«Halb so wild» oder Weltuntergang
23.12.2025 SissachEine Datenschützerin und ein Hirnforscher diskutieren bei Ueli Mäder
Die breite Ratlosigkeit, mit der wir der Künstlichen Intelligenz begegnen, konnte am monatlichen Streitgespräch mit Ueli Mäder im Sissacher «Cheesmeyer» nicht beseitigt werden. Das ...
Eine Datenschützerin und ein Hirnforscher diskutieren bei Ueli Mäder
Die breite Ratlosigkeit, mit der wir der Künstlichen Intelligenz begegnen, konnte am monatlichen Streitgespräch mit Ueli Mäder im Sissacher «Cheesmeyer» nicht beseitigt werden. Das Thema überfordert alle – nicht nur an diesem Abend.
Jürg Gohl
«Natur mit KI retten?»: Mit diesem Titel liessen sich am Donnerstag rund 70 Besucherinnen und Besucher zur letzten Ausgabe von Ueli Mäders Gesprächsreihe in diesem Jahr ins Sissacher Bistro Cheesmeyer locken. Wer von Danielle Kaufmann, der früheren SP-Grossrätin und jetzigen Datenschutz-Beauftragten des Kantons Basel-Stadt, oder John-Dylan Haynes, dem Professor, Gehirnforscher und Neuro-Wissenschaftler an der Berliner Charité, eine Antwort auf diese Hoffnung weckende Frage erhoffte, der musste ernüchtert heimkehren. Vielmehr drehte sich die Diskussionsrunde um die Frage, wie wir die Künstliche Intelligenz (KI) unter Kontrolle behalten können. Zwei Stunden Slalom zwischen «halb so wild» und Weltuntergang.
Wenn der Abend, mit dem sich Soziologe und Gesprächsleiter Ueli Mäder auf ein ihm weniger vertrautes Terrain vorgewagt hat, eines gezeigt hat, dann ist es diese Erkenntnis: Wir stehen der Künstlichen Intelligenz, die uns täglich auf dem Computer ihre Dienste anpreist und in Sekundenschnelle für uns Recherchen erledigt oder aus wenigen Stichworten einen Bericht zusammenstellt, ziemlich ratlos gegenüber.
«Wie eine Bohrmaschine funktioniert, kann ich erklären», bringt das John-Dylan Haynes mit einem Bonmot auf den Punkt, «bei KI kann ich das nicht.» Das liege nicht nur am fehlenden Verständnis der Öffentlichkeit, wie KI funktioniere, sondern auch am Tempo, mit dem sie sich in unser Leben und in die Privatsphäre fresse, sind sich die beiden Gäste einig. Allerdings wird Haynes gegen Ende des Abends auch relativierend an die Zeit erinnern, als vor rund 60 Jahren die Taschenrechner zum Allgemeingut wurden. «Damals haben wir das Kopfrechnen auch nicht verlernt», beschwichtigt er. «Die KI wird uns aufgedrängt», sagt Danielle Kaufmann einmal im Verlauf des Abends, «wir können uns aber wehren.» Ihr als Datenschutzbeauftragten bereite die Entwicklung, wie Tech-Firmen immer besseren Zugang zu unseren Daten erlangen, grosse Sorgen. Kaufmann legt sich deshalb sogar mit ihrem Arbeitgeber, dem Basler Regierungsrat, an, wenn dieser zu sorglos agiert.
Die Politik in der Pflicht
Danielle Kaufmann weist auch auf den Widerspruch hin, wenn die Gesellschaft in den Sozialen Medien von sich bereitwillig alles Denkbare preisgibt und gleichzeitig auf Datenschutz pocht. Mut schöpft sie aus einer starken, widerstandsfähigen und weniger Technik-gläubigen Gegenbewegung, die sie zu beobachten glaubt.
Auch der deutsche Neuro-Wissenschaftler aus Berlin nimmt die Politik in die Pflicht. John-Dylan Haynes fordert, dass sämtliche von KI geschaffenen Produkte – Filme, Texte, Musik und so weiter – entsprechend deklariert werden und Verstösse «drakonisch» geahndet werden. «Die Echtheit ist heute ein riesiges Problem», sagt er und denkt dabei auch an politische Einflussnahme. Damit hänge auch zusammen, dass sich die Künstliche Intelligenz schamlos bei bereits erschienenen Texten und auch bei der geleisteten Recherche bedient. «Es verdienen aber nicht die Schreiber und Rechercheure, sondern die Parasiten.»
Danielle Kaufmann stellt fest, dass das gegenwärtig führende gesellschaftliche Thema in der Öffentlichkeit immer stärker polarisiert. Die einen seien begeistert und würden sie für eine hervorragende Errungenschaft halten, die anderen befürchten, dass diese Sammlung des gesamten verfügbaren Wissens und aller greifbaren Daten die Kontrolle über uns gewinnen könnte. Sie ist auch überzeugt, dass die viel diskutierte Errungenschaft unseren Alltag auf den Kopf stellen wird und führt als Beispiel die Schule an. «Wie werden in ein paar Jahren meine Enkel unterrichtet?», fragt sie in die Runde, «lernen sie noch, empathisch zu schreiben?»
Menschliche Intelligenz vorne
Dort sitzt in der ersten Reihe auch der pensionierte Hausarzt Max Handschin aus Gelterkinden. Ihn bittet Ueli Mäder um eine Einschätzung. Der Kolumnist der «Volksstimme» zu neurowissenschaftlichen Themen teilt die Einschätzungen des Podiums. Auch er fordert von der Politik strenge Regeln. «Wir hinken hinterher», so Handschin und ergänzt: «Die KI-Firmen werden überschätzt. Die menschliche Intelligenz ist weiter als die künstliche.»
Wie sehr das Thema drängt, belegt auch das Magazin des «Tages-Anzeigers», das zwei Tage nach dem Podium erschien und sich schwergewichtig der KI zuwandte. Im von Menschenhand verfassten Editorial wird festgestellt, dass die Maschine «vorhersehbaren Text» produziere. Sie sei zudem «bedrückend humorlos».

