Graues Haar und Gänsehaut
16.12.2025 Sissach«Silver-Horns» und «Grienhorns» mit Thomas Heid füllen die Säle
Was vor elf Jahren mit einer Abschlussarbeit und einem Kleininserat von Thomas Heid begann, begeistert heute im Oberbaselbiet viele Saxofon-Spielerinnen und -Spieler im fortgeschrittenen Alter ...
«Silver-Horns» und «Grienhorns» mit Thomas Heid füllen die Säle
Was vor elf Jahren mit einer Abschlussarbeit und einem Kleininserat von Thomas Heid begann, begeistert heute im Oberbaselbiet viele Saxofon-Spielerinnen und -Spieler im fortgeschrittenen Alter und vor allem ihr Publikum: Die inzwischen 70 «Silver-Horns» und «Grienhorns» füllen die Hallen.
Jürg Gohl
«Da fliesst auch bei uns auf der Bühne die eine oder andere Träne der Rührung», gesteht Musikpädagoge Thomas Heid. Immer, wenn die von ihm ins Leben gerufenen «Silver-Horns» mit ihren Saxofonen bei «Highland Cathedral» in die Melodie der Dudelsäcke einstimmen, die das Stück eröffnen, ist die Gänsehaut-Stimmung direkt greifbar. Da ist es nebensächlich, ob die Band in einer kleineren Formation – wie vor einem Jahr am Jubiläumsanlass des Frauenvereins Sissach – auftritt oder in voller Stärke wie bei ihrem diesjährigen Jubiläumskonzert in Münchenstein.
Selbst wenn die riesige Seniorengruppe den schottischen Ohrwurm noch vor der Pause anstimmt, ist ihr bewusst, dass die Zuhörer auf Kosten von ein paar Taschentüchern eine Zugabe fordern. Schliesslich setzt das monumental vorgetragene Dudelsack-Stück auch am alljährlichen «Basel Tattoo» den Höhepunkt.
«Silver-Horns» statt Morgestraich
Dem Sissacher muss niemand mehr erklären, wie ein Erfolg versprechendes Programm zusammengestellt wird. Das Jahreskonzert im vergangenen Monat in Münchenstein bot einen Streifzug von Jazz und Swing über «Queen» bis hin zum Mix von Schweizer Volksliedern (ausführlicher Bericht in der «Volksstimme» vom 5. Dezember, Seite 15). Selbst die Klassik fehlt nicht. Dafür ist Heid, der langjährige Musikpädagoge und bekannte Arrangeur und Komponist in der Fasnachtsszene, mit seinen 61 Jahren viel zu erfahren.
Inzwischen nimmt bei ihm sein drittes Standbein neben der Musikschule und der Fasnacht die meiste Zeit in Anspruch: das Musizieren mit Frauen und Männern im besten Alter, wie wir sie hier nennen wollen. Alleine der Blick auf das vergangene Konzert, bei dem die junge Alphornspielerin Lisa Stoll und der Pianist Laurent Nicoud eingebunden wurden, unterstreicht, dass sein einstiges Projekt längst nicht mehr nebenbei geführt werden kann. In Münchenstein standen 70 meist Grauhaarige auf der Bühne, und ihnen hörten in der voll besetzten Kuspo-Halle 620 begeisterte Gäste zu.
Noch heute schüttelt Thomas Heid ungläubig den Kopf, wenn er diese Zahlen hört. «Am Anfang stand mein Zusatzstudium und das kleine Inserat in der ‹Volksstimme›», erzählt er. Nicht zuletzt, um als Musikpädagoge ein möglichst breites Spektrum abdecken zu können, bildete er sich in der norddeutschen Stadt Münster zum Musikgeragogen weiter. Dieses Studium soll ihn befähigen, ältere und demente Mitmenschen über die Musik zu erreichen und mit ihnen sogar zu musizieren. Auch heute tritt er mit seiner Band in Alters- und Pflegeheimen auf und stellt fest, wie sie dort die Bewohner berühren – zum Beispiel mit Weihnachtsliedern am Freitag in Ormalingen.
Keine Vorkenntnisse erforderlich
Für seine Abschlussarbeit setzte sich Thomas Heid 2014 zum Ziel, im Oberbaselbiet ältere Menschen zu suchen, die bereit sind, mit ihm Saxofon spielen. Vorausgesetzt wurden weder Vorkenntnisse, noch musste man Noten lesen können. Das Instrument habe den Vorteil, bei der angesprochenen Generation Erinnerungen an Jazz und die Zeit der Big Bands auszulösen. Zudem ist es dank seiner grossen Klappen für Leute, die nicht mehr ganz die Fingerfertigkeit der jungen Jahre besitzen, leichter zu erlernen.
«Ich hoffte auf vier, fünf Reaktionen auf mein Inserat», erzählt er, «es meldeten sich aber gleich 30 Interessierte.» Als Zeitungen und das Radio später über Heids erfolgreiches Projekt berichteten, löste dies gleich eine zweite, noch höhere Welle aus. Noch im gleichen Jahr wurden die «Silver-Horns» gegründet, drei Jahre später entstanden die «Grienhorns». Heute zählen sie zusammen 70 Aktive. Sie üben morgens in Gruppen und in verschiedenen Gemeinden unter dem Dirigat von Thomas Heid. Es habe sich sogar ein zehnköpfiges Grüppchen mit besonders Strebsamen gebildet, das sich jeweils freitags zum zusätzlichen Üben trifft.
Das gefällt Thomas Heid natürlich, auch wenn sich dadurch die Spanne zwischen den Stärkeren und den Schwächeren vergrössert. «Sie alle unter einen Hut zu bringen, gegenseitiges Verständnis zu schaffen und Musik zu finden, die jedem Können gerecht wird, ist meine wohl grösste Herausforderung», bestätigt der Bandleader. Noch immer wirken bei ihm Leute mit, die keine Noten lesen können.
Zum Jahresprogramm zählen neben wöchentlichen Proben auch intensive Probewochenenden in der ganzen Schweiz. Das führt dazu, dass bei den «Silver-Horns» und den «Grienhorns» nur Männer und Frauen mitmachen, die jeweils am Morgen Zeit für die wöchentlichen Proben finden. Meist sind das Pensionierte. Tatsächlich liegt das Durchschnittsalter bei 76 Jahren. Das jüngste Mitglied zählt zarte 60 Jahre, das älteste ist 84.
Das Fasnachtspiccolo hat der Sissacher Profi-Musiker aus Zeitgründen ganz an den Nagel gehängt. Längst ist die Band zu seiner beruflichen Hauptbeschäftigung herangewachsen, und seine Idee mit dem kleinen Sax-Grüppchen, das ihm vor elf Jahren für seine Abschlussarbeit eingefallen ist, hat bereits Nachahmer gefunden.
Sie hat ihm zudem 2017 den Preis der Jubiläumsstiftung der Kantonalbank eingetragen. Diesen investierte er sogleich in ein riesiges Bass-Saxofon für seine Band. «Manchmal kann ich es selbst nicht fassen, was da entstanden ist», sagt er, bevor er sich auf den Weg zur nächsten Lektion macht, «es erfüllt mich auch mit Stolz.»

