Heimat und Chemnitz ineinander verwoben
12.08.2025 Kultur, BuusTextilkünstlerin Judith Mundwiler stellt in der «Kulturhauptstadt Europas 2025» aus
In Chemnitz, heuer die «Kulturhauptstadt Europas», stellt Judith Mundwiler mit Freundinnen aus. Das Trio stösst mit seiner Textilkunst in der ehemaligen DDR-Stadt auf ...
Textilkünstlerin Judith Mundwiler stellt in der «Kulturhauptstadt Europas 2025» aus
In Chemnitz, heuer die «Kulturhauptstadt Europas», stellt Judith Mundwiler mit Freundinnen aus. Das Trio stösst mit seiner Textilkunst in der ehemaligen DDR-Stadt auf Beachtung, auch weil Chemnitz – wie das Oberbaselbiet – einst von dieser Industrie lebte.
Jürg Gohl
Vor dem Haus von Judith Mundwiler plätschert ein Brunnen. Den eingebauten Filter, der das Wasser reinigt, muss die Familie regelmässig ersetzen. Je nach Wetterlage, Windrichtung und Jahreszeit sind diese Filter unterschiedlich gefärbt: gelblich, wenn viele Pollen fliegen, ockerbraun vom Saharastaub, und der Strassenstaub sorgt für die Schwarztöne.
In der Regel werden diese so eingefärbten, verschmutzten Filter entsorgt, ausser bei Judith Mundwiler. Die Textilkünstlerin aus Buus sammelt die Filter, schneidet sie auf und versieht das nun lang gestreckte Filterpapier mithilfe eines Lötkolbens mit Notizen in einer nur ihr verständlichen Schrift. Das Werk ist typisch für ihre Kunst. Alltägliches und auf den ersten Blick Unspektakuläres wird gesammelt, nach Farbton, Chronologie oder Zufall zusammengenäht; repetitiv auf den ersten Blick, detailreich ab dem zweiten. Nie sind ihre Bilder rein dekorativ. Kein Material aus dem Alltag ist vor ihr sicher.
Zwei weitere Bilder, mit denen Judith Mundwiler aktuell in Chemnitz für Furore sorgt, sind die Hunderten von gebrauchten Teebeuteln, die sie zu einem «goldenen, transparenten Vorhang» (so im Ausstellungsbeschrieb) zusammengenäht hat, sowie das Bild «Mai 2020», bei dem sich die leuchtend blaue Fläche beim genauen Hinsehen aus lauter gebrauchten Parkhaus-Tickets mit entsprechend unterschiedlichen Lochungen zusammensetzt.
«Jedes dieser Billette verbirgt eine persönliche Geschichte aus der Zeit des Lockdowns», erklärt die Künstlerin, die als Erwachsenenbildnerin viele Jahre an der Pädagogischen Hochschule ihr Fachgebiet unterrichtet hat und sich heute ganz ihrer Kunst widmet. «Als Ganzes zeigt das Bild für mich den von Kondensstreifen freien Himmel während der Corona-Zeit.»
Judith Mundwiler zeigt seit Jahren mit den beiden deutschen Künstlerinnen Gabi Mett aus Essen und Pascale Goldenberg aus Freiburg unter dem Namen T.O.P. («Textile Open Project») in deutschen Museen ihre Werke. Dabei lösen ihre Arbeiten in einer eher wenig bekannten Kunstsparte ein so hohes Echo aus, dass die drei 2024 die Anfrage erhielten, ihre Arbeiten im «Textil- und Rennsport-Museum» in Hohenstein-Ernstthal auszustellen.
Ein breiteres Publikum
Das Haus befindet sich in Chemnitz am «Purple Path» und damit am offiziellen Weg der Anlässe und Ausstellungen in der diesjährigen Kulturhauptstadt Europas. Dies wiederum führt dazu, dass sich die Textilkunst für einmal einem breiteren Publikum vorstellen kann.
Damit komme sie auch vom Image als Kunstform «für überspannte Hausfrauen, die sich die Zeit totschlagen» los, wie das eine Journalistin der «Freien Presse» bewusst ketzerisch formulierte. Die Ausstellung dauert noch bis zum 17. August. Sie sei bisher «sehr gut» besucht worden, sagt Judith Mundwiler in einer Zwischenbilanz, und sei in Reaktionen als «inspirierend» bezeichnet worden.
Die in Tenniken und Liestal aufgewachsene und vielfach international preisgekrönte Künstlerin weist auch auf die thematische Verbindung zum Ausstellungsort, dem Textil- und Rennsport-Museum in der Nähe des Sachsenrings, hin. Die Stadt Chemnitz, die zu Zeiten der DDR Karl-Marx-Stadt hiess, lebte früher nicht nur vom Bergbau, sondern auch von der Textilindustrie. Das Museum zeigt deshalb neben Industrie-Nähmaschinen tatsächlich auch Posamenterwebstühle.
Nylonstrümpfe für den Westen
«Hier wurden zu DDR-Zeiten unter anderem Nylonstrümpfe hergestellt, die alle in den Westen verkauft wurden, weil sie im eigenen Land als dekadent galten», erklärt Judith Mundwiler, die sich im Vorfeld mit der Geschichte des Hauses auseinandergesetzt hat und so auf den thematisch engen Bezug zum Oberbaselbiet gestossen ist.
Dieses wichtige Kapitel heimischer Industriegeschichte hat die Künstlerin ebenfalls in ein Werk verwoben, das in der aktuellen Ausstellung unter dem Titel «11 Stunden Arbeit, beten und keine Spiegel» zu sehen ist. Dabei verwendet sie die Papierbänder, mit denen in der Textilindustrie die Stoff-Laufmeter abgemessen wurden, zusammen mit aktuellen Zeitungsberichten über die damaligen Zustände in den Fabriken. Schön auf den ersten Blick, herausfordernd auf den zweiten.