Fachkräftemangel und Berufsbildung – eine andere Sicht
17.06.2025 PolitikReto Tschudin, Landrat SVP, Lausen
Immer wieder liest und hört man, dass die Jugendlichen keine Lehre machen wollen, dass «zu viele» in weiterführende Schulen gingen und dass die Wirtschaft um Lehrlinge kämpfe oder gar keine bekomme. Allein ...
Reto Tschudin, Landrat SVP, Lausen
Immer wieder liest und hört man, dass die Jugendlichen keine Lehre machen wollen, dass «zu viele» in weiterführende Schulen gingen und dass die Wirtschaft um Lehrlinge kämpfe oder gar keine bekomme. Allein seit dem Jahr 2015 gab es im Landrat 312 Vorstösse zum Thema und zahlreiche Forderungen an die Regierung, die Berufsbildung zu stärken und den Zugang zu Lehrstellen zu verbessern. Diese Bemühungen unterstütze ich. Auch ist es richtig, dass wir Anlässe wie den Tag der Berufsbildung oder die Berufsschau durchführen und der Kanton diese unterstützt. So steht es auch im Bildungsgesetz.
Alles gut, könnte man meinen. Dennoch verhallen die Rufe nicht, mit denen das Fehlen von Fachkräften und Lehrlingen beklagt wird. Muss der Kanton also noch mehr machen? Und falls ja, was? Oder liegt der Ball – zumindest teilweise – bei der Wirtschaft? Um Lehrlinge zu finden, muss diese ein entsprechendes Angebot schaffen. Heisst: Lehrstellen anbieten und diese bekannt machen. Die Bereitschaft, Lehrlinge zu betreuen und Schnupperlehren anzubieten, muss vorhanden sein.
Ich kann mir vorstellen, dass an dieser Stelle viele Leserinnen und Leser denken: «Ja klar, das ist logisch und selbstverständlich, das machen doch alle.» Leider zeigen meine Erfahrungen, dass dies nicht so ist. Meine Tochter ist aktuell auf Lehrstellensuche. Sie möchte mit Menschen arbeiten und sucht einen Beruf im erweiterten Gesundheitsfeld. Sie hat recht klare Vorstellungen, möchte aber alle Optionen prüfen und Schnuppertage absolvieren. Sie hat ein paar Unternehmungen angeschrieben und wollte mit einer Schnupperlehre vertieften Einblick erhalten.
Ich staunte nicht schlecht, als sie mir die Antworten zeigte. Einzelne Firmen reagierten vorbildlich und boten halbtägige bis dreitägige Schnupperlehren an und freuten sich über ihr Interesse. Andere Firmen aber – auch solche aus Branchen, die den Lehrlingsmangel beklagen – schrieben ihr, dass man leider keine Kapazitäten habe. Was bringen da all die Massnahmen, die getroffen werden, um die Jugendlichen von einer Lehre zu überzeugen? Mit solchen Absagen demotiviert man jene, die sich mit einer Berufslehre befassen und nicht von vornherein den Weg der weiterführenden Schule gehen.
Dass Jugendliche spätestens nach der dritten Absage aus derselben Branche in anderen Gebieten zu suchen beginnen, liegt auf der Hand und läuft allen Bemühungen entgegen, den Fachkräftemangel durch aktive Berufsbildung zu bekämpfen. Es ist mir klar, dass die Betreuung von «Schnupperli» ein Mehraufwand ist, den man vermutlich nicht bereit ist zu erbringen, wenn man keine Lehrstelle anbietet. Das ist aber doppelt falsch: Zum einen sollte man, wenn immer möglich, Lehrstellen anbieten, um den Berufsstand zu stärken, und zum anderen ist es wichtig, den Schulabgängern Einblicke in die Berufswelt zu ermöglichen.
Vielleicht finden diese eine Lehrstelle in einem anderen Unternehmen, aber in derselben Branche und werden zu Fachkräften. Deshalb ist es wichtig, dass der Kanton und die Berufsverbände ihr Engagement fortführen und die Berufsbildung stärken. Zudem braucht es die Bereitschaft der Firmen, in die Berufsbildung zu investieren. An dieser Stelle deshalb ein grosses Dankeschön an alle, die diesen Aufwand leisten und bereit sind, Jugendlichen Einblicke in ihr Berufsfeld zu gewähren.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.