Hübsche Serviertochter, schwarzer Mann und Kuratorin
10.01.2025 Sissach«Das ist Sissach» (2. Teil) | Geschichten von gestern und heute
Auch die Alteingesessenen von Sissach wissen nicht alles, was dieses Dorf ausmacht. Im zweiten Teil unserer Reihe beschreibt ein Oberdörfer, wie er als Durchreisender, Fussballfan sowie Kunst- ...
«Das ist Sissach» (2. Teil) | Geschichten von gestern und heute
Auch die Alteingesessenen von Sissach wissen nicht alles, was dieses Dorf ausmacht. Im zweiten Teil unserer Reihe beschreibt ein Oberdörfer, wie er als Durchreisender, Fussballfan sowie Kunst- und Kulturliebhaber Sissach erlebt hat und heute wahrnimmt.
Thomas Schweizer
Damals, als unsere Kinder noch klein waren, gab es weder den Chienbergtunnel noch den «Strichcode». Der ganze Verkehr rollte durch die Sissacher Hauptstrasse. Noch früher, als junger Bursche, begleitete ich gelegentlich meinen schwer behinderten Cousin Willy zu den Auswärtsspielen des FC Oberdorf. Fussball und Jassen waren Willys grosse Freuden neben der mühsamen Arbeit als Hilfsknecht auf einem Bauernhof.
Einmal waren wir in Sissach an einem Match. Nach dem Schlusspfiff – das Resultat des Spiels habe ich vergessen –, kam es in einem Wirtshaus zu einer turbulenten Szene. Natürlich war eine attraktive Serviertochter (so nannte man sie in früheren Zeiten), deren Namen ich auch vergessen habe, der Grund für ein spätes Ende, das uns beinahe in Sissach festgehalten hätte. Der schwarze Mann an der Hauptstrasse hingegen ist bis heute, wenn auch an anderen Orten, eine wichtige Figur geblieben, ein Vorbote der Weihnachtszeit sozusagen.
Nur ein Durchfahrtsort
Als Bub mit dem Zug, als Familienvater mit dem Auto: Sissach war für mich während vieler Jahre lediglich ein Durchfahrtsort auf dem Weg nach Gelterkinden, das für mich viel wichtiger war. Aber warum? Natürlich wegen meiner Frau Susanne, die dort aufgewachsen war. Eine andere Art der Durchfahrt war der Zug. Meine Mutter, kurz nach meiner Geburt zur jungen Witwe geworden, fuhr mit mir oft zu einer befreundeten Familie, die einige Jahre beim Gelterkinder Viadukt wohnte. Hier fühlte ich mich geborgen, und der Vater der Familie wurde auch für mich zu einer Art Vaterfigur. Er brachte mir viel Neues bei.
Später fuhr ich mit der eigenen Familie wieder durch Sissach zu meinen Schwiegereltern ins schöne Gelterkinden. Wir lebten in einer bescheidenen Wohnung in einem Liestaler Hochhaus und hatten das Bedürfnis nach Natur und einem eigenen Haus. So fuhren wir an den meisten Sonntagen zu den Eltern meiner Frau. In der Vorweihnachtszeit freuten sich unsere zwei Kinder jeweils am grossen Santichlaus mit seiner schwarzen Kutte, der vor einem Gärtnergeschäft an der Sissacher Hauptstrasse stand.
Vor der Rückfahrt rieten wir den Kindern, doch einmal die schön beleuchteten Weihnachtsbäume zu zählen. Keine Chance. Sie warteten nur auf den Santichlaus, den sie nun von der anderen Seite bewundern konnten. Ich glaube, ich habe immer noch im Ohr, wie das eine oder andere unserer Kinder «Santichlaus du liebe Maa …» vor sich hin murmelte. Eine unauslöschliche Erinnerung.
Verführerische Serviertochter
Unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt hat sich auch eine Sissacher Episode, die ich als junger Bursche erlebte. Einige meiner Schulkameraden spielten Fussball beim FC Oberdorf. Oft begleitete ich, wie bereits erwähnt, zusammen mit Cousin Willy die erste Mannschaft an Auswärtsspiele – als begabter, weil lautstark den FCO anfeuernder Zuschauer. Die regionalen Derbys versprachen immer viel Spannung. So auch in Sissach.
Nach dem Match, hart umkämpft wie immer, begaben wir uns in ein Wirtshaus beim Bahnhof, wo wir fröhlich zu bechern und zu singen begannen. Man nahm anscheinend damals den Fussball noch nicht so ernst wie heute, wenigstens beim FC Oberdorf nicht. Eine Serviertochter hatte es uns besonders angetan. Sie verdrehte allen den Kopf und machte uns schöne Augen.
Wir vergassen die Welt um uns. Doch plötzlich rief einer in die Runde: «Der Zug nach Liestal! Wir dürfen ihn nicht verpassen, vielleicht ist es der letzte.» Wir eilten zum Perron, Willy so gut es ging, humpelte nach, stiegen ein, und erst als der Zug losgefahren war, merkten wir, dass wir in die falsche Richtung fuhren. Nächster Halt: Gelterkinden! Zum Glück erwischten wir doch noch einen Zug nach Liestal. Dort wartete sogar das letzte «Waldenburgerli» und fuhr uns spät nachts nach Hause. Wer hatte nicht von den funkelnden Augen der anmutigen jungen Frau geträumt? Ich wohl auch.
Kunst im Ebenrain-Park
Neben den zwei Ereignissen aus fernen Zeiten erlebte ich am 18. August des vergangenen Jahres im Park des Schlosses Ebenrain eine kleine Erleuchtung. An der Vernissage der teils wuchtigen und teils feingliedrigen Skulpturen von René Küng hielt die Sissacher Künstlerin Kitty Schaertlin eine der Eröffnungsreden. Die von mir sehr geschätzte Kuratorin war massgeblich am Aufbau der Ausstellung beteiligt. Mit einem Male wurde mir wieder bewusst, wie viel mir die bildende Kunst bedeutet und wie gerne ich zeitgenössische Kunst-Performances und Installationen (zum Beispiel die von Ursula Pfister) habe. Ja, ich besitze selber eine kleine Kunstsammlung von regionalen Künstlerinnen und Künstlern.
Frohgemut fuhr ich gegen Abend wieder nach Hause, nicht ohne beim Apéro zwei befreundete Paare einzuladen, mich doch wieder einmal zu besuchen, um explizit einen Rundgang durch meine Bilder-Galerie zu machen. Flugs hängte ich zu Hause einige Bilder um, damit sie noch besser zur Geltung kämen. Vertreten sind Walter Eglin (selbstverständlich mit vielen Werken), Fritz Pümpin, Paul Degen, Claire Ochsner, Ivan Grill aus Basel, Franz Zimmerli und die junge Nachwuchskünstlerin Valentina. Nur ein Werk von Kitty Schaertlin fehlt noch. Aber wer weiss?
In der Reihe «Das ist Sissach» verfassen zahlreiche Autorinnen und Autoren während des Jubiläumsjahrs 800 Jahre Sissach/500 Jahre reformierte Kirche St. Jakob Beiträge über Sissach, die wir wöchentlich publizieren.
Zum Autor
vs. Thomas Schweizer war früher Mittelschullehrer am Basler Gymnasium Bäumlihof. Heute ist er als Autor und Kulturvermittler tätig. In seinen Büchern und Theaterstücken schreibt er über Land und Leute des Baselbiets und der Region Basel. Demnächst erscheint sein neues Buch «Mosaik eines Künstlerlebens» im Verlag Schaub Medien. Es geht um neue Geschichten und Erkenntnisse aus dem Leben von Walter Eglin. Er gehört zu den Gründungsmitgliedern der Literarischen Gesellschaft Baselland.
Die nächsten Jubiläumsanlässe
17. Januar: Vernissage der Bilderausstellung «Sissach gestern und heute» im Gemeindehaus Sissach (Kulturkommission).
26. Januar: «Mi Härz frohlockt» – Marienmesse für Appenzeller Streichmusik, Chor und drei Solostimmen (Kultur in Sissacher Kirchen).