Holpriger Start ins neue Leben
29.11.2024 SissachVor fünf Monaten sind Sabina und Gustavo Aguilar mit ihren drei kleinen Kindern von Sissach nach Mendoza gezogen. Den Satz «se me complicó» (es wurde kompliziert für mich) haben sie seither sehr oft gehört. Er wird verwendet, wenn etwas nicht klappt oder jemand zu ...
Vor fünf Monaten sind Sabina und Gustavo Aguilar mit ihren drei kleinen Kindern von Sissach nach Mendoza gezogen. Den Satz «se me complicó» (es wurde kompliziert für mich) haben sie seither sehr oft gehört. Er wird verwendet, wenn etwas nicht klappt oder jemand zu spät oder gar nicht erscheint.
Brigitte Keller
Heimweh? Nein, hier habe niemand Heimweh. Die erste Frage, die wir der Auswanderin Sabina Aguilar stellen, ist damit klar beantwortet. Trotz mehrmaligem Wohnungswechsel sei kein Heimweh aufgekommen. Besonders bei Sohn Diego, der demnächst seinen fünften Geburtstag feiern kann, überraschte es die Eltern, dass er offenbar nichts und niemanden aus der Schweiz vermisse, abgesehen von ein paar Spielsachen. «Er kam hierher und man hatte das Gefühl, er sei hier geboren.»
Vielleicht blieb wegen der vielen Umtriebe und mit drei kleinen Kindern einfach auch keine Zeit für Heimweh? «Das ist sicher ein Grund, und ich stehe ja auch in regem Kontakt mit meiner Familie und Freunden in der Schweiz. Ich weiss alles aus der Schweiz.»
Käse und Brot
«Aber, ich vermisse Sachen», schiebt Sabina Aguilar gleich hinterher. «Ich vermisse Esswaren, ganz besonders den Käse und die Brotvielfalt, und manchmal auch den Wald und die grüne Natur, weil es hier sehr trocken ist, fast schon ein Wüstenklima herrscht.» Und ihr Mann Gustavo vermisst die Ordentlichkeit der Schweiz und dass alles funktioniert. Und damit sind wir schon mitten im Thema, wie sich das Leben für die fünf Auswanderer in Argentinien gestaltet.
Die Ankunft sei schön gewesen, erzählen die Aguilars rückblickend. «Die ganze Familie von Gustavo ist zum Flughafen gekommen, obwohl sie ja bis zuletzt nicht geglaubt haben, dass wir wirklich kommen», erzählt die Auswanderin. «Genauso, wie die Familie in der Schweiz nicht glauben konnte, dass wir wirklich gehen.»
Für die ersten vier Wochen nach der Ankunft hatten die Aguilars über «Airbnb» eine Wohnung gemietet. Während dieser Zeit wollten sie ihre definitive Unterkunft finden. «Dort hat es uns überhaupt nicht gefallen, denn ich habe mich nicht sicher gefühlt», erzählt Sabina Aguilar weiter. «Eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass es in Mendoza gefährlich sei, aber alle haben auf mich eingeredet, bis ich richtig ängstlich wurde. Wenn ich alleine mit den Kindern im Haus war, dachte ich bei jedem Knacken, es bricht jemand ein.» Gustavo habe ihr natürlich immer nur die schlimmsten Dinge erzählt, damit sie ja ihre Gefahrenantennen jederzeit ausgefahren hatte.
Das Quartier, in dem überwiegend Leute aus dem Mittelstand wohnen, sei ein sicheres Quartier, doch leider könne man auch dort Raubüberfälle nicht mehr ausschliessen. So passiere es immer wieder, dass Bewohner überfallen werden, wenn sie beispielsweise Einkäufe ausladen wollten.
Ohne Auto geht nichts
Die ersten vier Wochen waren ausgefüllt mit ganz vielen Besuchen von Freunden und Familie. In dieser Phase orientierten sich die Aguilars, wie die Dinge zu handhaben sind. Auch der Kauf eines Autos stand auf der To-do-Liste, denn ohne Auto geht gar nichts in Argentinien. Der ausgeliehene alte Bus, noch ohne Servolenkung und jegliche Sicherung für die zwei Babys, musste schnell ersetzt werden. «Es ist nicht zu glauben, wie oft ich den Bus anschieben musste, weil die Batterie leer war. Aber das Schöne ist, dass viele Leute kommen und selbstverständlich mithelfen. Das ist hier das Normalste der Welt», erzählt Sabina Aguilar.
Für einen weiteren Monat zogen sie in eine andere Übergangswohnung, weil sie ihr definitives Domizil noch nicht gefunden hatten. Der Druck, jeden Moment immer nach Gefahren Ausschau halten zu müssen, das sei nervenaufreibend gewesen. Obwohl sich Sabina Aguilar vor der Abreise aus der Schweiz noch nicht hätte vorstellen können, in ein bewachtes Privatquartier mit Eingangskontrolle zu ziehen, schien dies nun doch die einzige Alternative zu sein. Und in einem solchen Quartier haben sie mittlerweile ein Häuschen zur Miete gefunden, wo sie sich sicher und wohl fühlen. Für diesen Sicherheitsstandard bezahlen sie monatlich einen separaten Betrag. Zudem befindet sich in der Nähe eine Privatschule, wo ihr Sohn in den Kindergarten gehen kann.
Unmengen von Zucker
Ein sehr grosser Unterschied zur Schweiz – und damit eine der grössten Herausforderungen für Sabina Aguilar – sind die in Argentinien angebotenen Lebensmittel. Um sie so günstig wie möglich und so lange haltbar wie möglich im Laden anbieten zu können, würden diese alle möglichen und unmöglichen Bestandteile enthalten. Und Zucker, Unmengen von Zucker. Ein Thema, mit dem sich die junge Mutter sehr stark beschäftigt, worüber die Leute vor Ort aber meistens mit Unverständnis reagieren oder einfach mit Kopfschütteln und Lachen.
Für die vielen Menschen hier mit wenig Geld seien andere Dinge – hauptsächlich der Preis – massgebend. Dass sie nach gesunden Lebensmitteln Ausschau halten können und auch die Zeit haben, um beispielsweise Brot und Joghurt selber herzustellen, sei ein Privileg, dessen sind sich die Auswanderer bewusst. Das soziale Leben, die Landschaft und die Weite des Landes entschädigen sie jedoch für alles, was nicht zu 100 Prozent perfekt sei, sagt Sabina Aguilar. «Ich bin wirklich an einem der schönsten Orte der Welt.»
Im Moment verbringen die fünf viel Zeit miteinander und mit ihren Familien und Freunden in Mendoza. Die Pläne, einer bezahlten Tätigkeit nachzugehen, können noch etwas warten. Gerne zeigen sie den vielen Gästen aus der Schweiz die Sehenswürdigkeiten in und um Mendoza. Der Sommer und mit ihm Weihnachten, stehen vor der Tür. «Wir haben schon einmal Weihnachten in Mendoza verbracht. Man kann sich das vorstellen wie den 1. August in der Schweiz: Draussen feiern mit viel Feuerwerk und ‹Asado› – Fleisch vom Grill».
Ausgewandert nach Argentinien
bke. Sabina und Gustavo Aguilar sind mit ihrem viereinhalbjährigen Sohn Diego und den halbjährigen Zwillingsmädchen Amanda und Luisa Anfang Juli 2024 von Sissach nach Mendoza in Argentinien gezogen. Die «Volksstimme» berichtete im Beitrag «Auf zwei Kontinenten zu Hause» darüber. Fünf Monate später haben wir nachgefragt, wie sie sich eingelebt haben. Interessierte können der Familie auf Instagram unter @die.aguilars_los. aguilares folgen oder www.ab-nachargentinien.jimdosite.com besuchen.