«Für unsere Kinder bin ich Mama Nicky»
19.06.2025 ReigoldswilVerein «House of Happiness» plant Zusatzangebot für ältere Waisen
Seit der Eröffnung 2022 ist das von Nicole Di Venere gegründete Waisenhaus in Tansania gewachsen und bietet mittlerweile 39 Kindern und Jugendlichen ein Zuhause. Nun soll noch ein Übergangsheim für junge Erwachsene gebaut werden.
Marianne Ingold
Im September 2022 wurde das «House of Happiness» bei Arusha im Nordosten von Tansania eröffnet. Initiantin des spendenfinanzierten Waisenhauses, in dem mittlerweile 17 Mädchen und 22 Buben zwischen 3 und 15 Jahren ein neues Daheim gefunden haben, ist die Baselbieter Afrika-Reisespezialistin Nicole Di Venere-Fässler. Die Infrastruktur für maximal 64 Kinder sei vorhanden, sagt Di Venere, doch ohne zusätzliche Spenden könnten vorläufig nicht mehr als 40 Kinder aufgenommen werden, sonst würde die Betreuungsqualität leiden.
Unerwartete Kosten verursacht haben gesundheitliche Probleme der Kinder: «In den letzten eineinhalb Jahren haben wir sicher 15 000 Franken ausgegeben. Das ist Geld, das man zuerst einnehmen muss», sagt Nicole Di Venere. Deshalb habe der Trägerverein eine Reserve für medizinische Notfälle angelegt.
Das «House of Happiness» sei ein «afrikanischer Bau», erklärt Nicole Di Venere – einfach und funktional, aber nicht vergleichbar mit Schweizer Standards. Statt der vorgeschriebenen Mauer, die zu teuer gewesen wäre, umschliesst dank einer Sonderbewilligung ein Zaun das Grundstück.
Ihr Waisenhaus sei ein Vorzeigeprojekt, sagt Di Venere: «Wir erhalten viele Besuche vom Staat. Immer, wenn sie etwas zeigen wollen, kommen sie zu uns.» Eine staatliche Finanzierung gibt es noch nicht, obwohl die Regierung vor einigen Jahren einmal einen festen Beitrag pro Kind angekündigt hatte. Allerdings übernehme das Sozialamt gewisse Behandlungskosten wie das Insulin für ein Mädchen mit Diabetes. «Das ist nicht viel, aber doch eine Hilfe», zeigt sich Di Venere dankbar.
Support aus dem Volk
Begeistert ist Nicole Di Venere dagegen von der Unterstützung aus der Bevölkerung. Das «House of Happiness» erhalte regelmässig Besuch von Familien, die dort zum Beispiel einen Geburtstag feierten. Dann gebe es Kuchen und Geschenke für das Waisenhaus: «50 Kilo Reis, 10 Kilo Zucker, Öl, Seife oder Zahnpasta», zählt sie auf. «Das kannte ich überhaupt nicht. Mir wäre es in der Schweiz noch nie in den Sinn gekommen, in ein Heim zu gehen und etwas zu bringen.»
Eine Rap-Band kochte für die Kinder und musizierte mit ihnen, ein Motorradtaxi-Fahrer spendierte 30 Flaschen Fanta und allen Kindern den Eintritt in einen Schlangenpark. 80 angehende Soldaten sammelten umgerechnet 300 Franken: «Da kamen mir die Tränen», sagt Di Venere. «Solche Erlebnisse gehen mir nahe, denn diese Leute haben selber auch nicht viel.»
Die Kinder werden dem Waisenhaus vom staatlichen Sozialamt zugewiesen. Neben Vollwaisen nimmt das «House of Happiness» auch Halbwaisen und andere Kinder auf, deren Herkunftsgemeinschaft nicht angemessen für sie sorgt. Manche sind Kinder von verwitweten Frauen, die wieder heiraten wollen: «In Afrika akzeptieren nur wenige Männer eine Frau, die schon Kinder hat», erläutert Nicole Di Venere. Auch die illegale Verheiratung von Minderjährigen ist ein Thema: Ein 14-jähriges Waisenmädchen sollte verheiratet werden, weil sich der Grossvater den Unterhalt für sie und ihre beiden jüngeren Geschwister nicht leisten konnte. Das «House of Happiness» konnte alle drei aufnehmen.
Das Zusammenleben im Heim funktioniere sehr gut, erzählt Di Venere. Neue Kinder fühlten sich schnell wohl. Manche Kinder erhalten im «House of Happiness» Möglichkeiten, die sie sonst nicht hätten: «Wir haben 8- oder 9-Jährige aufgenommen, die noch nie in der Schule waren, und Massai-Kinder, die davor immer mit anderen Kindern auf einem Kuhfell geschlafen und noch nie eine Matratze gesehen hatten.»
Projekt Übergangsheim
Um die Kinder kümmert sich ein Team von elf Angestellten. Das sei das Minimum, betont Nicole Di Venere, weil rund um die Uhr jemand da sein und die «House Mamas» oft mit kranken Kindern ins Spital fahren und dort übernachten müssten. Sie selbst verbringt etwa vier Monate pro Jahr vor Ort und hat eine sehr enge Beziehung zu ihren Schützlingen: «Kaum sehen mich die Kinder, rennen alle auf mich zu und rufen: ‹Mama Nicky, Mama Nicky!› Es sind halt wirklich meine Kinder.» Das älteste Mädchen im «House of Happiness» ist 15 Jahre alt.
Das Waisenhaus, das dem Sozialamt unterstellt ist, darf Jugendliche bis 18 Jahre betreuen. Danach müssten sie das Heim verlassen, auch wenn sie keine Angehörigen haben. «In diesem Alter steht man aber noch nicht auf eigenen Beinen», betont Nicole Di Venere. «Wir wollen unseren Schützlingen nicht nur eine schöne Kindheit bescheren und danach landen sie wieder auf der Strasse.» Als Anschlusslösung möchte sie deshalb ein «Transition House» gründen, ein betreutes Übergangsheim für junge Erwachsene ab 18 Jahren, separat geführt und selbsttragend.
Ein passendes Grundstück konnte erworben werden. Der Trägerverein, dessen Mitglieder ehrenamtlich arbeiten und alle in der Schweiz anfallenden Kosten selber bezahlen, hiess die Idee an der GV im April gut. Nun müssen Kostenschätzung erstellt, ein Architekt vor Ort gesucht und die Finanzierung gesichert werden.
Der Verein «House of Happiness» mit Präsidentin Di Venere ist dankbar für die vielen Gönnerinnen und Gönner, die das Waisenhausprojekt bereits unterstützen. Um ihren Jugendlichen nun auch eine Zukunftsperspektive geben zu können, wünscht sich Nicole Di Venere weitere Zuwendungen: «Es wäre toll, wenn wir das ‹Transition House› bauen könnten. Die Zeit läuft.»