«Ich finde diese Tendenz fragwürdig»
28.11.2025 SchweizStänderätin Maya Graf übt Kritik am Sparpaket und am Vorgehen des Bundesrats
Die geplanten Ausgabenkürzungen des Bundes seien kontraproduktiv und gingen zulasten der Bürger, warnt die Baselbieter Ständerätin Maya Graf (Grüne). Ausserdem ...
Ständerätin Maya Graf übt Kritik am Sparpaket und am Vorgehen des Bundesrats
Die geplanten Ausgabenkürzungen des Bundes seien kontraproduktiv und gingen zulasten der Bürger, warnt die Baselbieter Ständerätin Maya Graf (Grüne). Ausserdem plädiert sie für die EU-Verträge und wirksame Massnahmen gegen Pfas-Chemikalien.
Janis Erne
Frau Graf, das Sparprogramm des Bundesrats wird ab Montag im Ständerat diskutiert. Wie blicken Sie auf diese Debatte?
Maya Graf: Das Sparpaket ist schädlich und unnötig. Der Bund will 2028 und 2029 je bis zu 3 Milliarden Franken einsparen, ein Drittel davon bei den Kantonen. Diese monieren zu Recht, dass sie in den Prozess nicht einbezogen wurden und es zu einer Lastenverschiebung auf Kantons- und Gemeindeebene kommt. Erneut hat der Bundesrat eine externe Arbeitsgruppe beauftragt.
Wie beurteilen Sie dies?
Der Bundesrat neigt in jüngster Zeit dazu, Expertengruppen einzusetzen, die ihm ein fertiges Ergebnis präsentieren sollen. So spart er sich die «aufwendige» Zusammenarbeit mit den Kantonen und den sonstigen Betroffenen. Dieses Vorgehen ist nicht nur beim Sparpaket, sondern auch beim Verkehrskonzept von Albert Rösti oder im Verteidigungsdepartement bezüglich der Armee zu beobachten. Ich finde diese Tendenz fragwürdig: Sie widerspricht unserem föderalistischen Politikverständnis; zudem schiebt der Bundesrat seine Verantwortung ab. Wir haben in der Verwaltung genügend Fachleute, die solche Berichte erarbeiten können.
Was stört Sie inhaltlich am «Entlastungspaket 27»?
Kurzfristiges Zusammensparen bei Bildung, Forschung, Energiewende, Sozialem oder dem Regionalverkehr ist kontraproduktiv. Bildung und Forschung sind unsere wichtigsten Ressourcen. Wenn man dort kürzt, geht das langfristig an die Substanz unseres Wohlstands – besonders in der Region Basel. Auch andere für viele Menschen lebenswichtige Bereiche wie die Entwicklungszusammenarbeit wären vom Sparpaket betroffen.
Sie setzten sich in Kommissionen gegen Kürzungen ein. Wie genau?
Wir haben etwa Vertreter der Energiedirektorenkonferenz eingeladen. Diese warnten vor der Streichung des Bundesbeitrags für die erfolgreichen Gebäudeförderprogramme der Kantone: Die Klimaziele könnten nicht erreicht werden. Deshalb suchten wir in der Umwelt- und Energiekommission nach einem Kompromiss. Nun soll in diesem Bereich «nur» noch die Hälfte der Gelder gestrichen werden. Doch zuerst müssen die Finanzkommission und der Ständerat dem Antrag folgen. Es ist ein aufwendiger Prozess. Ich stehe im Austausch mit der Basler Ständerätin Eva Herzog, die Mitglied der Finanzkommission ist und versucht, das Beste für unsere Region herauszuholen.
Wenn Ausgaben nicht gekürzt werden, müssen Einnahmen erhöht werden. Was schwebt Ihnen vor?
Eine Möglichkeit wäre die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die vor allem grosse Finanzgeschäfte betreffen, die Konsumenten aber nicht unmittelbar belasten würde. Zudem hätte ich mir einen vernünftigen Gegenvorschlag zur Juso-Initiative gewünscht, etwa eine moderate Bundeserbschaftssteuer, die Firmennachfolgen ausklammert. Erhöhungen der Mehrwertsteuer oder der Lohnbeiträge müssen im Rahmen bleiben: Die Menschen dürfen nicht weiter belastet werden.
Als dritte Option wird eine Lockerung der Schuldenbremse vorgeschlagen. Was halten Sie davon?
Ich halte das für eine gute Idee. Die Schuldenbremse wurde nicht eingeführt, um Grundaufgaben des Staats infrage zu stellen, sondern um bei zusätzlichen Aufgaben auf die Finanzierung aufmerksam zu machen. Das aktuelle Sparpaket geht komplett zulasten der Menschen in unserem Land. Ohne Prioritäten und politische Zielsetzung werden überall Kürzungen vorgenommen und gar Aufgaben gestrichen. Man kann doch nicht zusätzliche Milliarden für die Armee ausgeben, ohne zu wissen, wie dies gegenfinanziert werden soll.
Auslöser für das Sparprogramm ist die seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine massiv verschlechterte Sicherheitslage in Europa. Das Parlament möchte die Armee besser ausstatten. Befürworten Sie das grundsätzlich?
Die Sicherheitslage ist besorgniserregend – nicht nur mit Blick auf Russland, sondern auch auf das Verhalten der USA. Die regelbasierte Weltordnung gerät ins Wanken. Dass man sich auch um die Armee kümmern muss, ist unbestritten. Es ist jedoch nicht akzeptabel, ohne eine gründliche Auslegeordnung einfach 1 Milliarde Franken jährlich ins Budget zu stellen. Im Verteidigungsdepartement befindet sich im Moment fast jedes Grossprojekt in Schieflage, es gibt horrende Mehrkosten. Als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission bekomme ich das hautnah mit. Die vielen ungeklärten Kosten- und Vertragsfragen bei der Beschaffung der F-35-Kampfjets sind nur das bekannteste Beispiel.
Experten warnen vor einer Verlagerung des Kriegs nach Westen. Welche Alternative, als die Armee auszurüsten, hätte es gegeben?
Es hätte eine gründliche Sicherheitsanalyse gebraucht: Zuerst aufräumen, dann gezielt investieren, statt der Armee pauschal so viel mehr Geld zu geben. Man hätte die Bevölkerung fragen können, ob sie ein Wehrprozent für die Armee finanzieren will. Das wäre ehrlicher gewesen. Zudem geht es auch um die soziale Sicherheit und die Stabilität im Innern des Landes.
Die Grünen wollen das Sparpaket dem Volk vorlegen – Sie auch?
Ja, ich unterstütze die Forderung meiner Partei. Zunächst wollen wir in den beiden Räten bis zur Frühlingssession jedoch das Beste herausholen.
Kommen wir zu den neuen EU-Verträgen. Das Paket umfasst 2000 Seiten. Haben Sie es gelesen?
Nein, noch nicht vollständig. Wir haben uns einzelne Verträge in den Kommissionen vorstellen lassen, etwa das Gesundheits- oder das Stromabkommen, die beide unsere Versorgungssicherheit stärken und wichtig sind.
Wie stehen Sie grundsätzlich zu den neuen Verträgen?
Ich unterstütze sie aus Überzeugung. Wir teilen mit unseren europäischen Partnern die gleichen Werte. Diese gilt es zu festigen – gerade weil die Demokratien weltweit unter Druck stehen. In einer solchen Lage müssen wir eng mit unseren verlässlichen Nachbarn zusammenarbeiten. Das stärkt unseren Wirtschaftsstandort und damit unseren Wohlstand.
Hat die Schweiz genügend herausgeholt in den Verhandlungen?
Wir haben ein sehr gut ausgearbeitetes Paket vorliegen. Es ist die Weiterentwicklung der erfolgreichen «Bilateralen» und auch künftig können wir über jede Gesetzesanpassung selbst entscheiden. Unsere Demokratie bleibt gewahrt. Ebenso bleiben der Lohnschutz und die flankierenden Massnahmen erhalten, die für die Arbeitnehmer und das Gewerbe in der Region Basel von grosser Bedeutung sind.
Warum sind die Verträge für unsere sonst noch wichtig?
Geregelte Beziehungen zur EU sind für unseren Hochschul- und Forschungsstandort zentral. Die Schweiz ist dank des Abschlusses der Verhandlungen wieder vollwertiger Teil von «Horizon» und «Erasmus+». Aber auch für die Wirtschaft wie die Pharmabranche ist die Aktualisierung der bilateralen Verträge wichtig. Sie bringt Rechtssicherheit, sichert unsere Grundversorgung mit den vielen Grenzgängern und baut weitere Handelsbarrieren ab.
Kritiker warnen vor einem fundamentalen Eingriff in die direkte Demokratie. Was entgegnen Sie?
Es ist dringend notwendig, die bestehenden Beziehungen zu unseren Nachbarn weiterzuentwickeln. Die Schweiz exportiert mehr nach Baden-Württemberg und Bayern als nach China. Wenn das EU-Abkommen langsam erodiert und US-Zölle die Firmen belasten, spüren das auch die Zulieferer und das Gewerbe bis ins Oberbaselbiet. Was den Vorwurf des Eingriffs in unsere Staatsform betrifft, so passen wir unser Recht bereits heute – ständig und souverän – an EU-Normen an. Das ist nichts Neues.
Könnte die EU über Ausgleichsmassnahmen nicht Druck auf unser Abstimmungsverhalten ausüben?
Die Schweiz muss nicht in allen Bereichen Musterschülerin sein. Wenn wir einen EU-Erlass ablehnen, hat das kaum gravierende Folgen. Schauen wir uns die EU-Staaten an, wie vielfältig dort politische Entscheide umgesetzt werden. Die EU ist kein Bösewicht, sondern ein Zusammenschluss von 27 demokratischen Staaten, die ein Interesse an pragmatischen und freundschaftlichen Beziehungen zur Schweiz haben.
Und was ist mit den «fremden Richtern», vor denen die SVP warnt?
Schon der Begriff ist ein Angstkonstrukt. Die Schweiz und die EU haben ein System vereinbart: Wenn in einem Streitfall Fragen zur Auslegung des EU-Rechts auftreten, bittet ein paritätisch zusammengesetztes Schiedsgericht den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine verbindliche Auslegung. Der EuGH legt dabei lediglich EU-Recht für diesen konkreten Fall aus. Er hat keine Kompetenzen, ein Schweizer Volks-Nein zu bewerten. Über das weitere Vorgehen, etwa mit Ausgleichsmassnahmen, entscheiden der gemischte Ausschuss oder das Schiedsgericht. Es ist also offen, welche Folgen eine Rüge durch den EuGH hätte.
Sind die Ängste der EU-Gegner also unbegründet?
Für mich überwiegen die Vorteile der «Bilateralen III» eindeutig. Ich verstehe nicht, weshalb sich gerade die SVP so vehement dagegen wehrt. Wenn die Wirtschaft leidet, spürt das zuerst die breite Bevölkerung und nicht die Millionäre, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Wir müssen an die junge Generation denken: Die Schweiz ist keine Insel, sondern mittendrin und in jeglicher Hinsicht eng mit Europa verflochten.
Die Frage nach dem Ständemehr wird als mögliche Vorentscheidung für das gesamte Vertragspaket betrachtet. Was ist Ihre Haltung?
Ich bin in diesem Fall klar gegen das Ständemehr. Entscheiden soll die Mehrheit des Volkes wie bei allen Abstimmungen über die «Bilateralen». Beim Ständemehr hätten die kleinen Innerschweizer Kantone quasi ein Vetorecht gegenüber den Grenzkantonen, die den Grossteil unseres Wohlstands erwirtschaften und auf geregelte Beziehungen zu den Nachbarländern essenziell angewiesen sind.
Kommen wir zum letzten Thema: Pfas. Wird die Gefahr durch diese Ewigkeitschemikalien unterschätzt?
Ja, das denke ich. Pfas ist ein Oberbegriff für eine Gruppe von mehreren Tausenden extrem stabilen, synthetischen Chemikalien mit wasser-, fettund schmutzabstossenden Eigenschaften, die jahrzehntelang eingesetzt wurden. Daher findet man sie fast überall: im Wasser, im Boden, in Lebensmitteln, in zahllosen Produkten und auch in unseren Körpern. Sie bauen sich nicht ab, sondern reichern sich in der Umwelt oder im Menschen an. Einige sind nachgewiesen, andere potenziell gesundheitsschädlich.
Sie haben einen Biohof. Inwiefern betreffen Pfas die Landwirtschaft?
Untersuchungen dazu laufen, die Unsicherheit unter den Bauernfamilien ist gross. In mehreren Kantonen werden derzeit die Pfas-Werte in Eiern, Milch und Fleisch ermittelt. Für die Region Basel kommt hinzu, dass hier früher Ackerland mit Pfas-belastetem Klärschlamm gedüngt wurde. Das Ausmass könnte verheerend sein. Noch weiss niemand, wie grosse Flächen möglicherweise saniert werden.
Auch das Grund- und Trinkwasser ist betroffen. Sie fordern eine Pfas-Abgabe für Unternehmen. Wieso?
Die Bewältigung der Pfas-Problematik wird Hunderte Millionen, wenn nicht sogar Milliarden kosten. Es braucht viel Forschung, Sanierungen und technische Massnahmen. Diese Kosten kann die öffentliche Hand nicht allein tragen.
Was ist sonst noch erforderlich?
Zunächst müssen wir die Pfas-Konzentrationen in den verschiedenen Bereichen kennen. Dann sind Grenzwerte und eine Deklarationspflicht für Produkte mit Pfas erforderlich, damit die Konsumenten wissen, was sie kaufen. Zudem müssen Böden saniert und Wasseraufbereitungsanlagen ausgerüstet werden. Ich hoffe, dass der Bundesrat bald ankündigt, mit einem Pfas-Aktionsplan eine Grundlage schaffen zu wollen.
Sind Sie zuversichtlich, dass wir das Problem in den Griff bekommen?
Das müssen wir! Aber es wird ein langer Weg, denn Pfas sind nicht die einzige Altlast, um die wir uns kümmern müssen. Die Feuerwehren haben bereits gezeigt, dass Lösungen möglich sind. Sie sind fast vollständig auf Pfasfreien Löschschaum umgestiegen.


