«Hätte der Finanzdirektor bremsen können?»
18.07.2025 Wirtschaft, RegionRechtsprofessor Peter V. Kunz fordert harte Konsequenzen nach riesiger Wertberichtigung bei der BLKB
Die Digitalbank «Radicant» hat der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) massive Verluste eingebrockt. Peter V. Kunz, Rechtsprofessor an der Uni Bern und Bankenexperte, ...
Rechtsprofessor Peter V. Kunz fordert harte Konsequenzen nach riesiger Wertberichtigung bei der BLKB
Die Digitalbank «Radicant» hat der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) massive Verluste eingebrockt. Peter V. Kunz, Rechtsprofessor an der Uni Bern und Bankenexperte, übt scharfe Kritik – und fordert harte und rasche Konsequenzen auf politischer und bankinterner Ebene.
David Thommen
Herr Kunz, die Basellandschaftliche Kantonalbank will mit ihrer «Radicant» eine schweizweit tätige Digitalbank etablieren. Ist das für eine mittelgrosse Kantonalbank zu viel Risiko?
Peter V. Kunz: Grundsätzlich nicht. Eine Universalbank, wie es die BLKB heute ist, muss eine solche Expansionsmöglichkeit haben, wenn der Heimmarkt gesättigt ist und sie nach aussen wachsen will. Sie muss auch kreativ sein dürfen. Allerdings muss die Bank gleichzeitig sicherstellen, dass sie ein solches Geschäft auch wirklich im Griff hat. Das heisst, die Bank muss dafür hoch qualifiziertes Personal haben. Und ganz entscheidend: Sie muss sich intern beispielsweise im «Risk Management» oder in der «Legal Compliance» angemessen aufstellen. Schaue ich den jetzigen Abschreiber an, so habe ich Zweifel, dass dies gelungen ist.
Risiko ist der BLKB grundsätzlich aber erlaubt, zumal die Eigenmitteldecke genügend dick ist?
Ja, aber die Bank muss sich als öffentlich-rechtliche Anstalt zu jeder Zeit bewusst sein, dass letztlich der Staatsbürger das Risiko trägt. Von daher verträgt es – genügend Eigenkapital hin oder her – wenige oder noch besser gar keine Fehler.
105,5 Millionen Franken musste die BLKB wegen ihrer Neobank «Radicant» soeben wertberichtigen. Dies, nachdem man sich bei der Übernahme der Fintech-Treuhandfirma «Numarics» stark verschätzt hat. Bereits zuvor musste «Radicant» 30 bis 40 Millionen Franken abschreiben. Ist damit die Grenze des Erträglichen überschritten?
Eindeutig. Man hofft zwar, dass später ein gewisser Ertrag zurückfliesst und «Radicant» irgendwann in die schwarzen Zahlen kommt, doch da bin ich skeptisch. Ganz offensichtlich hat das Geschäftsmodell, das mich als externen Beobachter nie überzeugte, nicht funktioniert. Die jetzige Wertberichtigung von mehr als 100 Millionen zeigt, dass es ein grosses Problem gab, das man stark unterschätzt hat. Der Verlust wurde ja innerhalb sehr kurzer Zeit realisiert. Da stellt sich die Frage, wer dafür verantwortlich war – und warum niemand das rechtzeitig stoppte. Hier dürften die Kontrollmechanismen versagt haben.
Die Kontrollmechanismen?
Die Kontrolle liegt in erster Linie beim Bankrat, aber sicher auch beim Regierungsrat. Der Regierungsrat ist sogar schwergewichtig gefordert: Der Kanton vergibt einen Leistungsauftrag und hat eine Eigentümerstrategie festgelegt – das verlangt mehr als nur zweimal pro Jahr mit der Bankleitung zusammenzusitzen, miteinander über die BLKB zu plaudern und ein Mittagessen zu geniessen. Für mich stellt sich die Frage, wie gut die Aufsichtsstrukturen im Baselbiet bisher sind. Die Indizien deuten darauf hin, dass man hier nicht wirklich sauber aufgestellt ist.
Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung. Bankratspräsident Thomas Schneider hat seinen Rücktritt angekündigt, CEO John Häfelfinger ebenfalls. Reicht das?
Das reicht nur dann, wenn man nach den nun von der Bank in Auftrag gegebenen externen und unabhängigen Abklärungen feststellt, dass der Bankrat als Ganzes nichts falsch gemacht hat. Warten wir ab!
Zwei Rücktritte könnten also nicht ausreichend sein?
Wenn ich mir die Amtsdauer der aktuellen Bankratsmitglieder anschaue, so befürchte ich das. So gut wie alle Amtierenden waren bereits beim Entscheid für die Expansion mit «Radicant» direkt involviert. Es handelte sich also nicht einfach um ein «Ego-Projekt» des CEO und des Bankratspräsidenten.
Dass «Radicant» stark im Fokus steht, dürfte niemandem in der Bankleitung entgangen sein …
Ja, dass das Projekt politisch umstritten ist, war bekannt. Es gab Vorstösse im Landrat, und alle im Bankrat wussten von Anfang an, dass dieses Geschäft heikel ist. Als Bankrat macht man sich auch verantwortlich, wenn man nicht interveniert. Sollte man bei der jetzt von der BLKB angeordneten Untersuchung (durch das Beratungsunternehmen GW&P, die Redaktion) feststellen, dass alle im gleichen Boot sassen, wird sich sehr rasch die Frage stellen, ob nicht der Bankrat als Ganzes ausgetauscht werden müsste. Es gilt das Motto: «mitgegangen – mitgefangen».
Wie beurteilen Sie die Rolle der Regierung, des Finanzdirektors?
Die Frage ist, wie intensiv die Kommunikation zwischen Bank und Finanzdirektor unter dem Aspekt der Kontrolle war. Der Kanton hat mit seiner Eigentümerstrategie, dem Leistungsauftrag und der Wahl der Bankräte einen sehr direkten Einfluss auf die Bank und steht zumindest politisch zentral in der Verantwortung. Die Frage stellt sich heute: Hätte der Finanzdirektor rechtzeitig bremsen können – und hat es unterlassen? Eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) könnte ermitteln, ob die Regierung die im Parlament schon früh deutlich geäusserten Vorbehalte gegen «Radicant» zu leichtfertig und ohne ganz genaue eigene Abklärungen übergangen hat. Sollte sich herausstellen, dass der Finanzdirektor dem Bankratspräsidenten und dem CEO naiv und blind vertraut hat, wäre er in meinen Augen nicht mehr tragbar.
Für den Finanzdirektor steht also auch einiges auf dem Spiel?
Ja. Er hätte das riskante Projekt eng begleiten und allenfalls sogar stoppen müssen, was er offensichtlich unterliess – aus welchen Gründen auch immer.
Im Baselbiet wird nicht nur eine PUK gefordert, es wird auch die Frage nach einer Verantwortlichkeitsklage aufgeworfen. Was würde das bedeuten?
Verantwortlichkeitsklagen, also zivile Klagen auf Schadenersatz, im Zusammenhang mit Kantonalbanken sind in der Schweiz extrem selten – es gibt sogar nur ein Beispiel, nämlich aus dem Kanton Glarus vor rund 15 Jahren. Grund waren sehr hohe Verluste im Umfang von rund 90 Millionen Franken. Eine Verantwortlichkeitsklage bedeutet konkret, dass die geschädigte Kantonalbank selbst juristisch gegen ihre eigenen Bankratsmitglieder vorgehen müsste …
… die Bank müsste also ihre eigene Leitung verklagen?
Genau. Die Bank müsste sagen: «Liebe Bankräte, ihr habt unsere BLKB mit eurem Verhalten stark geschädigt – dafür müsst ihr finanziell geradestehen.» Bei Abschreibern oder Wertberichtigungen im Zusammenhang mit «Radicant» im Umfang von gut 140 Millionen Franken wäre eine Verantwortlichkeitsklage vor Gericht durchaus naheliegend.
Schwer vorstellbar ist, dass die Bank momentan juristisch selbst gegen sich vorgeht. Wer sollte das tun? Der Angestellte vom Schalter ja wohl kaum. Und die amtierenden Bankräte dürften dies tunlichst vermeiden …
Das ist klar. So etwas könnte erst in Angriff genommen werden, wenn der heutige Bankrat weg wäre. Wichtig ist deshalb, dass nun rasch aufgearbeitet wird, was in der Bank genau passiert ist und wer in der Verantwortung ist. Wenn man feststellt, dass die oberste Führung der BLKB generell versagt hat, müsste der Regierungsrat den Rücktritt des Bankrats in corpore durchsetzen. Der neue Bankrat könnte und müsste allenfalls dann juristisch gegen seine Vorgänger vorgehen. Genau so hat man es im Kanton Glarus gemacht, und zwar für die Bank erfolgreich.
Bedeutet Verantwortlichkeitsklage, dass die aktuellen Bankräte privat für den angerichteten Schaden haften müssten?
Im Prinzip ja. Das ist eine sehr unangenehme, ja sogar existenzielle Situation. Wie es im Baselbiet geregelt ist, weiss ich nicht, aber typischerweise haben Bankräte für solche Fälle eine Haftpflichtversicherung. Möglicherweise gibt es auch eine Regelung mit dem Staat, weil die Bankräte ja für den Staat tätig sind.
Was ist hier die Rolle der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht, der Finma?
Ich gehe davon aus, dass die Finma bereits ein «Enforcement»-Verfahren eingeleitet hat oder noch einleiten wird, weil man genau wissen will, was bei der BLKB offensichtlich falsch gelaufen ist. Ich gehe sogar davon aus, dass sich die Finma bereits nach den ersten beiden «Radicant»-Abschreibern eingeschaltet hat und nun bei der grossen 105,5-Millionen-Wertberichtigung zumindest sanft Druck ausgeübt hat, um den Bankratspräsidenten und den CEO zum Rücktritt zu bewegen. Doch das ist reine Spekulation, über solche Dinge wird nie öffentlich gesprochen.
Die Banken sind streng reguliert und beaufsichtigt. Hat hier die Finma im Falle «Radicant» geschlafen?
Das ist häufig ein Reflex: Immer, wenn es einen Fehler gibt bei irgendeiner Bank – sei es bei einer Kantonalbank oder der CS – zeigt man sofort auf die Finma. Ich bin zwar einer der grössten Kritiker dieser Bundesbehörde, aber hier muss ich sie in Schutz nehmen: Die Finma führt keine laufende Geschäftsführungskontrolle bei den Banken durch. Sie prüft, ob die Bank korrekt aufgestellt ist, und greift erst ein, wenn etwas schiefgeht. Nein, im vorliegenden Fall wäre in erster Linie der Bankrat – jedes einzelne Mitglied – gefordert gewesen, dazu wohl ebenfalls die interne Revisionsstelle der Bank und wie gesagt der Regierungsrat.
Der Bankratspräsident und der CEO haben ihre Rücktritte zwar angekündigt, allerdings erst auf nächstes Jahr – also mit langer Übergangsfrist. Reicht das?
Ich war überrascht, dass sie sich so lange Zeit nehmen wollen. Ich finde das nicht tragbar. Man braucht keine lange Übergangsfrist für die Geschäftsübergabe, in dieser Situation müssten die Verantwortlichen sehr kurzfristig zurücktreten. Es ist ja nicht nötig, dass der ganze Bankrat sofort geht – vermutlich könnte jemand anderes kurzzeitig das Präsidium übernehmen.
Ist eine geordnete Übergabe nicht sinnvoller?
Nein. Die lange Frist behindert unweigerlich die nun dringend nötige Vergangenheitsbewältigung zu diesem Finanzdebakel. Deshalb hätte hier der Regierungsrat in meinen Augen sofort eingreifen müssen. Politisch ist jetzt der Finanzdirektor gefordert, um klare Vorgaben zu machen. Heute zwar noch nicht beim gesamten Bankrat, aber bei den beiden genannten Personen umgehend.
Wäre jetzt der Moment, um das «Radicant»-Abenteuer abzubrechen?
Ich hätte dazu geraten. Der «Radicant»- Verlust entspricht nach meinem Kenntnisstand in etwa dem Anfangsinvestment, und ich sehe ökonomisch keinen Grund, weiterhin daran festzuhalten. Hier gilt das Prinzip, dass man schlechtem Geld kein gutes Geld hinterherwerfen sollte. Für einen Schlussstrich spricht auch, dass der Spiritus Rector bei «Radicant», also der dortige Verwaltungsratspräsident, nun auch den Hut nimmt. Das Modell sieht nach einem Totalverlust aus. Das sollte man zur Kenntnis nehmen.
Lieber also ein Ende mit Schrecken?
Ja.
Sie haben zuvor angetönt, dass Sie eine PUK begrüssen würden.
Ja. Eine PUK klärt in erster Linie die politische Verantwortung, also die Rollen von Regierungsrat, Finanzdirektor und beleuchtet den Auswahlprozess für die Bankratswahlen. Die PUK sollte sich vor allem mit politischen Aspekten befassen. Die Finma und die externe Firma, die nun mit einer Untersuchung beauftragt worden ist, klären operative und rechtliche Fragen und werden sich nicht in die Kantonspolitik einmischen. Gerade hier tut eine Aufarbeitung Not.
Aktuell bewirbt sich die ehemalige Bankrätin Nadine Jermann (FDP) für einen Sitz im Baselbieter Regierungsrat. Sie war bis 2023 im Bankrat und war demnach beim Entscheid für «Radicant» dabei, nicht mehr hingegen bei den Entscheiden rund um die problematische «Numarics». Hat die Kandidatin dennoch ein Problem?
Eine dunkle Wolke hängt derzeit über dem gesamten Bankrat, der in die «Radicant»-Entscheide involviert war. Vielleicht verzieht sich die Wolke wieder, vielleicht aber auch nicht. Bis die Situation bereinigt ist, könnte das eine Regierungsratskandidatur belasten. Peinlich wäre eine Wahl, wenn sich in zwei Jahren herausstellt, dass sie tatsächlich mitverantwortlich war.
Zur Person
tho. Peter V. Kunz (60) ist ordentlicher Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bern und leitet dort das Institut für internationales und nationales Wirtschaftsrecht. Der promovierte Jurist war früher als Wirtschaftsanwalt tätig und war im Kanton Solothurn politisch in einer Gemeinderegierung und im Kantonsparlament aktiv, damals noch als FDP-Mitglied. Kunz ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und gefragter Ansprechpartner für die Medien und die Politik, vorab wenn es um Bankenthemen geht. Seit diesem Jahr präsidiert Peter V. Kunz, der auch auf Tierrecht spezialisiert ist, den Schweizer Tierschutz STS.