Erneuerer, Zuhörer und Diener
09.08.2024 RickenbachMatthias Huber hat das Gemeindepräsidium abgegeben – und wechselt in die Schulkommission
Matthias Huber hatte als Gemeindepräsident seinen Laden im Griff: Er wirkte in allen Geschäften aktiv mit, trieb die Sanierung der Gemeindeinfrastruktur voran und hat während ...
Matthias Huber hat das Gemeindepräsidium abgegeben – und wechselt in die Schulkommission
Matthias Huber hatte als Gemeindepräsident seinen Laden im Griff: Er wirkte in allen Geschäften aktiv mit, trieb die Sanierung der Gemeindeinfrastruktur voran und hat während seiner Präsidialzeit eine einzige Abstimmung verloren: Tempo 30 flächendeckend.
Christian Horisberger
Die letzte Gemeindeversammlung, die Matthias Huber (64) in Rickenbach leitete und an der er von seinem Nachfolger gewürdigt wurde, zeigte in mancherlei Hinsicht, was für ein Gemeindepräsident er während sechs Jahren gewesen ist: Einer, der komplexe Sachverhalte, wie eine Gemeinderechnung, nachvollziehbar darlegen kann. Einer, der am Karren reisst und alle Geschäfte, auch jene ausserhalb seiner eigenen Ressorts, stets im Auge hat und vorantreibt. Und einer, der zuhören und beraten kann und auch dafür von seinen Amtskollegen und -kolleginnen geschätzt wird.
Die grosse Wertschätzung, wie sie in den Worten von Stefan Waller zum Ausdruck gekommen ist und ihm eine Standing Ovation der Versammlungsteilnehmer bescherte, hat sich Matthias Huber redlich erarbeitet. Nicht erst im Gemeinderat. Zuvor hatte er während neun Jahren in der Sozialhilfebehörde mitgewirkt: Kurz nach seinem Umzug von Magden nach Rickenbach fragte ihn ein Nachbar für das Amt an, ein Jahr später war er Präsident. Dort habe er die Behördenarbeit von der Pike auf gelernt: Wie ist mit dem Gesetz umzugehen? Welche Anlaufstellen gibt es? Wo muss man aktiv werden? Was geht zu weit?
Er hatte Lust auf mehr und kandidierte bei den Gesamterneuerungswahlen 2016 für den Gemeinderat, wurde mit dem drittbesten Ergebnis gewählt und übernahm gleich das Vizepräsidium. Als die Gemeindepräsidentin im Jahr 2017 überraschend zurücktrat, sprang Huber als Vize in die Bresche und wurde 2018 an der Urne zum neuen Gemeindepräsidenten gewählt. Gesucht habe er das Amt nicht, sagt er. Ganz und gar nicht. Denn das «vorne Hinstehen», was das Gemeindepräsidium mit sich bringt, habe ihm nie behagt. Er habe die Kröte nur deshalb geschluckt, weil kein anderes Ratsmitglied bereit gewesen sei, die Aufgabe zu übernehmen. Die Nervosität vor Gemeindeversammlungen bekämpfte er mit einer besonders intensiven Vorbereitung. Zudem besuchte er Kurse von Kanton und VBLG für Behördenmitglieder, die ihm zusätzliche Sicherheit gaben. Eine grosse Hilfe sei ihm auch die Zusammenarbeit und die umsichtige Arbeitsweise der Verwaltung gewesen. «Dann hat es mir Freude gemacht.» Der trockene Mund als Symptom für die Nervosität jedoch sollte ihn bis zu seiner letzten «Gmäini» begleiten.
Infrastruktur erneuert
Will man die Amtszeit von Matthias Huber rückblickend unter ein Credo stellen, so liegt man mit «Erneuerung» sicher nicht falsch. Ein erheblicher Teil der Gemeindeinfrastruktur wurde in den vergangenen Jahren saniert oder realisiert. Die IT-Infrastruktur in der Verwaltung und im Gemeinderat wurde neu aufgestellt. Mit einer neuen Quartierstrasse wurden im 570-Seelen-Dorf die letzten Baulandparzellen erschlossen – «eine Riesenkiste», sagt der Ex-Präsident. Die Strassenbeleuchtung im ganzen Dorf wurde auf LED umgestellt, viele Wasserleitungen instand gesetzt, ein Trinkwasserpumpwerk gebaut und ein weiteres gemeinsam mit Buus und Maisprach projektiert. Es befindet sich jetzt im Bau. Nicht zu vergessen die Mehrzweckhalle: Das Dach und die Bühne wurden saniert, der Ölkessel durch eine Pelletfeuerung ersetzt. Zu Hubers Bedauern musste der Plan eines Wärmeverbunds mit einer Schnitzelfeuerung fürs ganze Dorfzentrum fallen gelassen werden, weil der Preis für die Wärmeabnehmer zu hoch ausgefallen wäre – damals jedenfalls.
Als günstig und effizient erweise sich bisher die Altersversorgungsregion Farnsberg plus, die Rickenbach zusammen mit zehn weiteren kleineren Oberbaselbieter Gemeinden gegründet hat, sagt Matthias Huber. In dieser Konstellation sei man ein gleichwertiger Partner. Bei einem Anschluss an eine Organisation mit Gelterkinden hätte man «nehmen müssen, was kommt» und deutlich mehr bezahlt als heute, ist der Ex-Präsident überzeugt.
Kein Gärtchendenken
Ob beim Pumpwerk oder bei der Altersversorgungsregion – auf den Blick über die Gemeindegrenze hinaus, einen regen Austausch und Kooperationen mit den Nachbardörfern hat Matthias Huber grossen Wert gelegt. Gärtchendenken ist nicht seins. Da überrascht es auch nicht, dass er beim Thema Gemeindefusion keinen trockenen Mund bekommt. Aber wenn fusionieren, dann mit mehreren gleichwertigen Partnern und nicht als Anhängsel einer Zentrumsgemeinde. Im selben Atemzug betont er: «Ich habe nichts gegen Gelterkinden!» Ob die Rickenbacher für eine solche Idee zu gewinnen wären? «Nicht diese Generation und nicht ohne Sachzwänge.»
Matthias Huber ist in seiner Rolle als Gemeindepräsident aufgegangen. Er habe darin viel gelernt, sie habe ihm Freude gemacht, und er hat sie als Diener des Volkes interpretiert. Sich auf Gemeindeversammlungen oder Informationsveranstaltungen bis ins letzte Detail vorzubereiten, sei für ihn selbstverständlich gewesen. Schliesslich nähmen sich die Einwohnerinnen und Einwohner dafür auch Zeit. Huber vertrat stets die Sache und keine Doktrin. Er ordnet sich dem links-grünen Lager zu, was man im Dorf auch wisse, wie er sagt. Doch habe er auch ein grosses Herz für andere Ansichten – was man «in einem SVP-lastigen Dorf» wie dem seinen auch haben müsse.
Huber charakterisiert sich selber als ruhigen und toleranten Menschen, der gut zuhören und in einem Gremium vieles ausgleichen könne. Und er ist einer, der sich über sich selber ärgern kann, wenn ihm etwas durch die Lappen geht: Zum Beispiel, dass er – und mit ihm der gesamte Gemeinderat – nicht frühzeitig realisiert habe, dass Rickenbach dieses Jahr sein 750-Jahre-Jubiläum feiert. Der Gemeinderat sei erst im vergangenen Herbst von Dritten darauf aufmerksam gemacht worden, während andernorts die Planung von Jubiläen wie diesem wenigstens zwei Jahre dauert. Aber dann habe das Dorf Zusammenhalt und Engagement bewiesen und innert weniger Monate ein Jubiläumsfest aus dem Boden gestampft. «Es war für mich eine grosse Genugtuung, wie die Zusammenarbeit geklappt hat.»
Neue Schul-Führungsstruktur
Das Jubiläumsjahr mit dem Fest am vergangenen Auffahrtstag im Anschluss an den Banntag wäre ein wunderbarer Abschluss einer Lokalpolitikerkarriere. Aber ganz aus dem politischen Geschehen hat sich Matthias Huber nicht zurückgezogen. Noch nicht. Ein Projekt will er noch auf gutem Weg wissen, ehe er sich ganz zur Ruhe setzt: die neue Führungsstruktur der Primarschule.
Die Dorfschule sei während seiner acht Jahre im Gemeinderat ein Dauerbrenner gewesen: «Wir hatten im Schulrat extrem viele Wechsel. Kaum war Ersatz gefunden, da kam der nächste Abgang.» Ausserdem seien die Kompetenzen «sehr schwierig verteilt» gewesen, wie er sagt. Zwar wählte der Schulrat die Schulleitung und das Lehrerpersonal und führte die Schule strategisch. Alle finanziellen Entscheide lagen aber beim Gemeinderat. Und auch mit vielen anderen Fragen, wie beispielsweise der vorübergehenden Schaffung zusätzlichen Schulraums, habe sich die Exekutive befassen müssen. «Die Schule war an fast jeder Gemeinderatssitzung ein kleineres oder grösseres Thema», so Huber. Er spricht von einer «wahnsinnigen Doppelspurigkeit». Daher hätten er und der Gemeinderat das Kommissionsmodell unbedingt gewollt, als der Kanton den Gemeinden drei Führungsmodelle für ihre Primarschulen zur Auswahl stellte. Und die Bevölkerung sagte Ja. Damit ist Rickenbach neben Brislach die einzige Gemeinde des Kantons, die den Schulrat abgeschafft hat.
Die neue Führungsstruktur für die Rickenbacher Primar tritt mit Beginn des neuen Schuljahres in Kraft – mit Matthias Huber als Präsident. Als er das im Gespräch erwähnt, muss er lachen und scherzt: «Ich habe es so eingerichtet, dass ich nach dem Gemeindepräsidium bei der Schule weiterregieren kann.» Und ernsthafter: «Ich bin neben dem Lehrervertreter das einzige Mitglied dieser Kommission mit einer Geschichte zum Thema. Ich möchte für ein, zwei Jahre dazu beitragen, die neue Struktur zum Laufen zu bringen.»
MATTHIAS HUBER
ch. Der abgetretene Rickenbacher «Breesi» Matthias Huber ist gelernter Buch- und Offsetdrucker. Mit knapp 30 Jahren, als in der Branche das Desktop-Publishing Einzug hielt, machte er sich als Layouter für Bücher selbstständig. Heute gestaltet und unterhält er darüber hinaus Websites und macht auch Werbung für kleinere Unternehmen. Zugunsten des Gemeindepräsidiums habe er im Beruf 20 bis 25 Produzent zurückgesteckt, sagt Huber. Die nach dem Rücktritt gewonnene Zeit werde er vor allem für seine Firma nutzen. Matthias Huber ist verheiratet und er fühlt sich der Natur sehr verbunden. So engagierte er sich im Vorstand des Basellandschaftlichen Natur- und Vogelschutzverbands, wirkt im Trägerverein des «Naturparks Baselbiet» mit und gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Vereins «Natur in Rickenbach», dessen Kasse er führt.
«Bei Tempo 30 wurde Chance verpasst»
Herr Huber, welches war die grösste Niederlage Ihrer Amtszeit?
Als Gemeindepräsident habe ich nur eine Niederlage einstecken müssen: Zu einem Budget-Antrag für die Planung von Tempo 30 auf der Kantons- und den Gemeindestrassen sagte die Gemeindeversammlung Nein. Es gab Fundamental-Opposition: Man war der Meinung, die Automobilisten würden in Eigenverantwortung in angepasstem Tempo fahren. Allenfalls wären wir mit den Quartieren alleine durchgekommen. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass hier eine Chance verpasst worden ist.
Was gönnen Sie sich, nachdem Sie nun weniger Ihrer Zeit fürs Dorf investierten müssen?
Die neu gewonnene Freizeit geht vor allem ins Geschäft. Es gibt eigentlich keine unerfüllten Wünsche wegen der Arbeit für die Gemeinde. Allenfalls gehe ich zusammen mit meiner Frau für mehrere Wochen in die Ferien – auch ausserhalb der Schulferien.
Was werden Sie vermissen?
Das Netzwerken, die Gespräche mit Behördenvertretern ringsum, die Anlässe des Kantons, die Treffen des VBLG. Solche Anlässe mit Menschen, die sich nicht in der eigenen Blase befinden, die andere Ansichten und einen anderen Hintergrund haben, fand ich immer sehr befruchtend.
Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf dem Weg?
Nichts. Es steht mir nicht an, Ratschläge zu erteilen.
Was für Eigenschaften sind hilfreich fürs Präsidentenamt?
Ich würde weniger von Eigenschaften, sondern eher von einer Grundeinstellung sprechen: Am besten, man gibt sich so, wie man ist. So kommt man am weitesten.