Empathie hirntechnisch genauer betrachtet
13.05.2025 GelterkindenEmpathie ist ein Begriff, der wohl jedem schon begegnet ist und der unvermeidbar mit dem Menschsein verbunden ist. Bereits nach der Geburt ist der Säugling auf wohlwollende feinfühlige Zuwendung der Umgebung angewiesen, und unser Gehirn scheint primär drauf ausgelegt zu sein, auf ...
Empathie ist ein Begriff, der wohl jedem schon begegnet ist und der unvermeidbar mit dem Menschsein verbunden ist. Bereits nach der Geburt ist der Säugling auf wohlwollende feinfühlige Zuwendung der Umgebung angewiesen, und unser Gehirn scheint primär drauf ausgelegt zu sein, auf Liebe und Freundlichkeit zu reagieren. Empathie ist der Teil, so scheint es, der uns menschlich macht, aber auch Tiere zeigen ähnliche Verhaltensweisen.
Wir achten darauf, wie andere Personen auf uns oder eine bestimmte Situation reagieren, überlegen uns, was sie denken oder fühlen, stellen uns vor, was in ihnen vorgeht, was sie von uns halten. Dies ist eine Art der Empathie, welche als beobachtend (kognitiv) bezeichnet wird: «Ich denke darüber nach, was du denkst». Wir denken also ständig über das Denken der andern nach und glauben oder hoffen, die richtige Ahnung zu haben. Dabei brauchen wir mehrheitlich unsere rationalen, also vom Verstand betonten Hirnanteile. Reaktionen werden beobachtet, ausgewertet und interpretiert.
Häufig ist ein Bestreben dabei, den anderen glücklich und zufrieden zu machen, ihn nicht zu enttäuschen. Deshalb wird Empathie oft als positive Eigenschaft ausgelegt. Menschen, die psychisch krankhafte Züge aufweisen, fehlt dieser positive Teil der Empathie. Sie können sich rational und intuitiv sehr wohl in das Innenleben ihrer Mitmenschen hineinversetzen, sind jedoch auffällig gut darin, diese Erkenntnisse zu ihren Gunsten auszunutzen. Ihnen gelingt es leicht, andere zu manipulieren, zu hintergehen oder anzulügen. Da ihnen Empathie fehlt, sind sie oft ausgesprochen skrupel- und rücksichtslos und haben keine Schuldgefühle. Nicht zufällig sind in Gefängnissen 20 bis 30 Prozent psychopathologisch eingestufte Personen inhaftiert, sonst machen sie lediglich etwa 1 Prozent der Gesellschaft aus.
In der Gesellschaft tritt diese Art bei Autokraten, Machtpolitikern, skrupellosen Führungspersönlichkeiten auffallend oft auf, und sie verwirklichen ihre Absichten meisterhaft. Manche von ihnen gehörten ebenfalls ins Gefängnis, üben jedoch Druck auf das Rechtssystem aus oder haben den Rechtsapparat bereits vorteilhaft für sich verbogen, damit sie nicht mehr belangt werden können. Wir erleben derzeit erschreckenden Anschauungsunterricht, und im Hintergrund unterstützen sich Autokratien weltweit gegenseitig.
Reaktion aufs Leid eines anderen
Die zweite Form der Empathie ist die emotionale Empathie, die nach dem Prinzip: «Ich fühle, was du fühlst» abläuft. Es ist die spontane Gefühlsreaktion auf das Leid eines anderen.
Empathie ermöglicht es uns, die Gefühle einer Person so weit anzusehen, dass wir sie verstehen. Hier spielen unsere eigenen Erfahrungen mit, etwa wenn wir uns an eine Situation erinnert fühlen, in der wir selbst gelitten haben. Die Quelle unserer Emotionen ist uns bekannt, sodass wir also nicht einfach «fühlen», sondern «mitfühlen».
Emotionale Empathie hilft uns, eine innere Verbindung zu anderen herzustellen. Beim Einfühlungsvermögen spielen spezielle Nervenzellen, sogenannte Spiegelneuronen, eine wichtige Rolle. Es sind Zellen im Gehirn, die bei bestimmten Handlungen aktiv werden, aber auch dann, wenn wir dieselbe Handlung lediglich beobachten. Durch sie gelingt es uns leichter, uns in die beobachtete Person hineinzuversetzen. Wenn wir jemanden lächeln sehen, dann erhellt oder entspannt sich auch unser Gesicht. Wenn wir ein angstverzerrtes oder trauriges Gesicht beobachten, gleicht sich unser Gesicht automatisch an. Es ist eine Imitation des andern, die uns hilft, die Gefühle unserer Mitmenschen nachzuempfinden.
Studien deuten darauf hin, dass Menschen sich umso besser einfühlen können, je aktiver bei ihnen das Netzwerk der Spiegelneuronen ist. Nebenbei bemerkt: Korrigierte, unterspritzte oder durch Botox ruhiggestellte Gesichter rufen demnach weniger empathische Reaktionen hervor, so wie Schaufensterpuppen unsere Spiegelneuronen kaum erregen.
Vergleichbare Abläufe wie bei der emotionalen Empathie geschehen bei der sogenannten Schmerzresonanz. Beobachtet man bei einem Unfall wie jemand seinen Arm bricht oder sich verbrennt, löst dies spontan beim Zuschauer eine Schmerzreaktion aus. Wie stark die emotionale Empathie oder die Schmerzresonanz reagieren, hängt von der Beziehung zum Betroffenen ab. Je enger die Beziehung zum Opfer ist, desto stärker ist sie, einem Rivalen oder Feind gegenüber kann sie sogar fehlen.
Empathie motiviert zum Helfen
Empathie alleine ist noch kein Mitgefühl. Wenn wir für eine Person, die traurig ist, Empathie empfinden, stimmt das uns meist selbst traurig, damit haben wir ihr aber noch nicht geholfen. Mitgefühl zu haben bedeutet, sich teilnehmend um eine Person zu sorgen und auch motiviert zu sein, ihr Leid zu lindern. Heute kann man die Aktivitäten, die sich im Gehirn bei bestimmten Situationen abspielen, nachverfolgen. Empathie und Mitgefühl erregen zwei ganz verschiedene Hirnnetzwerke.
Im Buddhismus gibt es Mitgefühlsmeditationen, deren Ziel es ist, diese verschiedenen Teile miteinander zu verbinden. Im Christentum ist es die gelehrte Nächstenliebe, die dasselbe Ziel beschreibt. Mitgefühl und Nächstenliebe sind Lebenshaltungen, die gelernt werden können, aber auch geübt werden müssen. Man kann selber Mitgefühl im Alltag üben, um damit besser in der Lage zu sein, für andere teilnehmende Gefühle zu empfinden, heutzutage ein hilfreicher Ansatz.
In heilenden und helfenden Berufen sind sogenannte «empathiebedingte Burn-outs» nicht selten. Die helfenden Personen bleiben im Zustand der reinen Empathie und werden zunehmend selbst traurig oder deprimiert. Erweitern sie die Empathie mit Mitgefühl für die leidende Person, so entsteht durch diese teilnehmende Sorge und zugleich die Motivation, deren Los zu lindern. So gelingt es, das eigene Tief zu überwinden. Um dies zu erreichen, braucht es allerdings Wertschätzung, Verständnis, Geduld und Güte.
In Gruppen oder Menschenmengen entsteht rasch und spontan die sogenannte soziale emotionale Empathie. Bei synchronisierter Bewegung wirkt sie positiv und vereinigend, was sicher jeder schon einmal beim Tanzen, gemeinsamen Singen oder Musizieren erlebt hat. Massenvorführungen wie beispielsweise an Turnfesten faszinieren sowohl Teilnehmer als auch Zuschauer. Im Militär werden Marschübungen genutzt, um den Truppen-Zusammenhalt zu fördern.
Die soziale emotionale Empathie hat aber auch eine Kehrseite: Wenn sie auf einem starken emotionalen Hintergrund beruht, wie dies bei Sippe, Rasse, Partei oder Staatszugehörigkeit zutrifft, ist im Nu ein Gegner oder Feind definiert und danach wird bald keine vernünftige und moralische Entscheidung oder Diskussion mehr möglich sein. Die Lager sind getrennt und man bekämpft sich nur noch gegenseitig.
So zeigt sich, wie die ganze Vielfalt des Menschlichen im Begriff der Empathie eingeschlossen ist, gesteuert durch komplex reagierende Netzwerke des Gehirns.
Max Handschin
Alles auf einen Blick
vs. Max Handschin hat alle seine Beiträge, die bisher in der «Volksstimme» in der Rubrik «Zeit für neues Wissen» erschienen sind, in einem Buch im PDF-Format zusammengestellt. Personen, die sich für das Buch interessieren, können sich per E-Mail direkt bei Herrn Handschin melden. Das Buch ist kostenlos erhältlich.
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