Heimatlos in der Südsee
05.08.2025 SissachUnterwegs im Nordpazifik, Teil 8: Kwajalein (2)
Als Inselsammler und Inselhüpfer sind wir unterwegs zwischen Guam und Hawaii. Dies ist die Fortsetzung der unglaublichen Geschichte der Bikis, der Menschen des Bikini-Atolls. Im November 1948 kamen die Heimatlosen scheinbar wieder zu ...
Unterwegs im Nordpazifik, Teil 8: Kwajalein (2)
Als Inselsammler und Inselhüpfer sind wir unterwegs zwischen Guam und Hawaii. Dies ist die Fortsetzung der unglaublichen Geschichte der Bikis, der Menschen des Bikini-Atolls. Im November 1948 kamen die Heimatlosen scheinbar wieder zu einer eigenen Insel: Kili.
Hanspeter Gsell
Im vergangenen Teil der Serie haben wir beschrieben, wie die Bikini-Atoll-Bewohner vertrieben wurden, weil die Amerikaner dort Atomtests durchführen wollten. Bei Kili, der neuen Heimat, handelte es sich nicht um eine flache Atoll-Insel mit Lagune, Sandstrand und Beachbar, sondern um einen einzelnen Inselbrocken im stürmischen Wasser. Fast das ganze Jahr donnerten Wellen in Höhen von drei bis sechs Metern an die Küste, die Fischer konnten ihre traditionellen Boote nicht ins Wasser lassen.
Und so schenkten ihnen die lieben Amerikaner ein richtiges, wenn auch kleines Schiff, damit sie Büchsenfleisch, Büchsensardinen und Büchsenbier auf der entfernten Hauptinsel «fischen» konnten. Doch auch so blieb das Leben beschwerlich für die Menschen. Die raue See verhinderte vielfach die Überfahrt, 1951 zerschellte das Schiff prompt an einem Riff. Deshalb waren es jetzt wieder die Amerikaner, die ihre Carepakete – deren Inhalt werden Sie ja mittlerweile kennen – nach Kili fuhren.
Kili und der Taifun
Manchmal hatten sogar sie Schwierigkeiten bei der Landung, und so mussten die Büchsen zwischendurch aus Flugzeugen abgeworfen werden. Und als ob der Probleme nicht schon genug gewesen wären, verwüsteten in den Fünfzigerjahren auch noch zwei Taifune die Insel Kili. Und langsam, aber sicher verfluchten die Menschen ihre neue Heimat als Gefängnisinsel und hatten nur noch einen Wunsch: Sie wollten zurück nach Bikini.
Dort hingegen hatten die Amerikaner ganze Arbeit geleistet – Bikini war über die Jahre hinweg völlig zerbombt und verstrahlt worden. Palmen und Brotfruchtbäume waren von den Druckwellen und Feuerbällen weggeblasen worden. Die Riffe waren von Hunderten von Bomben zerlöchert.
Trotzdem versprach Präsident Lyndon B. Johnson den Menschen 1967, sie wieder in ihre alte Heimat zurückzuführen und gab der Armee die Order, ihren Saustall endlich aufzuräumen. Tatsächlich machte man sich schon bald an die Arbeit. Zuerst schmiss man die radioaktiven Abfälle – und dazu gehörte so ziemlich alles, was auf der Insel herumlag, auch die verbliebene Erde – in die Lagune oder stopfte damit die unschönen Bombenkrater zu. So einfach ging das! Man pflanzte Palmen und Brotfruchtbäume und sicher auch noch ein paar Geranien und verkündete 1969 stolz:
«Es gibt keine Anzeichen mehr von Radioaktivität auf der Insel und wir können keine Schäden bei Pflanzen und Tieren feststellen.»
Wie wir aus eigener Erfahrung wissen, sind solche Messungen und deren Interpretation mit Vorsicht zu geniessen. Was ist unter einer erhöhten Strahlung von Plutonium 239 zu verstehen? Was ist daran so schlimm, wenn der Cäsium-137-Gehalt im Körper eines Bikis elfmal höher ist als bei einem Farmer in Texas?
Ist es nun gefährlich oder nicht, wenn das Wasser in der Lagune von Bikini eine Überdosis an Strontium-90 enthält? Und was hat dies alles mit Feinstaub, Ozonloch und CO2-Ausstoss zu tun? Und ist es wirklich so schlimm, wenn die Kokosnusskrabben von Bikini im Dunkeln blau leuchten? Immerhin sieht man sie dann besser, und älter als die von Kili sollen sie auch noch werden!
«Was soll’s», werden sich im Spätherbst zwei Grossfamilien gedacht haben. Lieber würdig radioaktiv als unwürdig heimatlos!
Und so packten sie erneut ihre Koffer und bezogen die liebevoll betonierten Häuser auf dem Bikini-Atoll.
Gewiss doch wurde das Atoll «lückenlos überwacht» und so kam man bereits 1975 zum Schluss, dass Bikini «entgegen allen Vorhersagen stärker radioaktiv verseucht war, als wir gedacht hätten». Man entschied, dass Kokosnüsse, Brotfrüchte, Kokosnusskrabben und gleich auch noch das Trinkwasser radioaktiv verseucht seien.
Umgehend fanden die Politiker auch unbestechliche Wissenschaftler, die behaupteten, dass kein signifikantes Risiko bestehe und somit die Bevölkerung nie, zu keinem Zeitpunkt und überhaupt nie in Gefahr gewesen sei, es jetzt nicht sei und zu keinem späteren Zeitpunkt sein werde.
Trotzdem wurde sofort eine Projektgruppe zusammengestellt, die sich während dreier Jahre – wie hätte es auch anders sein können – ausführlich mit sich selbst beschäftigte, und sich 1978 zum sensationellen Beschluss durchrang, dass Radioaktivität in hohem Masse gefährlich sei. Und so kamen die Menschen von Bikini einmal mehr zu einer kostenlosen Schiffsreise. Auf eine eigene Insel dagegen verzichteten sie dankend und so leben sie heute heimatlos in der Fremde.
Möchten Sie vielleicht noch wissen, wie es denn um die Finanzen dieser Menschen steht? Hat man ihnen wenigstens einen angemessenen Preis für das Häuschen auf Bikini bezahlt oder wurden sie einfach enteignet? Wie Sie bereits wissen, hatten ja die guten Amerikaner die Inseln von den bösen Japanern befreit und betrachteten sich landläufig als deren rechtmässige Besitzer. Somit war vorerst nicht mit einer Zahlung zu rechnen.
Geldgier
Ganz abgesehen davon: Man hatte den Menschen nicht nur eine andere Insel geschenkt, sondern sie auch noch ununterbrochen mit Dosen versorgt. Weshalb sollte man ihnen auch noch Geld nachwerfen? Das Land war ja ohnehin nichts mehr wert!
Unter dem Druck der UNO sahen sich die Amerikaner dann allerdings veranlasst, Kompensationszahlungen zu leisten. Sie zahlten für das Atoll 25 000 Dollar und äufneten einen Fonds in der Höhe von 300 000 Dollar. Daraus erhielt jeder ehemalige Bürger von Bikini zweimal jährlich einen Verrechnungsscheck.
Geldgierig wie sie waren, gaben sie sich mit dieser aussergewöhnlich grosszügigen Geste nicht zufrieden und klagten gegen die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika. Daraufhin wurden der Fonds und die atomare Rente leicht erhöht.
Aber auch dies war einigen Bürgern und deren Rechtsanwälten noch immer nicht genug. Und so klagten sie in den Neunzigerjahren beim «Nuclear Claims Tribunal» auf die Zahlung von unglaublichen 563 Millionen Dollar. Und sie bekamen recht!
Wie wir wissen, beinhaltet ein solcher Richterspruch noch lange nicht, dass das Geld auch wirklich gezahlt wird. Und so wartet man auch heute noch auf die Checks aus Washington D.C. Die Forderung belief sich Ende 2008 inklusive Zinsen auf genau 724 560 902 Dollar.
Die Amerikaner werden mit der Zahlung wohl noch zuwarten. Denn bereits im Jahr 32 006 wird das Bikini-Atoll Berechnungen zufolge wieder frei von Radioaktivität sein!
Infolge des bis dahin massiv gestiegenen Meeresspiegels werden die Inseln zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits mehrere Meter unter Wasser liegen.
Wo also liegt das Problem? Fortsetzung folgt.
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.
Bisher erschienen:
Teil 1 (19. Juni), Teil 2 (26. Juni),
Teil 3 (4. Juli), Teil 4 (8. Juli), Teil 5 (15. Juli),
Teil 6 (22. Juli), Teil 7 (31. Juli)