High Noon in Hersberg
16.11.2023 Arisdorf, HersbergDer Entscheid über die Fusion der Gemeinden fällt am Sonntag
Am Sonntag entscheidet sich definitiv, ob sich Arisdorf und Nachbar Hersberg per 1. Januar 2025 zu einer Gemeinde zusammenschliessen. Beide Gemeindeversammlungen haben bereits ihr Jawort gegeben, doch speziell in ...
Der Entscheid über die Fusion der Gemeinden fällt am Sonntag
Am Sonntag entscheidet sich definitiv, ob sich Arisdorf und Nachbar Hersberg per 1. Januar 2025 zu einer Gemeinde zusammenschliessen. Beide Gemeindeversammlungen haben bereits ihr Jawort gegeben, doch speziell in Hersberg ist die Opposition stark. Dorthin richten sich die Blicke.
Jürg Gohl
Es war eine denkwürdige Doppel-Gemeindeversammlung zweier Fusionswilliger in Arisdorf am 20. September: Um ja keinen Formfehler zu begehen, lässt der Arisdörfer Gemeinderat die eintretenden Personen vor der Turnhalle kontrollieren. Deshalb beginnt die Versammlung 35 Minuten verspätet. Danach erörtert Präsident Markus Miescher Details zum Fusionsvertrag. Er staunt dann selber am meisten, dass praktisch keine Fragen fallen und seine Gemeinde dem Zusammenschluss mit Nachbar Hersberg überraschend klar zustimmt. 110 Ja- stehen 14 Nein-Stimmen gegenüber.
Umgekehrtes Bild ein paar Meter weiter im Gemeindesaal. Dort erscheinen unglaubliche 40 Prozent der Stimmberechtigten aus Hersberg, und der Entscheid fällt dort bereits, als Miescher in der Turnhalle erst zu reden angehoben hat. Doch beim fünfmal kleineren Fusionspartner wird es mit 68 Ja- zu 44 Nein-Stimmen deutlich knapper: 40 Prozent sprechen sich also gegen das Zusammengehen aus.
Alles blickt zum Kleineren
Wenn 60 Tage später am kommenden Sonntag die Stimmberechtigten von Arisdorf und Hersberg an der Urne den Fusionswunsch bestätigen müssen, erwarten die Hersberger Gemeindepräsidentin Iris Allenspach und ihr Amtskollege Miescher einen ähnlichen Ausgang: Arisdorf wird den Entscheid bestätigen; in Hersberg aber dürfte es knapp werden. Verweigert der Junior-Partner seinen Segen, ist der Zusammenschluss definitiv vom Tisch. Deshalb richten sich am Sonntag alle Augen auf die 380 Stimmberechtigten dort.
Seit den beiden Versammlungen sind die Gegner von der Interessengemeinschaft pro Hersberg um Einwohner Hugo Gross in die Offensive gegangen. Sie verfassten acht Flugblätter und suchten die Diskussion mit der örtlichen Bevölkerung. «Am Sonntag wird es um jede Stimme gehen», lässt sich Gross zitieren.
Alle Seiten gehen davon aus, dass die Meinungen längst gemacht sind und bei der Rekordzahl der Teilnehmenden vom 20. September nicht mehr von einem Zufallsresultat gesprochen werden kann. Auch dürfe kaum jemand der Ja-Stimmenden von damals, sagen sie, das Lager gewechselt haben. Darauf deutet auch hin, dass zu den insgesamt drei Informationsabenden, zu denen der Hersberger Gemeinderat eingeladen hat, um Fragen zur Fusion zu beantworten, nur acht Personen erschienen. Dabei hütete sich der dreiköpfige Rat, Partei zu ergreifen, um nicht der Einflussnahme bezichtigt zu werden.
Kein Tabuthema mehr
Iris Allenspach interpretiert das bescheidene Interesse an den letzten Informationsanlässen ähnlich: «Wir haben alles gemacht und sehr ausführlich informiert», sagt sie. Anfänglich reagierte der Gemeinderat auch mit Gegendarstellungen auf in seinen Augen falsche Informationen in den Flugblättern, welche die Skeptiker in Umlauf brachten. Die wiederkehrende Aussage darin, dass Hersberg von aufgefressen werde, bezeichnet sie schlicht als seltsamen Vergleich. «Fakt ist, dass wir schon heute nur noch auf 8 bis 10 Prozent unserer Ausgaben Einfluss nehmen können. über 90 Prozent sind vorgegeben», argumentiert sie.
Seit die Fusion mit Arisdorf ernste Züge angenommen hat, ist es auch für andere Baselbieter Kleingemeinden kein Tabuthema mehr. Nicht zuletzt wegen des Finanzausgleichs, der bald nicht mehr so üppig die Ergolz herauffliessen dürfte, setzen sie sich mit ähnlichen Gedanken auseinander. Mit einem Unterschied: In anderen Gemeinden müsse weit mehr geregelt werden als in Hersberg. «Abgesehen von der Wasserversorgung führen wir bereits jetzt alles gemeinsam mit Arisdorf», sagt sie, angefangen bei Schule, Werkhof und Verwaltung.
«Trump-Methoden»
In Arisdorf blieben Flugblatt-Aktionen indes aus. Dafür richtet sich dort der Ärger des Gemeindepräsidenten gegen die IG pro Hersberg im Nachbardorf. «Da wird mit abstrusen und bewusst falschen Argumenten Stimmung gegen die Fusion gemacht», moniert Markus Miescher, «und dem Gemeinderat sind die Hände gebunden.» Er weiss, dass sich die Exekutive mit einem Werben für die Fusion eine Wahlbeschwerde einhandeln könnte, und unterstellt den Gegnern «Trump-Methoden». Deshalb hofft er, dass «diese Unfairness» am Sonntag bestraft werde.
Wenn am Sonntag die Stimmlokale schliessen, werden sich die insgesamt acht Mitglieder der beiden Gemeinderäte zu einem gemeinsamen Mittagsmahl treffen und dort noch während des Essens das Verdikt erfahren. Iris Allenspach und Markus Miescher hoffen, dass es am Sonntag ein Festessen geben wird. «Wir haben unsere Arbeit verrichtet, das Volk hat das letzte Wort», sagen sie und könnten selbst einem Scheitern etwas Positives abgewinnen: Das Fusionsprojekt hat die beiden Gemeinden noch näher zusammenrücken lassen als zuvor schon.
Glarus und Graubünden machen es vor
jg. Im vergangenen Jahr hat Biel-Benken ein Jubiläum feiern können. Am 1. Januar 1972, also vor inzwischen 51 Jahren, haben sich die beiden Leimentaler Nachbargemeinden Biel und Benken politisch zusammengeschlossen. Das ist die bisher letzte Fusion im Kanton Baselland, während seither in der ganzen Schweiz die Anzahl der Gemeinden von damals über 3000 auf 2136 (Stand am 1. Januar 2023) geschmolzen ist: Jede dritte Gemeinde verschwand – politisch betrachtet – im zurückliegenden halben Jahrhundert.
Die radikalste Fusion des Landes erfolgte im Kanton Glarus, als per Entscheid der Landsgemeinde fünf Jahre zuvor die bisher 25 Gemeinden zu den drei Einheitsgemeinden Glarus Nord, Glarus und Glarus Süd zusammengeschlossen wurden. Die Regierung wollte damals lediglich auf zehn Gemeinden reduzieren. Der Entscheid fiel so knapp aus, dass die Gegner ihn ein zweites Mal vor die Landsgemeinde zogen, damit aber eine deutliche Schlappe erlitten.
Diesbezüglich ebenfalls sehr lebhaft unterwegs ist der Kanton Graubünden, wo in den vergangenen 20 Jahren die Anzahl Gemeinden auf heute 101 halbiert wurde. Das liege vor allem daran, dass es dort viele Kleinstgemeinden gebe, welche die steigenden Belastungen nicht mehr im Alleingang bewältigen können, wie kürzlich der Gemeindeexperte Curdin Derungs in einem Beitrag von «Telebasel» sagte. «Vielleicht ist im Baselbiet der finanzielle Leidensdruck nicht hoch genug», wagte Derungs vor der Kamera eine Ferndiagnose.
Dass die Fusionen nicht immer glatt über die Bühne gehen, zeigt sich anhand der Prättigauer Gemeinden Grüsch mit Fanas, dem kleineren Partner. In Fanas mobilisierten die Gegner ihre Anhänger, sodass am Ende ein Mehr von sieben Ja-Stimmen den Ausschlag gab.
Ein Heimweh-Bündner hat im Juni im Baselbieter Parlament eine Interpellation zu diesem Thema eingereicht. SP-Landrat Linard Candreia aus dem Laufental stellt darin fest, dass es hierzulande durchaus Regierungen gebe, die Gemeindefusionen «aktiv forcieren», und möchte deshalb der Baselbieter Exekutive «auf den Zahn fühlen», wie er schreibt. In seinen drei Fragen erkundigt er sich, wie sehr sich die Lösung, zum Beispiel in der Altersbetreuung, immer mehr auf Regionen zu setzen, bewährt und ob es aus Sicht der Regierung Alternativen zu Gemeindefusionen gebe. Zudem regt er an, eine Arbeitsgruppe zu schaffen, die sich mit den zentralen Fragen zu Gemeindefusionen auseinandersetzt.