Handtaschen und Betelnüsse
26.06.2025 SissachUnterwegs im Nordpazifik, Teil 2: Insel Yap
Sonntag, 8. Dezember. Lange Zeit mussten wir auf unsere Rückkehr auf die mikronesische Insel warten. Heute Nacht um 1.10 Uhr sind wir holprig und Formel-1-mässig auf dem internationalen Flughafen von Yap gelandet.
...Unterwegs im Nordpazifik, Teil 2: Insel Yap
Sonntag, 8. Dezember. Lange Zeit mussten wir auf unsere Rückkehr auf die mikronesische Insel warten. Heute Nacht um 1.10 Uhr sind wir holprig und Formel-1-mässig auf dem internationalen Flughafen von Yap gelandet.
Hanspeter Gsell
Als wir am nächsten Morgen aufwachten erwartete uns ein einmaliger Anblick. Über der Ruine von O’Keefes Villa auf der Insel Tarang – diese liegt genau vis-à-vis – hatte sich ein Regenbogen breit gemacht. Entgegen meinem Wissen war dieser nicht halbrund wie im Baselbiet, sondern füdli-flach wie eine Flunder. Ich bin froh, dass Bucheli vom Schweizer Fernsehen nicht hier ist. Er hätte mir sonst in einem mehrstündigen Vortrag die Geometrie von tropischen Regenbögen erklärt. Dabei ist die Wettervorhersage hier so einfach:
«Auch heute wieder Wetter, Wetter, Wetter.»
Handtaschen für Männer
Männer-Handtaschen aus Bast gehören zu Yap. So wie Schokolade, Käse und Banken bis in alle Ewigkeit mit der Schweiz verbunden zu sein scheinen, so gehört das schicke Täschchen zu Yap. Es wird aus den Fasern des Pandanus-Baumes geflochten und gehört auf dieser kleinen Insel im Pazifik zu Mann und Frau. Was aber machte diese Taschen derart speziell, weshalb gehören sie einfach dazu? Weshalb sind sie aus dem Leben eines Yapesen nicht wegzudenken?
Man transportiert in den Basttaschen die wichtigen Dinge des täglichen Bedarfs. Und dazu gehören hier nun mal die Betelnüsse, die Früchte der Areka-Palme. Damit diese beim Kauen ihre volle Wirkung entfalten können, benötigt man zusätzlich fein gemahlenen Korallenkalk und das Blatt eines bestimmten Pfefferstrauchs.
Die Nüsschen werden, zusammen mit dem Kalk, in die Pfefferblätter eingewickelt. Ein Prise Tabak soll sowohl die Wirkung als auch den Genuss verbessern. Worin aber besteht die Wirkung? Natürlich habe ich es versucht, in dieser Beziehung ist mir nichts fremd.
Betelnüsse
Ich stecke mir ein Päckchen hinter die Bäckchen, schiebe es mal von rechts nach links, mal von links nach rechts. Das Reden wird problematisch. Oder ist es eher das Verstehen?
Meine Aussprache wirkt offenbar seltsam, meine Frau versteht mich kaum mehr. Allerdings spreche ich auch ohne Betelnüsse im Mund manchmal undeutlich. Backen und Lippen werden gefühllos; der mir von Freunden prophezeite rauschähnliche Zustand bleibt jedoch aus.
Durch die Nuss im Mund bekomme ich, wie viele meiner einheimischen Freunde auch, leicht aufgeblasen wirkende Backen. Nach einer Weile wird der Speichel rot. Nun müsste er nach Landessitte auf den Boden ausgespuckt werden. Heute aber benutzt man dazu eine umweltfreundliche, leere Getränkedose, die ebenfalls in Basttäschchen Platz gefunden hat. Wenn diese voll ist, entsorgt man sie umwelt-unfreundlich in der Lagune …
Das Betelkauen wird seit Jahrhunderten praktiziert; Schätzungen zufolge in Ostafrika und Asien von mehr als 450 Millionen Menschen. Die Betelnuss hat in der genannten Kombination eine berauschende Wirkung, ähnlich wie Alkohol. Wer seinen Alltag vergessen oder weniger Hunger verspüren will – auch dies ist ein Nebeneffekt des Betelnusskauens – greift auf diese Methode zurück. Die Zähne der Teenager verfärben sich rot bis schwarz, dann fallen sie aus. Die verbleibenden schwarzen Stummel sind kein schöner Anblick und erschweren die Brautschau.
Falupa
Dann doch lieber ein Gläschen Falupa, die mikronesische Version der Tuba, des philippinischen Palmweins. Dort wird der «Wein» aus dem Saft einer bestimmten Palme gewonnen. In Yap steigt man zu diesem Zweck mit einer leeren Flasche auf die Palme und gewinnt dort den Saft aus den Stängeln der Blätter. Er fliesst direkt in die Flachen. Nach ein paar Stunden holt man diese wieder herunter. Lässt man den Saft in der Sonne stehen, wird daraus nach zwei bis drei Tagen ein für unseren Geschmack grauenhaftes Getränk. Das von Natur aus zuckerhaltige Getränk ist nämlich jetzt vergoren und schmeckt wie abgestandene Füsse.
Nur leicht angegoren und eisgekühlt serviert, ist Falupa jedoch ein süffiges Getränk mit dem leichten Geschmack nach Moscato-Trauben und der Süsse des Zuckerwassers.
Wir sind dann mal am Regieren
Am 10. Mai 1979 trat der Vertrag über die freie Assoziierung mit den USA (Compact of Free Association) in Kraft. Die Föderierten Staaten von Mikronesien (Yap, Chuuk, Pohnpei, Kosrae) wurden, nach vielen Jahren der Besetzung durch Spanier, Deutsche, Japaner und Amerikaner, (beinahe) unabhängig. 1991 wurden die Föderierten Staaten von Mikronesien auch offiziell unabhängig.
Obwohl nur wenige Menschen wussten, was es denn mit dieser Unabhängigkeit auf sich haben könnte, feierte man zunächst fröhlich vor sich hin. Chief Otto, der Häuptling, offerierte Freibier für alle, seine Frau hatte eine Wanne Falupa angesetzt.
Irgendwann aber war die Party vorbei und man machte sich ans Regieren. Dank der neuen Verfassung – einem besonders hinterhältigen Geschenk des amerikanischen Volks – war Chief Otto bereits im Vorfeld der Unabhängigkeit zum Gouverneur von Yap sowie zum Senator und Kongressabgeordneten der Föderierten Staaten von Mikronesien gewählt worden.
Zum ersten Mal in seinem insularen Leben verfügte er nicht nur über ein persönliches Einkommen, sondern hatte gleich auch noch die Verfügungsgewalt über ein ansehnliches Budget. Als Erstes kaufte er sich einen japanischen Pick-up mit Klimaanlage, baute sich ein Haus und buchte Ferien auf Hawaii. Mit dem Rest errichtete er ein kleines Hotel mit Wellnessbereich inklusive finnischer Sauna und türkischem Dampfbad.
Wer macht was?
Alsdann waren noch einige anfallende Arbeiten zu verteilen. Dank eines amerikanisch inspirierten Organigramms mussten noch diverse Positionen optimal besetzt werden. So ernannte er seinen Bruder zum Hafendirektor, die Schwester wurde Präsidentin des Gleichstellungsbüros für Mann und Frau.
Sollte die Schwester keine Ahnung von Gleichstellung haben, wäre dies kein Hinderungsgrund für deren Präsidentschaft. Man würde ihr ohnehin einen Amerikaner, einen «Advisor», mit exzellenten Fachkenntnissen zur Seite stellen.
Den älteren Cousin berief er zum Hauptmann der Feuerwehr sowie zum Chef des Forstamtes und beförderte ihn gleichzeitig zum Vizepräsidenten des Fischereiverbands. Seine Cousine Uek bestimmte er zur Direktorin des lokalen Katastrophenhilfebüros. Elvis, der missratene Sohn, übernahm das insulare Abfallwesen. Die Löhne und die Spesenvergütungen liess man sich vorsichtshalber für ein halbes Jahr im Voraus auszahlen.
Neu verfügte man auch über ein stattliches Budget für Repräsentationsaufgaben. Da niemand genau wusste, was darunter zu verstehen war, kaufte sich der Gouverneur mehrere Kanuladungen Bier (USA), Dosenfisch (Japan), drei fette Schweine (lebend), philippinische Zigaretten (Hope), Kaffee, Zucker, Kaffeerahm in Pulverform und ein wohltemperiertes Klavier (!). Dazu kamen noch die Mitgliedschaften für sich und seine Frau im Continental Airlines Presidents Club im «Guam International Airport» (465 US-Dollar).
Reichte der Monatslohn einmal nicht, zahlte man sich einfach einen zweiten aus.
Früher war alles anders
Alles ist im Umbruch. Die Basttaschen sind seltener geworden. Man kauft heute für drei Dollar farbige Plastiktäschchen im Laden von Mister Wong. Darin kann man die zum Betelnusskauen benötigten Utensilien bestens verstauen. Der Schwiegermutter hätte man nämlich zehn Dollar für das Basttäschchen zahlen müssen!
Die Baströcke werden nicht mehr aus Bast, sondern aus japanischen Kunstfasern zusammengenäht. Diese sind ebenfalls bei Mister Wong erhältlich.
Getanzt wird nur noch gegen Geld und Voranmeldung.
Kanus und Auslegerboote hat man im Meer versenkt, man fährt jetzt mit Vorliebe Suzuki mit Klimaanlage. Die Höchstgeschwindigkeit auf der Insel beträgt 30 Meilen (etwa 48 km/h).
Reis wird nicht mehr angebaut. Noch erahnt man an manchen Hügeln die alten Reisterrassen. Die Grosseltern hatten die Anbautechnik von den Japanern gelernt. Heute kauft man amerikanischen Reis im Laden von Mister Wong.
Hatte früher jede Familie eine Sau, die sie mit ihren Küchenabfällen mästete, um sie später gewinnbringend zu verkaufen, holt man sich den Bauchspeck heute ebenfalls bei Mister Wong. Das Geld dazu lässt man sich von der ausgewanderten Verwandtschaft aus den USA kommen. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regeln.
Die Aufzählung kann beliebig fortgesetzt werden.
Die Mikronesier und damit auch die Yapesen gehörten vor noch nicht allzu langer Zeit noch zu den besten Seefahrern der Welt. Mit ihren Kenntnissen des Sternenhimmels und dem althergebrachten Wissen über Wind, Wellen und Strömungen segelten sie von Mikronesien nach Hawaii. Beinahe 6000 Kilometer ohne Kompass und Navi!
Mit der Zeit hat man es fertiggebracht, die uralte Kultur völlig zum Verschwinden zu bringen, man ist völlig vom Ausland abhängig geworden. Heute gibt es europäische Entwicklungshelfer, die den Einheimischen beibringen, wie man Kanus baut, alte Seekarten liest und auf Auslegerbooten zu abgelegenen Inseln segelt.
Die heutigen Bestrebungen der Amerikaner, alles wieder rückgängig zu machen, werden scheitern, die Chinesen haben bereits einen Fuss in die halb geöffnete Tür gestellt.
Ob es noch Hoffnungen gibt? Ich bezweifle es. (Fortsetzung folgt.)
Bisher erschienen: Teil 1 (19. Juni)
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.