Fluch und Segen des Internets
01.10.2024 SissachRachel Huber und Oliver Nachtwey zu Gast bei Ueli Mäder
Die Digitalisierung birgt Gefahren, und sie kann Ungehörten eine Stimme geben. Darauf sind Soziologe Oliver Nachtwey und die Historikerin Rachel Huber in Ueli Mäders Gesprächsreihe im Sissacher ...
Rachel Huber und Oliver Nachtwey zu Gast bei Ueli Mäder
Die Digitalisierung birgt Gefahren, und sie kann Ungehörten eine Stimme geben. Darauf sind Soziologe Oliver Nachtwey und die Historikerin Rachel Huber in Ueli Mäders Gesprächsreihe im Sissacher «Cheesmeyer» eingetreten.
Jürg Gohl
Für Rachel Huber ist es ein schnelles Wiedersehen mit ihrer Heimat: Nur drei Monate nachdem sie in Ueli Mäders Gesprächsreihe im «Cheesmeyer» gemeinsam mit Georg Kreis über die Geschichte der kolonialen Schweiz gesprochen hat, ist sie dort erneut Gast. Die Historikerin, die ihre ersten Lebensjahre in Sissach verbrachte und vor fünf Jahren im Oberbaselbiet zur Bekanntheit wurde, weil sie mit geschichtlichen Fakten am Denkmal von General Sutter rüttelte, diskutiert in ihrem zweiten Heimspiel über «digitalen Kapitalismus». Zu ihrer Rechten sitzt dieses Mal Oliver Nachtwey, wie einst Gesprächsleiter Ueli Mäder Soziologie-Professor an der Universität Basel.
Der Titel des Anlasses führt das wiederum stattliche Publikum in die Irre. Selbstverständlich geht das Podium auf die Gefahren ein, die Giganten wie X und Amazon sowie die gesammelten Daten und die reichen Betreiber für uns mit sich bringen. «Der digitale Kapitalismus kontrolliert uns», sagt Oliver Nachtwey, das Digitale sei heute «allgegenwärtig», und er nennt Beispiele aus seinem Alltag: «Meine Geräte kennen meine Lieblingsmusik und -destinationen, meine bevorzugten Speisen, meinen Kleidergeschmack. Aber wir entscheiden selber, was wir preisgeben wollen.» Nachtwey widerlegt auch die lange als allgemeingültig gehaltene Befürchtung, dass die Digitalisierung im grossen Stil Arbeitsplätze vernichte.
Wirkung durch Verbreitung
Beide Gäste, die Ueli Mäder am vergangenen Donnerstag begrüsste, ärgern sich darüber, dass Plattformen wie X viel Raum für Hass, falsche Nachrichten und Mobbing bieten, erkennen aber auch die Chancen. Rachel Huber ist überzeugt, dass weltweite Bewegungen wie «MeToo» oder «Black Lives Matter» ohne Soziale Medien nie einen nur annähernd so grossen Widerhall gefunden hätten. Der Historikerin war es beispielsweise nur dank der digitalen Instrumente möglich, ihr Forschungsprojekt «Red Power» zu eingeborenen Amerikanerinnen zu realisieren und daraus neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.
Oliver Nachtwey stellt in Abrede, dass der Vormarsch der demokratiefeindlichen AfD in Deutschland in einem direkten Zusammenhang mit der Digitalisierung stehe, weil diese Partei die neuen Kanäle besser zu nutzen weiss. «Während wir uns als Jugendliche in den vergangenen 50 Jahren auf eine bessere, verheissungsvollere Zukunft freuen durften», argumentiert er, «müssen junge Leute heute mit vielen Ängsten leben.»
Es sind solche Sätze aus berufenem Mund, die Ueli Mäders stets musikalisch umrahmte Gesprächsreihe jeweils am letzten Donnerstag des Monats auch dann hörenswert machen, wenn der Titel alleine noch kein Kribbeln auslöst. Hinter der Überschrift «Kraft und Krise» verbirgt sich beim nächsten Mal, am 31. Oktober, eine Diskussionsrunde über den zu beobachtenden Vormarsch der Diktaturen. Auf dem Podium sitzen dann der Publizist und ehemalige Fernseh-Generaldirektor Roger de Weck und die Basler Nationalrätin Sibel Arslan.