Es ist «zehn vor zwölf» und die Uhr tickt
24.10.2025 OberdorfGemeinde schlittert in finanziellen Abgrund
Der Oberdörfer Finanzchef Michael Wild warnt vor einer Abwärtsspirale: Oberdorf droht ein Bilanzfehlbetrag, wenn die Finanzen sich nicht stabilisieren. Die anstehenden Investitionen könnten zurückgefahren werden.
...Gemeinde schlittert in finanziellen Abgrund
Der Oberdörfer Finanzchef Michael Wild warnt vor einer Abwärtsspirale: Oberdorf droht ein Bilanzfehlbetrag, wenn die Finanzen sich nicht stabilisieren. Die anstehenden Investitionen könnten zurückgefahren werden.
Nikolaos Schär
Der Finanzchef der Gemeinde Oberdorf, Michael Wild, wählte einen ungewöhnlichen Weg: In einem Leserbrief in der «Volksstimme» sprach er nach dem nicht genehmigten Landverkauf der Gemeindeparzelle beim Talweg (alter Kindergarten) an der letzten «Gmäini» von einem «finanzpolitischen Debakel».
Weil die Gemeinde zu wenig flüssige Mittel hat, müsse sie am Finanzmarkt Geld aufnehmen. Zwar seien die Zinsen noch tief – bei der letzten Tranche zahlte Oberdorf einen Zinssatz von 0,35 Prozent, sagt Wild gegenüber der «Volksstimme» –, doch das dürfte nicht so bleiben, fügt der Gemeinderat an: «Irgendwann zahlen wir als Folge der schlechten Bonität einen Aufschlag auf den ‹normalen› Zins, und ob das aktuelle Tiefzinsumfeld bleibt, weiss niemand.» Ausserdem bestehe die Gefahr, dass die Gemeinde aufgrund des strukturellen Defizits das Darlehen gar nie zurückzahlen könne.
Oberdorf wies in der Rechnung 2024 eine schwarze Null aus, doch der Schein trügt. Dies gelang nur dank der Entnahme von rund einer halben Million Franken aus der Reserve. Nach aktuellem Finanzplan ist diese Reserve in zwei Jahren aufgebraucht. Was dann droht, lässt sich mit dem Wort «Bilanzfehlbetrag» umschreiben – ein Zustand, bei dem die Finanzleute des Kantons hellhörig werden und dessen Konsequenzen die Gemeinde Waldenburg vergangenes Jahr schmerzlich erfahren musste: Die Regierung in Liestal übernimmt das Zepter und bestimmt, wie und wo gespart werden soll.
So weit ist Oberdorf noch nicht, doch laut Wild ist es «zehn vor zwölf». Der Gemeinderat habe für das kommende Budgetjahr bereits Massnahmen getroffen, die auf einen Aufschub der Investitionen zielen; Genaueres könne er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Bereits jetzt herrscht in der Gemeinde ein Investitionsstau: Die per Referendum abgelehnte Finanzierung des Kunstrasenkredits für den FC Oberdorf ist noch nicht vom Tisch. Das gemeinsam mit Niederdorf geplante Wasserwerk z’Hof wird redimensioniert, um erneut vor die Gemeindeversammlung zu kommen. Die Planung der Schulraumerweiterung für die Primarschule ist im Gang, und das undichte Dach der Gemeindeverwaltung muss ebenfalls saniert werden (die «Volksstimme» berichtete). Wild gibt jedoch zu bedenken: «Ein Investitionsstopp ist nicht der Weisheit letzter Schluss.»
Darlehen, um Löhne zu zahlen
Selbst minimale Investitionen von rund einer halben Million Franken in der Rechnung 2024, die aufgrund verschobener Projekte entstanden, kann die Gemeinde nicht aus dem eigenen Sack zahlen – der Selbstfinanzierungsgrad ist negativ. Oberdorf hat schlicht zu wenig flüssige Mittel, auch für den laufenden Betrieb. So musste die Gemeinde im vergangenen Mai 2 Millionen Franken aufnehmen, um die Löhne zu zahlen. Der Landverkauf hätte rund 770 000 Franken eingebracht und der Gemeinde «ein wenig Luft verschafft», so Wild.
Was kann die Gemeinde dagegen tun? Nicht viel, sagt er. Bei den Ausgaben zu sparen, würde nur «Peanuts» einbringen: «Mit Büromaterial kommt nicht viel zusammen.» 80 bis 85 Prozent der Ausgaben seien gebunden, das heisst, sie sind durch kantonale und kommunale Gesetze verpflichtend. Auch eine Steuererhöhung löse das Problem des strukturellen Defizits von rund 500 000 Franken nicht, sagt Wild. «Ein Steuerfuss prozent löst in Oberdorf 70 000 Franken zusätzliche Steuereinnahmen aus», so der Finanzchef. Um das Defizit zu beseitigen, wäre eine massive Steuererhöhung nötig – schon heute liegt der Steuerfuss bei 65 Prozent und gehört zu den höchsten im Kanton.
Mehr Einwohner, mehr Steuern?
Liegt die Lösung in wachsenden Steuereinnahmen, also im Anlocken neuer Steuerzahler? Diese Strategie würde nur aufgehen, wenn die «richtigen Leute» kommen. Wild meint damit Personen mit sehr hoher Steuerkraft. Danach sehe es nicht aus, sagt er. Zwar steht Oberdorf vor reger Bautätigkeit, doch wenn er sich anschaue, was für Wohnungen entstünden, seien das Familienwohnungen, die im ersten Moment die Schülerzahlen ansteigen liessen und die Ausgaben der Gemeinde zusätzlich belasteten. Das Wachstum Oberdorfs sei per se kein Segen, sondern ein «zweischneidiges Schwert», so Wild.
Der aktuelle Aufgaben- und Finanzplan für die Jahre 2025 bis 2029 sieht düster aus: jährliche Defizite, die bis 2029 auf rund 2 Millionen Franken ansteigen, Schulden von 2 bis 3 Millionen Franken jährlich und ein Schuldenstand, der gegen 20 Millionen Franken tendiert. Zwar bestätigt Wild, dass die Zahlen dank geplanter Massnahmen für das Budget 2025 besser werden und die Nettoschulden mit 448 Franken pro Einwohner gemäss den Finanzkennzahlen des Kantons noch als «geringe Verschuldung» gelten, doch die Abwärtsspirale gehe unvermindert weiter.
Wild leitet auch die Verhandlungsdelegation der Empfängergemeinden des Finanzausgleichs. Den finanzschwachen Landgemeinden im Oberbaselbiet droht ein Einnahmeausfall, weil die Gebergemeinden im Unterbaselbiet weniger in den Ressourcenausgleich einzahlen wollen. Mittels Initiative wollten diese erreichen, dass der Kanton für die Ausfälle einspringt. Dieser unterbreitete jedoch einen Gegenvorschlag ohne Systemwechsel, der die Einbussen lediglich minimieren soll. Grundsätzlich hätten sich die Gemeinden bei der Aufgabenverschiebung (6. Primarschuljahr sowie Alters- und Pflegefinanzierung) vor zehn Jahren vom Kanton über den Tisch ziehen lassen – dazu steht Wild –, doch substanzielle Verbesserungen seien auf kurze Sicht unwahrscheinlich.
Sollten die jährlichen Defizite das gesamte Eigenkapital aufzehren und damit einen Bilanzfehlbetrag auslösen, müsste der Gemeinderat spätestens dann mit Steuererhöhungen reagieren. Das sagt Wild nicht nur als Finanzchef, sondern auch als Einwohner Oberdorfs. Steht der Bilanzfehlbetrag einmal in der Rechnung, hat die Gemeinde vier Jahre Zeit, um zu reagieren, bis der Kanton anklopft.
Es ist noch nicht zwölf Uhr, aber die Uhr tickt. Ob die Stimmberechtigten sie auch hören – Wild hofft es.
Einstellung Dorfblatt und Rücktritte
vs. Das «Uelischadblatt» wird ab Ende des Jahres nicht mehr von der Verwaltung erstellt, teilt die Gemeinde Oberdorf mit. Ob und in welcher Form es das Oberdörfer Dorfblatt weiterhin geben wird, sei zurzeit nicht klar. Sollte sich keine Nachfolgeregelung ergeben, endet das «Uelischadblatt» mit der Ausgabe vom Dezember 2025.
Neben dieser Mitteilung informierte die Gemeinde über personelle Veränderungen. Andreas Dettwiler tritt per 30. Juni 2026 aus dem Gemeinderat zurück. Marcus Cannon verlässt die Oberdörfer Sozialhilfebehörde per 31. Dezember dieses Jahres. Für beide Ämter ist die stille Wahl per 5. Januar 2026 möglich. Die Urnenwahl fände am 8. März 2026 statt.

