Genug ist nie genug
22.08.2025 Sissach«Cheesmeyer»-Gespräch mit einer Psychoanalytikerin und weiteren Gästen
vs. Sucht ist eine Form von Abhängigkeit. Zum Beispiel von Alkohol oder andern Genussmitteln. Was führt Menschen dazu und was hilft ihnen, damit umzugehen? Darüber ...
«Cheesmeyer»-Gespräch mit einer Psychoanalytikerin und weiteren Gästen
vs. Sucht ist eine Form von Abhängigkeit. Zum Beispiel von Alkohol oder andern Genussmitteln. Was führt Menschen dazu und was hilft ihnen, damit umzugehen? Darüber diskutiert Ueli Mäder im «Cheesmeyer» mit der Psychoanalytikerin Claudine Aeschbach, der Heilpädagogin Susanna Valentin, der Klima-Aktivistin Cécile Bessire und mit Nicolas P.. Er bezeichnet sich selbst als «genesend Süchtigen».
«Sucht ist für mich ein sehr stigmatisierendes Wort, weshalb ich es nicht gerne verwende», stellt Claudine Aeschbach fest. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie redet lieber von Abhängigkeit. Sucht käme von «siech», einem abwertenden Wort für «krank», das auch gegenüber Armen und der Unterschicht verwendet wurde. Die Abhängigkeit sei jedoch ein psychisches Problem, bei dem der Konsum von einer Substanz oder sonst etwas ausser Kontrolle gerate. Und zwar in einer Weise, in der ein Individuum sich selbst und eventuell auch seine Umgebung schädige. Wobei sich dieses Verhalten nicht einfach durch Willensanstrengung beenden lasse.
Nach gesellschaftlichen Ursachen gefragt, erwähnt Aeschbach «insbesondere die Verfügbarkeit des Konsummittels». Sie spiele bei der Abhängigkeit durchaus eine Rolle. Aber sonst betont die Psychotherapeutin «vor allem individuelle, gruppendynamische oder familiäre Dispositionen». Hinzu kämen allerdings «viele gesellschaftliche Umstände, die den Verlauf beeinflussen, wie zum Beispiel die Kriminalisierung, soziale Isolation, moralische Verurteilung oder Gleichgültigkeit». In der Schweiz habe sich da allerdings in den letzten Jahrzehnten schon einiges positiv verändert. Die Debatten seien sachlicher und liberaler geworden. Das habe dazu beigetragen, Vorurteile abzubauen. Aber nach wie vor gelte es, «die Probleme weder hoch zu stilisieren noch zu bagatellisieren», sagt die erfahrene Fachfrau, die schon seit einigen Jahren ihrem eigenen Nikotin-Konsum entsagt.
«Niemand ist vor einer Suchterkrankung gefeit», erklärt Susanna Valentin, die auch journalistisch tätig ist. «Krisen, die zu einem Suchtmittel greifen lassen», könnten alle treffen. Erkrankungen entstünden auch schleichend. Sie breiteten sich «Glas für Glas in fröhlichen Runden immer weiter aus», bis sie sich der Kontrolle entzögen. Deshalb müsse es ein gesellschaftliches Anliegen sein, «sich um mögliche Risikofaktoren zu kümmern». Insbesondere junge Menschen aus schwierigen familiären Verhältnissen benötigten Unterstützung, um herausfordernde Lebenssituationen ohne schädigende Substanzen zu bewältigen. Eine Suchterkrankung sei eine Fessel, die sich nicht so einfach abstreifen lasse. «Wird sie gelöst, ist es unglaublich wichtig, die entstehende Leere aufzufangen und die mit der Sucht ruhig gestellten Bedürfnisse zu erkennen. Es braucht ein soziales Netz, das trägt», so Valentin. Sie arbeitet derzeit sozialpädagogisch mit Jugendlichen und hat das Buch «Mein letzter Rausch: Porträts über ein gutes Leben nach der Sucht» (2022) verfasst.
Für Nicolas P. hat Sucht mit «Besessenheit, Leugnung und Zwang» zu tun. Der Leistungsdrang verlange, sich ständig zu steigern, mit andern zu vergleichen, und das führe gerade bei mangelndem Selbstwert zuweilen zu Überforderung und dazu, sich selbst «abzuschiessen». Gegen den gesellschaftlichen Überkonsum protestiert die Klimaaktivistin Cécile Bessire, indem sie sich ab und zu auf die Strasse klebt. Das gängige Prinzip «Genug ist nie genug» zeige sich auch in der Sucht nach Anerkennung, Arbeit, Aufstieg und Profit, kritisiert sie.
Cheesmeyer-Talk, Donnerstag,
28. August, 19.00 bis 20.30 Uhr,
«Cheesmeyer», Sissach.