!
Dies kann jeder selbst auf seine eigene Art und Weise tun. Den Druck des Tagesgeschäfts wieder etwas herausnehmen. Nicht sofort und emotional auf ein Schreiben antworten, das man erhalten hat, sondern sich besinnen und überlegt antworten. Sich Zeit nehmen, bewusst etwas tun, das einem Spass macht. Die Zeit mit dem Partner geniessen und sich dabei Zeit füreinander nehmen. In diesem Sinne und mit einem alten Spruch: Nehmt Euch Zeit und nicht das Leben!
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.