Happy End nach mühseliger Pfarrsuche
22.11.2024 ReigoldswilIm August 2023 wurde die Pfarrwahlkommission eingesetzt, am Dienstag konnte sie nach vielen ungenügenden Bewerbungen der Kirchgemeindeversammlung endlich einen Vorschlag präsentieren: Dorothee Löhr (60) soll Nachfolgerin des vor einem Jahr abgetretenen Pfarrehepaars werden. Sie ...
Im August 2023 wurde die Pfarrwahlkommission eingesetzt, am Dienstag konnte sie nach vielen ungenügenden Bewerbungen der Kirchgemeindeversammlung endlich einen Vorschlag präsentieren: Dorothee Löhr (60) soll Nachfolgerin des vor einem Jahr abgetretenen Pfarrehepaars werden. Sie wurde einstimmig gewählt.
Andreas Hirsbrunner
Die «reformierten Herzen» in Reigoldswil und Titterten hat Dorothee Löhr im Sturm erobert – im August jene der 18-köpfigen Pfarrwahlkommission, im September jene der Besucherinnen und Besucher ihres Probegottesdiensts in Titterten und als Schlusspunkt ihrer Bewerbungstour am vergangenen Dienstag jene der Kirchgemeindeversammlung. Diese ernannte sie einstimmig und mit grossem Applaus zur neuen Pfarrerin von Reigoldswil und Titterten.
Damit endet eine mühselige Suche nach einer Nachfolge des im Oktober vergangenen Jahres abgetretenen Pfarrehepaars. Kirchgemeindeund Pfarrwahlkommissionspräsident Karl Bolli sagte an der Versammlung zu diesem Prozess: «Es war ein langer Weg und brauchte viel Geduld. Wir haben die Stelle seit vorletztem Sommer immer wieder ausgeschrieben und elf Bewerbungen geprüft, mussten aber teils nach Gesprächen, teils nach Gottesdiensten absagen, weil uns die Personen nicht überzeugt haben. Bis dann Dorothee Löhr als zwölfte Bewerberin kam und uns alle mit ihrer Herzlichkeit auf Anhieb überzeugte.»
Gegenüber der «Volksstimme» ergänzt Bolli, dass auch ihre Offenheit, ihr Humor, ihre guten Zeugnisse sowie ihr Verstehen des Schweizerdeutschs zum rundum positiven Bild beigetragen hätten. Und ihr Probegottesdienst sei tiefgründig, aber nicht abgehoben gewesen und habe die Leute angesprochen. Ihren Humor liess die trotz ihrer 60 Lebensjahre quirlig wirkende Deutsche auch in der kurzen Vorstellungsrunde vor der Versammlung aufblitzen: «Meine Eltern sind beide Biologen und meine Mutter hat in den USA Affen trainiert, als ich als erstes von fünf Kindern auf die Welt kam. Ich war somit für sie der fliessende Übergang von den Affen zu den Menschen.»
Löhr arbeitete die letzten 17 Jahre als Pfarrerin in Mannheim, wo es ihr gut gefallen hat und wo man sie offenbar auch nur ungern ziehen lässt. Sie sei nun sehr gespannt auf die Schweiz, weil hier alles etwas anders sei. Und sie freue sich speziell auf jene Bereiche, bei denen es Luft nach oben gebe, wie zum Beispiel die Gründung eines Kinderchors.
Sie will am Jodlerfest mitmachen
Doch die grosse Frage blieb vor der Versammlung offen: Wieso zieht es eine deutsche Theologin, die ihr ganzes 35-jähriges Berufsleben als Pfarrerin im nördlichen Nachbarland verbracht hat und deren Ehemann als Professor für Kirchengeschichte an der Universität Heidelberg lehrt, von der Grossstadt Mannheim tief ins Hintere Frenkental?
Dorothee Löhr meint dazu am Tag nach der Versammlung lächelnd: «Ich habe das Inserat Ende Juni gesehen, Anmeldeschluss war am 4. Juli. Da entschied ich: Wenn noch ein beruflicher Wechsel, dann jetzt oder nie.» Innerhalb von Deutschland hätte sie ihre Stelle nicht mehr gewechselt, aber die Schweiz töne nach Abenteuer, das habe sie gereizt. Und für die Region Basel spreche, dass es nicht so weit weg von Mannheim sei, denn ihr Mann, der drei Jahre älter ist als sie, wolle bis zu seiner Pensionierung an den Wochenenden pendeln. Danach ziehe er ganz nach Reigoldswil.
Dort hat es im Pfarrhaus, das derzeit renoviert wird und in das Löhr in zwei Monaten einziehen will, mehr als genügend Platz für das kinderlose Paar. Dorothee Löhr freut sich schon darauf, ihre Sippe bestehend aus ihren Eltern, den vier Geschwistern mit ihren 16 Kindern samt Anhang hier einzuquartieren und ihnen die attraktive Landschaft um Reigoldswil zeigen zu können.
So hat sie auf dem Weg von Mannheim zur Kirchgemeindeversammlung in Titterten bereits mehrere Betten und einen Flügel gekauft. Musik und Kultur seien ihre grosse Leidenschaft, sagt Löhr; sie spielt neben Klavier auch Geige und Trompete und ganz neu Alphorn. Dazu Löhr: «Ich freue mich ganz besonders aufs Jodlerfest von nächstem Juni in Reigoldswil und hoffe, bis dann ein Alphorn-Level erreicht zu haben, dass ich mitspielen kann.»
Eine Pfarrerin auf der Überholspur
Doch zurück zu ihrem Wechselentscheid, bei dem noch mehr mitspielte. Löhr: «Der Schritt nach Reigoldswil-Titterten heisst für mich auch, zurückzukehren in die reformierte Welt. Ich arbeitete vor Mannheim während sieben Jahren als reformierte Pastorin in Hamburg. Das hat mir sehr gut gefallen.» Dann sei sie als «brave Ehefrau» ihrem Mann nach Mannheim gefolgt, wo sie Teil der Badischen Kirche, einer Mischung zwischen lutherischer und reformierter Kirche, sei. Was ist der Unterschied? Löhr: «Reformiert heisst für mich, Konzentration auf das Wesentliche.»
Dazu komme, dass die Anstellungsbedingungen in der Schweiz attraktiv seien. Hier sei sie für etwa 1000, in Mannheim für fast 4000 Kirchenmitglieder zuständig und habe somit mehr Zeit für den Einzelnen. Hier könne sie auch über die Pensionierung hinaus vertraglich abgesichert weiterarbeiten, während sie in Deutschland nach der Pensionierung nur noch ehrenamtlich tätig sein könne. Heisst das, dass sie in Reigoldswil länger als fünf Jahre berufstätig bleiben will? «Das ist die Mindestdauer. Ich bin gesund und kann mir derzeit nicht vorstellen, nicht zu arbeiten. Ich finde es schön, dass ich in der Schweiz die Option auf ein längeres Wirken habe.»
Wegen all dem nimmt Löhr mit einem Achselzucken in Kauf, dass sie die Versammlung nur für zwei Jahre als Stellvertreterin ernennen konnte und sie erst danach als festangestellte Pfarrerin wählen kann. Grund dafür ist, dass dieses Prozedere vorgeschrieben ist, wenn eine Pfarrperson nicht in der Schweiz ordiniert worden ist. Auch wird Löhr während ihrer Stellvertreter-Zeit zwei Lohnklassen tiefer eingestuft.
Kaum ist das Gespräch fertig, eilt Löhr zu ihrem Auto, weil sie in zwei Stunden in Karlsruhe erwartet wird. Dies nicht ohne vorher noch zurückzurufen: «Das schnelle Autofahren ist eine meiner Schwächen.» Überhaupt sei sie für viele manchmal zu schnell – im Denken, Reden und Entscheiden. Und ihre Stärken: «Dazu gehört, dass ich neugierig bin und mich für die Menschen und das Leben zwischen Himmel und Erde interessiere.» Die Autotür fällt ins Schloss und Löhr braust davon. Im Januar braust sie wieder an, am 2. Februar hält sie ihren Antrittsgottesdienst in Reigoldswil.