«Ich musste immer für den Fussball kämpfen»
10.01.2025 BaselPermi Jhooti wurde im Jahr 2000 in England die erste Profifussballerin mit asiatischem Hintergrund. Ihre Geschichte diente dem Film «Kick It Like Beckham» als Inspiration. Heute lebt die 53-Jährige in Basel, wo sie als Ambassadorin der Frauen-EM engagiert ist.
Luana ...
Permi Jhooti wurde im Jahr 2000 in England die erste Profifussballerin mit asiatischem Hintergrund. Ihre Geschichte diente dem Film «Kick It Like Beckham» als Inspiration. Heute lebt die 53-Jährige in Basel, wo sie als Ambassadorin der Frauen-EM engagiert ist.
Luana Güntert
Frau Jhooti, dieses Jahr findet die Fussball-Europameisterschaft der Frauen in der Schweiz statt. Was bedeutet das für Sie?
Permi Jhooti: Ich freue mich sehr darauf. Einerseits, um meinen Freunden und ganz Europa so meine Heimat Basel zeigen zu können. Andererseits wird der ganze Anlass eine tolle Sache. Die Schweiz steht jedoch auch in der Verantwortung und hat noch nicht genug für dieses Turnier getan.
Wie meinen Sie das?
Neben der ganzen logistischen Organisation müssen wir uns nun darum kümmern, dass der Anlass von der in- und ausländischen Bevölkerung wahrgenommen und als attraktiv angesehen wird, um Fussballfans zu uns holen zu können. Nur so kann Stimmung aufkommen. Das sind wir den Spielerinnen schuldig. Hier haben wir noch einiges zu tun. Ich hoffe, dass ich in diesem Bereich als Botschafterin meinen Teil beitragen kann.
Was wird Ihre Aufgabe als Botschafterin sein?
Ich habe noch keine Ahnung, was ich in Basel als Botschafterin machen soll. In der Zwischenzeit treibe ich einige persönliche Ideen rund um das Singen und das Motivieren des Publikums an, was es bedeutet, Teil einer fröhlichen Menge zu sein. Aber dazu kann ich im Moment noch nicht viel sagen, solange es nicht feststeht.
Wie war das damals, als Sie als indisches Mädchen im nordenglischen Preston mit dem Fussballspielen begannen?
Damals gab es für Mädchen und Frauen erst wenige Möglichkeiten, also spielte ich in unserem Garten. Ich habe die damalige Zeit noch lebhaft in Erinnerung. Ich war sehr schlecht und mein Bruder hat mich immer ausgelacht, als ich regelmässig über meine eigenen Beine gestolpert bin. Später trat ich dann einem Mädchenteam bei, musste aber zu Hause immer dafür kämpfen. Besonders als ich nicht mehr Schach spielen wollte und meine Eltern mir nach dieser Entscheidung das Fussballspielen verbieten wollten.
Und trotz dieses Widerstands haben Sie weiter Fussball gespielt …
Ja. Mein ganzer Einsatz, dass ich Fussball spielen darf, repräsentiert den Kampf, den ich schon mein ganzes Leben austrage. Ich war schon immer dem Rassismus und den Regeln meiner Eltern ausgesetzt.
Ihre Geschichte als Profifussballerin mit asiatischem Hintergrund in England war Inspiration für den Film «Kick It Like Beckham». Wie viel davon entspricht der Wahrheit?
Die Charaktere und die «Side Storys» sind alle erfunden. Auch die Botschaft der Geschichte ist meiner Meinung nach sehr vereinfacht dargestellt. Dass indische Eltern streng sind, ist eher ein Klischee. Denn es ist mehr als das. Es ist nicht so, dass meine Eltern mir den Fussball verboten haben, weil sie nicht wollten, dass ich Sport mache oder modern bin oder so.
Was war dann der Grund?
Angst und die Liebe zu den Kindern. Meine Eltern kamen als erste Generation nach England, sie waren arm und dem Rassismus ausgesetzt. Wir mussten als Familie in einem neuen Land überleben, Hobbys hatten da keinen Platz. Sie wollten uns Kindern ein besseres Leben und eine Ausbildung ermöglichen. Wenn unsere Umstände anders gewesen wären und meine Eltern somit gewusst hätten, dass «die Zukunft gesichert ist», hätten sie sicher nichts gegen meine Liebe zum Fussball gehabt. Das kam im Film nur in einer Szene vor: Als der Vater der Tochter von seinen Erfahrungen mit Rassismus im englischen Cricket-Klub erzählte. Er wollte sie vor solchen Erfahrungen schützen und war deshalb anfangs gegen das Fussballspielen.
Sie mögen den Film also nicht?
Zu Beginn tatsächlich nicht. Irgendwann habe ich aber verstanden, dass der Film – auch wenn er nicht der Realität entspricht – dafür gesorgt hat, dass über Themen wie Rassismus und Frauensport konstruktiv diskutiert wurde.
Werden Sie immer noch auf den Film angesprochen?
Oft sogar. Eigentlich wollte ich das aber vermeiden. Als die Dreharbeiten begannen, reiste ich extra nach Neuseeland, um bloss nicht für eine Gastrolle im Film aufgeboten zu werden (lacht).
Noch immer hört und liest man zum Frauenfussball Kommentare wie «Jedes 4.-Liga-Spiel ist spannender» oder «Wenn ich Frauen herumrennen sehen will, gehe ich an eine Modeschau». Wie begegnen Sie Menschen, die sich so äussern?
Mit Ignoranz. Idioten gibt es überall. Alle, die ein bisschen intelligent sind oder etwas von Fussball verstehen, wissen, dass auch Frauen Fussball spielen können. Solchen Menschen muss man mit so wenig Respekt begegnen wie sie es dem Frauenfussball gegenüber tun.
Warum richten sich solche Kommentare immer an Fussballerinnen und nie an Turnerinnen, Tennisspielerinnen oder Schwimmerinnen?
Weil Fussball so bekannt ist und dieser Sport viel mehr Menschen bewegt. Ich habe festgestellt, dass Frauenfussball in jenen Ländern, in denen die Männer in anderen Sportarten erfolgreicher sind, viel populärer ist. Zum Beispiel ist das neuseeländische Männer-Rugby-Team sehr gut und dort somit das Frauenfussballteam viel mehr respektiert. Für mich haben solche Respektlosigkeiten gegenüber dem Frauenfussball mit Angst zu tun – Angst, dass der Männerfussball an Popularität einbüssen könnte. Umgekehrt war das ja genauso.
Was meinen Sie?
Vor mehr als 100 Jahren erlebte der Frauenfussball in England einen Aufschwung. Während des Ersten Weltkriegs spielten dann hauptsächlich Frauen – verständlicherweise. Danach prosperierte der Sport unter den Frauen noch mehr. 1920 fand ein Spitzenspiel zwischen zwei Frauenteams mit 53 000 Zuschauern im Stadion statt. Wenn also jemand meint, dass Frauenfussball keinen interessiert, muss ich sagen: «Doch! Er interessierte eben sehr viele!» Doch nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen dann die Männer das Fussballgeschehen wieder und wir Frauen sind immer noch dabei, uns in dieser Sportart wieder durchzusetzen. Aber ich bin auch stolz, dass sich in den vergangenen Jahren viel getan hat und es heute für Mädchen und Frauen viele Möglichkeiten gibt.
Worin unterscheidet sich der Frauen- vom Männerfussball?
Ich finde diese Vergleiche immer etwas schwierig. Als Zuschauerin schätze ich es aber, dass Frauen weniger schauspielern während der Spiele: Selten wälzt sich jemand theatralisch am Boden, ohne wirklich Schmerzen zu haben. Auch negative Begleiterscheinungen, die dieser Sport bei den Männern mit sich bringt, gibt es im Frauenfussball in einem viel kleineren Ausmass: Hooligans, Hass auf andere Fans oder Schlägereien.
Zurück zur EM im Sommer. Die Schweiz trifft in den Gruppenspielen auf Finnland, Island und Norwegen. Wie schätzen Sie die Chancen des Teams ein?
Alle diese Teams sind gut. Zudem ist an einem Grossanlass alles möglich, das hat sich ja schon öfter gezeigt. Jedes Spiel beginnt bei 0:0. Ich möchte mich bei dieser Gruppe nicht aus dem Fenster lehnen und keine Prognosen abgeben.
Und auf welches Team würden Sie in Sachen EM-Titel wetten?
England. Dies aus rationalen und emotionalen Gründen (lacht).
Selber waren Sie nie Nationalspielerin. Warum?
Als junge Spielerin war geplant, dass ich für Indien auflaufen werde – das Heimatland meiner Eltern. Aber dann hatte ich eine schlimme Verletzung und mein Verein in London hat sich von mir abgewandt. Dies und der mangelnde Glaube, dass ich wieder spielen würde, gaben mir die Entschlossenheit, alles zu tun, um wieder fit zu werden und zu spielen. Und dann wurde ich Profi. Danach habe ich jedoch etwas von meiner Liebe zum Spiel verloren. Wenn man fast stirbt, wenn man für sein Team kämpft und sieht, dass die Loyalität nicht da ist, ist es schwer, wieder mit einer solchen blinden Loyalität zu spielen. Somit war auch das Nationalteam keine Option mehr für mich.
War es für Sie nie ein Thema, für England zu spielen?
Für mich war immer nur das indische Team eine Option. Nach meinem Unfall hat sich etwas in mir verändert. Ich nahm den Vertrauensverlust sehr persönlich.
2022 wurde die Frauen-EM in England ausgetragen. Waren Sie vor Ort?
Nein, ich verfolgte die Spiele mit Freunden im Fernsehen. Stadionbesuche sind nicht so mein Ding – da bin ich etwas speziell.
Welches ist Ihr Lieblingsteam?
Auch hier bin ich sehr untypisch, vor allem für eine Person, die in England aufgewachsen ist: Ich habe keines. Bei Länderspielen drücke ich England und der Schweiz die Daumen. Falls die beiden verlieren, bin ich aber nicht traurig. Das hat viel mit meiner Hautfarbe zu tun und meinem Aufwachsen mit rassistischen Erfahrungen: Ich kann etwas unterstützen, aber nicht gegen etwas sein. Mir geht es als Fussballfan hauptsächlich darum, gute Spiele zu sehen. Diesen Gedanken hatte ich auch schon als Spielerin in mir. Es ging mir nie ums Gewinnen, sondern darum, mein Bestes zu geben und gemeinsam mit dem Team ein gutes Spiel zu zeigen.
Einige der Spiele werden in Basel ausgetragen, wo Sie seit fast 20 Jahren leben. Was bedeutet Ihnen Basel?
Es ist meine neue Heimat geworden. Ich liebe die Stadt und die Menschen hier. Ich hoffe auch, dass die EM dabei hilft, den Fussballfans Basel und die tollen Menschen hier näherzubringen. Im Ausland wird die Schweiz oft mit Bergen und Seen in Verbindung gebracht und Städte wie Basel gehen etwas unter – zu Unrecht.
Vermissen Sie in Basel etwas von England?
Ein bisschen das Selbstbewusstsein, das England hat. Wir brauchen mehr Vertrauen in uns selbst und unsere Menschen hier. Als multikulturelle Stadt fehlt mir auch etwas der Ehrgeiz, international mit anderen Städten mithalten zu wollen. Wir müssen uns nicht verstecken und können mehr.
Zur Person
lug. Permi Jhooti wurde 1971 als Tochter indischer Einwanderer in London geboren und wuchs in Preston, einer Stadt im Nordwesten Englands, auf. Im Jahr 2000 wurde sie in England die erste Profispielerin mit asiatischem Hintergrund. Während ihrer Profikarriere spielte Jhooti für Fulham und Chelsea. Seit 2005 lebt Jhooti in Basel. Ihr Mann hatte damals eine Stelle bei der Novartis angetreten. Selber arbeitet Jhooti heute als Programmiererin, zudem ist sie als Künstlerin im Tanzbereich tätig und kann als Rednerin für Auftritte gebucht werden. Für die Fussball-Europameisterschaft diesen Sommer ist sie als Ambassadorin aktiv.