Häsch mir no en Schtei?
04.07.2025 SissachUnterwegs im Nordpazifik, Teil 3: Yap/Insel Rumung
Die Menschen auf diesen mikronesischen Inseln haben dem Druck der Zivilisation mehrheitlich widerstanden. Ich bin mir nicht sicher, woran es liegt. Vielleicht an den Betelnüssen?
Hanspeter Gsell
Schon ...
Unterwegs im Nordpazifik, Teil 3: Yap/Insel Rumung
Die Menschen auf diesen mikronesischen Inseln haben dem Druck der Zivilisation mehrheitlich widerstanden. Ich bin mir nicht sicher, woran es liegt. Vielleicht an den Betelnüssen?
Hanspeter Gsell
Schon die Jüngsten, Ausnahmen vorbehalten, schieben sich mit grösster Regelmässigkeit ein Nüsschen in die Backentasche. Mit dem Resultat, dass sie spätestens beim Erreichen der Volljährigkeit kaum noch Zähne im Mund haben. Doch es steht auch nicht in der Bibel geschrieben, dass man im Paradies Zähne braucht.
Rumung ist die vierte und kleinste der vier Inseln, die politisch zu Yap gehören (Yap Proper, Gagil, Maap, Rumung). Hier scheint man sehr weise mit dem Zivilisationsdruck umgegangen zu sein. Theoretisch wären alle Inseln durch Brücken miteinander verbunden worden. Von den Amerikanern angelegte Strassen führen zu den abgelegensten Dörfern. Unter oder neben der Strasse wurden Wasserleitungen und Elektrokabel verlegt.
Bis nach Rumung kamen jedoch weder Wasser noch Strom. Und erst recht keine Brücke. Weshalb das so ist, weiss kaum noch jemand. Ausser vielleicht der amerikanische Strassenbauer Tom Healy.
Rumung
«Wir hatten den Auftrag von der amerikanischen Regierung, in Yap ein Strassennetz anzulegen und alle vier dazugehörenden Inseln durch Brücken zu verbinden. Auch die abgelegensten Dörfer sollten frisches Wasser und Strom erhalten. Was wir auch schnell und zügig taten. Nur mit der Insel Rumung hatten wir Probleme. Die Menschen dort wollten keine Brücke.»
Man hatte die Bevölkerung allerdings auch nicht gefragt, ob sie denn überhaupt Anschluss an die grosse weite Welt wollten. Die Menschen von Rumung haben die Brücke bereits vor deren Fertigstellung wieder abgebaut.
Des Rätsels Lösung ist, wie so oft, einfach und schnell erzählt. Man wollte nichts wissen von der Zentralregierung; man wollte keine ungebetenen Besucher und schon gar keine Influencer auf der Insel dulden.
Vielleicht lag es auch an einer einzelnen Person? Die Überlieferungen berichten Ungewöhnliches von einem gewissen Elias Gutgenug. Er nannte sich später aus juristischen Gründen Elias Goodenough. Er soll evangelischer Missionar und Betreiber einer privaten Kirche gewesen sein. Dieser wollte auf «seiner» Insel keine ungebetenen Gäste sehen. Sie hätten ihm nur die Schäfchen ausgespannt. Oder noch schlimmer: Die Regierung hätte ihn wegen gefälschter Papiere kurzerhand verhaftet und eingekerkert.
Einige Einwohner erzählen heute noch, sie hätten in jenen alten Zeiten immer wieder einen bärtigen Mann in einem weissen Nachthemd übers Wasser laufen sehen.
«Wenn Jesus keine Brücke braucht, wollen wir auch keine».
Eine Brücke gibt es auch heute nicht.
Das Wasser stammt aus einer alten Quelle, Strom will man nicht. Heisswasser braucht es nicht. Will man ein frisch gefischtes Fischlein grillen, macht man ein kleines Feuerchen aus getrockneten Schalen von Kokosnüssen.
Möchte man die Insel besuchen, muss man ein spezielles Visum beantragen. Mit diesem Visum stellt man sich ans Ufer der Hauptinsel und wedelt damit in der Luft herum. Auf dieses Zeichen hin löst sich am Strand von Rumung (vielleicht) ein Boot und holt den Besucher (vielleicht) ab.
Yap und das Steingeld
Zurück auf der Hauptinsel Yap, auf der Insel des Steingelds. Bei diesem Geld handelt es sich nicht etwa um Kleingeld, sondern um Riesenmünzen in der Grösse einer Pizza Napoletana (ca. 5 Franken), eines Wagenrads (126 Franken) oder eines Mühlsteins (399 Franken).
Man ging mit diesen Münzen weder in die nächste Bar noch zur Sparkasse. Sie symbolisierten andere Werte. Sie waren zwar handelbar, allerdings wurden sie nur im Immobilien- und Ablasshandel verwendet. Tatsächlich brauchte man die Klopse vorwiegend, um allerhand Streit zu schlichten.
Sollte etwa Jüngling A der Jungfer B in einer Vollmondnacht etwas zu nahegetreten sein, wird Vater B von Vater A Genugtuung in Form eines Geldsteins verlangen. Man nannte dies hier auch: «Einen Stein vom Zaun brechen.»
Die Häuptlinge verhandelten solche Fälle in einer öffentlich zugänglichen Freiluftarena. Unter schattigen Palmen hatte man ihnen, da sie weise und infolgedessen schon etwas älter waren, steinerne Rückenlehnen eingegraben. Dort sassen sie dann, bis sie noch weiser geworden waren, und gaben bereits nach wenigen Tagen ihren Richtspruch bekannt: Vater B erhielt von Vater A zwei Mühlsteine.
Alle waren glücklich und zufrieden und man widmete sich wieder dem täglichen Leben. Vater B rammte den Riesenfranken hinter seinem Haus in den Boden. Am Sonntagmorgen sah man ihn manchmal, wie er sein Vermögen abstaubte, die Steine glänzend polierte und dann mit einem zufriedenen Lächeln wieder von dannen ging.
Natürlich handelt es sich bei diesen Steinen nicht um irgendwelche ordinären Felsbrocken. Da könnte jeder sein Geld selbst machen! Den wunderbar glitzernden Aragonit/Kalzit findet man nur auf der Insel Palau. Die Stein- und Geldbrüche waren ziemlich weit weg.
Musste die Staatsbank ihre Reserven aufstocken, konnte sie nicht einfach der nächsten Druckerei telefonieren. Da mussten schon die Auslegerboote losgeschickt werden! Nur die jüngsten und kräftigsten Männer wurden mit diesen aussergewöhnlichen Kanus auf die Reise übers Meer geschickt. Je nach Wind und Wetter dauerten solche Fahrten zwischen einigen Wochen und mehreren Monaten.
In Palau angekommen, musste zuerst mit den dortigen Grundeigentümern verhandelt werden.
War man sich handelseinig geworden, ging’s ab in die Steinbrüche. Man haute die Münzen Stück für Stück aus dem Berg. In die Mitte der steinernen Dublonen bohrte man anschliessend ein Loch. Zum Transport schob man ein Rundholz hindurch und konnte sie so auf zwei Schultern wegtragen.
Da das Geld zu gross und zu schwer war, um es im Boot zu transportieren, band man es kurzerhand darunter. Nach einer kurzen Stärkung ging’s auf die Heimfahrt. Wieder war man wochenlang unterwegs.
Die Überfahrten – es waren immerhin beinahe 500 Kilometer – waren vielfach stürmisch. Eigentlich waren sie immer stürmisch. So kam es, dass nur wenige Boote die Fahrt bis nach Hause schafften. Je weniger Steingeld die Heimat erreichte, desto wertvoller waren nachher die einzelnen Steine. Es konnte sein, dass eine pizzagrosse Münze mehr wert war als der Rieseneumel des Nachbarn.
Captain David Dean O‘Keefe
David O’Keefe strandete im Jahr 1872 auf der Insel Yap. Der clevere Ire bemerkte bald einmal, wie das lief mit dem Steinhandel auf der Insel. Und so machte er sich auf ins steinige Eldorado. Mit nur wenigen Yapesen segelte er mit seiner Dschunke auf die Insel Palau. Dort heuerte er eine Hundertschaft Palauer (nicht jedoch Paldauer) an und liess sie Geld hauen. Mit einem voll beladenen Schiff fuhr er zurück nach Yap und warf das Geld auf den Markt. Bezahlbar in Seegurken.
Die Yapesen staunten nicht schlecht, stürzten sich ins Wasser und pflückten Seegurken en gros. Wir kennen den Wechselkurs von Seegurken und Steingeld leider nicht. Tatsache ist, dass O’Keefe in kürzester Zeit zum Meister aller Seegurkenhändler aufstieg. Die verfressenen Hongkong-Chinesen kauften ihm die schlabbrigen Seegurken in Unmengen ab.
Er beschloss, sich zur Ruhe zu setzen und baute sich auf der Insel Tarang in der Lagune von Yap eine Villa. Die Yapesen waren des Lobes voll, sie schwammen buchstäblich im Geld und lebten glücklich und zufrieden. Der Paramount-Chief von Yap (der Chief aller Chiefs hinter und vor dem Berg) schenkte ihm seine minderjährige Tochter, schon bald heirateten sie, hatten viele Kinder, und als der Chief starb, wählte der Ältestenrat Captain David Dean O’Keefe zum König von Yap. His Majesty O’Keefe ist die Geschichte seines Lebens. Der gleichnamige Film wurde 1954 gedreht. Fortsetzung folgt.
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.
Bisher erschienen:
Teil 1 (19. Juni), Teil 2 (26. Juni)