«Ich bin nie nicht nervös»
07.01.2025 ReigoldswilDominik Muheim blickt auf ein aussergewöhnlich erfolgreiches Jahr zurück. Das verdankt der 32-jährige Kabarettist aus Reigoldswil vor allem dem Gewinn des «Salzburger Stiers». Der Preis wirkt sich spürbar auf die Publikumszahlen aus, ermutigt ihn zu einer ...
Dominik Muheim blickt auf ein aussergewöhnlich erfolgreiches Jahr zurück. Das verdankt der 32-jährige Kabarettist aus Reigoldswil vor allem dem Gewinn des «Salzburger Stiers». Der Preis wirkt sich spürbar auf die Publikumszahlen aus, ermutigt ihn zu einer Vorwärtsstrategie und verhilft dem Künstler zu mehr Selbstsicherheit.
Jürg Gohl
Herr Muheim, Sie wurden 2024 mit dem «Salzburger Stier», der höchsten Auszeichnung der deutschsprachigen Comedy-Szene, ausgezeichnet. Da erübrigt sich die Frage nach Ihrer Bilanz zum abgelaufenen Jahr.
Dominik Muheim: Das stimmt. Ich arbeite inzwischen seit zehn Jahren in dieser Branche. Dabei gab es immer wieder Momente, in denen ich keinen klaren Kopf mehr hatte, weil ich in meinem Beruf immer auf verschiedenen Hochzeiten tanzen muss. Hier spielst du dein Programm, dann folgt ein Auftritt an einer geschlossenen Veranstaltung oder bei einem Workshop. Dazwischen produzierst du etwas fürs Radio. Da gab es schon Momente, in denen ich überfordert war.
Und dazu kommen noch Kolumnen für die «Volksstimme».
Richtig. Doch Kolumnen haben den Vorteil, dass sie mich für meine Programme inspirieren. Auf der Bühne bin ich ja nichts anderes als ein Geschichtenerzähler.
Sie sprechen von Überforderung. Die muss ja nach dem Wirbel um Ihre Auszeichnung noch extremer ausgefallen sein.
Überraschenderweise bin ich relativ gut durch die turbulenten Monate gekommen. Ich musste in den vergangenen Jahren viel Lehrgeld bezahlen. Nun habe ich gelernt, abzuschalten und ein Projekt nach dem anderen anzugehen. Ich erlaube mir heute, bewusst Ferien zu nehmen und mir Freizeit zu gönnen. So bin ich nicht mehr überarbeitet. Zudem versuche ich mich inzwischen nur auf die nächste anstehende Aufgabe zu fokussieren und arbeite nicht mehr an mehreren gleichzeitig.
Ist das auf den Gewinn des «Salzburger Stiers» zurückzuführen?
Indirekt sicher. Wie das viele andere Leute in der Branche auch erleben, plagten mich immer wieder Selbstzweifel. Selbstzweifel sind, wie Selbstkritik, nötig und wichtig, um sich überhaupt zu entwickeln. Bei mir nahmen sie aber ungesunde Züge an. Sie trieben mich an, immer weiter zu arbeiten – auch in der Nacht und in den Träumen. Mit dieser Auszeichnung und mit anderen Erlebnissen sank in diesem Jahr diese Unsicherheit. Auch deshalb erlebte ich 2024 als mein bestes Bühnenjahr. Ich vertraue mir und meinem Produkt weit mehr als früher.
Hat sich der «Salzburger Stier» auch in Ihrem Geldbeutel bemerkbar gemacht? Schliesslich müssen auch Künstler Miete bezahlen.
Es hätte sich wahrscheinlich positiv ausgewirkt. Aber: Ich investierte sehr viel in mein neues Programm. Die Auszeichnung motiviert mich, aufs Gaspedal zu treten und zum Beispiel mit der Regisseurin Nina Halpern zu arbeiten und mehr in das Bühnenbild, in die Grafik, die Werbung und in eine Produktionsleitung zu investieren. Jetzt braucht es Zeit, bis das investierte Geld wieder eingespielt ist. Ohne diese Ausgaben könnte ich auch auf ein finanziell erfolgreiches Jahr zurückblicken.
Folglich wirkte sich der «Stier» auch auf die Publikumszahlen aus.
Ja, das ist wunderbar. Ich verzeichnete noch nie so viele Zuschauende wie in diesem Jahr. Viele Veranstaltungen waren ausverkauft. Früher erlebte ich oft vor einem Auftritt in einem Kleintheater, dass ich vorgewarnt wurde, vor dünn besetzten Reihen zu spielen, weil der örtliche Unihockey-Club gleichzeitig ein wichtiges Spiel austrägt. Die gleichen Veranstaltenden melden mir heute schon früh: «Wir sind bereits ausverkauft. So viele Leute kamen noch nie.» Das abgelaufene Jahr fühlte sich für mich so an, als ob ich alles ernten kann, auf das ich in den vergangenen Jahren hingearbeitet habe.
Es ist anzunehmen, dass mehr Gäste auch zu zusätzlichen Engagements führen.
Ja, die «Soft Ice»-Tour wird länger und länger. Das freut mich extrem. Im nächsten Jahr darf ich ausserdem die Eröffnungsgala der Kleinkunstbörse im KK Thun moderieren. Das ist eine grosse Ehre. Und auf was ich besonders gespannt bin: Am 1. Februar macht der satirische Jahresrückblick «Bundesordner», von dem ich seit zwei Jahren Teil bin, zum ersten Mal in Liestal Halt. Die erfolgreiche Show des Casinotheaters Winterthur gibt es schon seit Jahren, sie war aber noch nie in unserer Region zu Gast.
Stufen Sie das Jahr auch unter dem künstlerischen Aspekt als Ihr bestes ein?
«Soft Ice» ist mein bisher bestes Programm. Das bestätigen mir auch die Reaktionen. Zudem reicht das Täfelchen «Salzburger Stier» um den Hals alleine nicht, um die Säle der Kleintheater auf Dauer zu füllen.
Ist der Kabarettist Dominik Muheim bereits auf seinem Zenit angelangt?
Ganz sicher nicht. Aber ich habe endlich das Niveau erreicht, auf das ich immer hingearbeitet habe. Und ich bin erstmals an dem Punkt angekommen, an dem ich den anderen sage: «Kommt und schaut mein neues Programm. Es ist nämlich gut.» Früher entschuldigte ich mich im Voraus für den Fall, die Gäste zu enttäuschen.
Trotz dieser zehn Jahre zählen Sie in der Szene noch zu den Jüngeren. Schauen Sie sich nach Möglichkeiten um, sich künstlerisch zu verändern?
Durchaus. Im «Elefantenhuus» in Liestal habe ich zum vierten Mal den «Winterzauber» zusammengestellt und war dabei quasi der Regisseur des Anlasses. Diese etwas andere Arbeit hinter der Kulisse reizt mich. Dort erlebte ich übrigens das Gleiche: Bei den ersten drei Programmen kehrte ich heim und studierte an Verbesserungen. Dieses Mal war ich lockerer und konnte auch mal abschalten, obschon uns nur zwei Probetage zur Verfügung standen. Es dreht sich immer um die gleichen Punkte: Plötzlich arbeite ich mit Routine und Selbstbewusstsein.
Routine birgt überall die Gefahr, eine Aufgabe zu unterschätzen. Aber wir wollen weiterhin diesen nervösen, etwas verhutschelten und unperfekten Dominik Muheim auf der Bühne sehen. Das ist Ihr Markenzeichen.
Keine Angst. Nicht nervös bin ich nie.
Wir kommen immer wieder auf das neue Selbstbewusstsein zu sprechen. Wirkt sich das auch auf Ihren Umgang mit anderen aus?
Definitiv. Wenn ich früher den Eindruck hatte, dass der Ton knistert oder die Beleuchtung schlecht war, schwieg ich. Schliesslich war ich froh, überhaupt auftreten zu können, und wollte nicht noch kompliziert tun. Heute melde ich Mängel an und stelle erstaunt fest, dass wegen meiner Verbesserungsvorschläge niemand wütend wird.
Hat sich «Soft Ice» seit der Premiere im vergangenen September in Liestal verändert?
Selbstverständlich. Die Geschichte ist natürlich die alte geblieben. Aber ich entwickle mein aktuelles Stück laufend weiter. Wer die Premiere besucht hat, bekommt heute etwas Anderes zu sehen. Dabei gehört es auch zum Handwerk, eine Pointe, in die ich mich verliebt habe, zu streichen, wenn sie nicht funktioniert. Scheitern gehört zu unserem Beruf – immer wieder.
Wird zum Beispiel in Luzern über anderes gelacht als in Basel?
Grundsätzlich ist jeder Abend anders – egal wo. Ich gewann einmal den Eindruck, dass mein Humor in und um Bern sehr geschätzt wird und dass sich dafür das Ostschweizer Publikum damit etwas schwerer tut. Doch mein letzter Auftritt in St. Gallen widerlegt diese Auffassung. Dort war das Publikum von Beginn weg voll dabei und sprang insbesondere beim schwarzen Humor an.
Wie geht es nach «Soft Ice» weiter?
Selbstverständlich studiere ich bereits jetzt an meinem neuen Programm und weiss, was ich alles besser machen will als im aktuellen. Der Weg geht weiter. Es geistert schon ziemlich konkret in meinem Kopf herum, auch wenn ich noch um ein, zwei Jahre Geduld bitten muss.
Wie müssen wir uns den Produktionsprozess vorstellen?
Für mich ist das immer wieder eine spannende Erfahrung. Eine lange Zeit arbeite ich an verschiedenen Strängen. Plötzlich finde ich den roten Faden, und das Schreiben erfährt eine neue Dynamik. Sie können es mit einem Spinnennetz vergleichen.
Wollen Sie uns bereits ein bisschen gluschtig machen?
Nein, Konkretes kann ich noch nicht sagen. Nur so viel: Es wird ein Thema sein, das uns alle beschäftigt. Und ich werde einfach wieder der Geschichtenerzähler sein. Das ist meine grosse Leidenschaft.
Das tönt jetzt aber nach einem ernsteren Stoff.
Ernsten Stoff humoristisch zu verarbeiten macht mir am meisten Spass.
Blickt der private Dominik Muheim auch auf ein gutes Jahr zurück? Darf man ihn überhaupt losgelöst vom Künstler betrachten?
Unbedingt. In der ersten Jahreshälfte lief ich am Anschlag, weil ich in Winterthur beim «Bundesordner» mitwirkte, einem satirischen Jahresrückblick, zudem auf Hochdeutsch einen radiotauglichen Beitrag für die Preisverleihung verfassen musste und mein neues Soloprogramm noch nicht fertig war. Da half mir die Erkenntnis, dass der Künstler und der Privatmensch zwei verschiedene Personen sind, sehr. Ja, auch der Privatmensch Dominik Muheim blickt auf ein gutes, in der zweiten Hälfte sogar sehr gutes Jahr zurück.
Zur Person
jg. Der 32-jährige Kabarettist und «Volksstimme»-Kolumnist Dominik Muheim ist in Reigoldswil aufgewachsen. Er arbeitete als Primarlehrer – daher vielleicht die vielen Kinderfiguren in seinen Programmen. Seit 2018 ist er hauptberuflich Künstler. 2024 erhielt er in Olten den «Salzburger Stier», den wichtigsten Kleinkunstpreis im deutschsprachigen Raum. Bereits 2015 wurde er im Rahmen der Oltner Kabarett-Tage als Nachwuchskünstler ausgezeichnet, zwei Jahre später folgte der kantonale Förderpreis. Dominik Muheim gehörte auch dem Kabarett-Team an, das einst im Radio SRF 1 die «Morgegschichte» las. Zuletzt trat er mit Lisa Christ, die in Wisen aufgewachsen ist und den «Salzburger Stier» 2025 erhält, bis Ende 2024 mit «Pflasterstein und Porzellan» auf. Ab dem 11. Januar wird er mit «Bundesordner» auf die Bühne treten. Danach setzt er die im September gestartete Tournee «Soft Ice», sein erstes Solo-Programm, fort.