Erlebnisorientiert
08.08.2025 PolizeiFür die neueste «Sprach-Lektion» blicken wir weit zurück: Am Ende der Fasnacht erinnert uns jeweils das Bulletin der richtigen Polizei, die nicht nur auf Wort und Satzstellungen fokussiert, zuverlässig daran, dass die Fasnacht immer auch ihre Schattenseiten kennt: ...
Für die neueste «Sprach-Lektion» blicken wir weit zurück: Am Ende der Fasnacht erinnert uns jeweils das Bulletin der richtigen Polizei, die nicht nur auf Wort und Satzstellungen fokussiert, zuverlässig daran, dass die Fasnacht immer auch ihre Schattenseiten kennt: Diebstähle, verloren gegangene Kinder, Betrunkene, Unfälle, Schlägereien, gravierende Sicherheitsmängel an den Wagen. Verlorene und vor allem geklaute Larven gehören ebenfalls zu diesen Meldungen. Womit wir beim Verb «geklaut» wären. Denn das Verb verniedlicht ganz einfach den Tatbestand des Diebstahls. Ideen können geklaut werden, bei Kindern von mir aus Kaugummi, nicht aber Larven.
Nach der Fasnacht 2025 berichtete die «Basler Zeitung» ausführlich über eine Gruppe Jugendlicher, die an der Fasnacht nur auf Krawall aus war und sich auch mit der Polizei anlegte. Im Zeitungsartikel wurden die Jugendlichen als «erlebnisorientiert» bezeichnet. Da hat sich mit Verlaub die Redaktion so ziemlich in der Wortwahl vergriffen. Das Wort setzt sich aus zwei an sich positiv besetzten Adjektiven zusammen und verschleiert hervorragend, was eigentlich gemeint ist: gewaltbereite Chaoten.
Natürlich begegnen wir solchen beschönigenden Ausdrücken immer und überall: Trump hat bei seinem Schummeln (man könnte es auch Lüge nennen) nach seiner ersten Amtseinführung von «alternativen Fakten» geredet; Putin will seinen brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine weiterhin als «militärische Spezialoperation» bezeichnet wissen; nur der türkische Präsident Erdogan übt sich im Gegenteil und nennt die zahllosen Demonstrantinnen und Demonstranten jeweils «Terroristen».
Die Wirtschaft treibt die buntesten Blüten: Freistellung, Restrukturierung, Ausgabenüberschuss, Nullwachstum, Zahlungseinladungen und vieles mehr. Auch beim Militär und im Zusammenhang mit dem Tod treffen wir reihenweise auf solche Euphemismen, wie dieses sprachliche Versteckspiel offiziell bezeichnet wird. Zum Beispiel Kollateralschäden und Ausschalten sowie Entschlafen und Lebensabend. Hinter dem polizeilichen Fachbegriff «finaler Rettungsschuss», so harmlos er klingt, verbirgt sich unendlich viel Tragik für alle Seiten.
Hüten wir uns davor, diesen Euphemismen auf den Leim zu gehen. Doch wenn wir sie durchschauen, vermögen uns «suboptimal» und Co. durchaus zu amüsieren, selbst wenn wir vollschlank, bildungsfern und perfekt talentbefreit sind.
Jürg Gohl