Eine Mehrheit spielt mit Gitter
04.12.2025 Sport, Eishockey14 von 24 Zunzgen-Sissach-Zweitligisten setzen auf Vollgesichtsschutz
Dass ein Helm mit Gitter besser vor Gesichtsverletzungen schützt als ein Plexiglas-Visier, liegt auf der Hand. Dass wie bei den Zweitligisten des EHC Zunzgen-Sissach mehr als die Hälfte der Spieler Gitter ...
14 von 24 Zunzgen-Sissach-Zweitligisten setzen auf Vollgesichtsschutz
Dass ein Helm mit Gitter besser vor Gesichtsverletzungen schützt als ein Plexiglas-Visier, liegt auf der Hand. Dass wie bei den Zweitligisten des EHC Zunzgen-Sissach mehr als die Hälfte der Spieler Gitter tragen, ist dennoch eine grosse Ausnahme.
Sebastian Wirz
Beim Blick auf das Eisfeld muss Jérôme Lanz schmunzeln und sagt: «Das ist der Traum.» Bei der Trainingseinheit der U9 kurvt sein Mitspieler Remo Hunziker als Assistenzcoach übers Eis. Mit Helm, aber ohne das Visier aus Plexiglas, das für die erwachsenen Eishockeyspieler vorgeschrieben ist. «Das ist wie früher, das ist männlich», sagt Lanz mit einem breiten Grinsen.
Der Anblick Hunzikers ist nicht nur speziell, weil das «Plexi», wie es im Eishockey-Sprachgebrauch heisst, fehlt. Beim Dauer-Skorer der Sissacher Zweitligisten fehlt mehr. Statt eines Visiers spielt er seit Jahren mit einem geschlossenen Gitter, das von der Stirn bis unter das Kinn reicht. Mit diesem Erscheinungsbild hat Hunziker seit seiner Rückkehr auf die Kunsteisbahn 2016 etabliert, dass ein Spieler mit Vollgitter nicht ein frisch ins Fanionteam hochgezogener Jungspund sein muss. Denn bis 18 ist das Gitter vom Verband vorgeschrieben. Dank Hunziker kann «der mit dem Gitter» auch ein Top-Spieler sein.
Aussehen wie die Profis
Mit 18 Jahren haben alle von der «Volksstimme» befragten Spieler sofort auf das «Plexi» gewechselt. «Ich wollte cool sein», sagt Hunziker. «Wir brannten in Zug alle darauf, endlich ohne Gitter zu spielen», sagt Lanz. «Ich konnte endlich wie ein Profi, endlich erwachsen aussehen», drückt es ZS-Verteidiger Lukas Wyser aus. Den Profis aus dem Oberbaselbiet ging es da genau gleich: Elvis Schläpfer, beim HC Ajoie unter Vertrag, kann sich erinnern, wie er mit 18 plötzlich zu den «Grossen» gehört habe, er habe sich «mega gefreut». Biel-Stürmer Nicolas Müller sagt, dass seine Eltern es gerne gesehen hätten, wenn er das Gitter behalten hätte, aber für ihn sei das nie ein Thema gewesen.
Der Schritt weg vom Gitter passiert also automatisch. Der Weg zurück ist deutlich seltener. Wer Eishockey der Profis von NHL bis National League verfolgt, sieht kaum je ein Gitter. Dabei bestätigen die beiden Oberbaselbieter Profis, dass sie jederzeit zum Gitter wechseln dürften, wenn sie denn wollten. Beide haben dies nie ernsthaft in Betracht gezogen. Schliesslich hätten sie «kaum» Verletzungen im Gesicht gehabt – ausgenommen je ein Nasenbruch und blutige Lippen bei Müller sowie abgebrochene Ecken von Zähnen bei Schläpfer, der «zwei- bis dreimal im Gesicht genäht werden musste».
Essen durch ein «Röhrli»
Der Grund, warum Hunziker das Gitter trägt, ist einfach: eine Zahnverletzung. «Ich habe einen Stock in den Mund bekommen, es hat mir alle Zähne abgelegt», schildert Hunziker. Nicht nur, dass er alle drei Tage zum Zahnarzt gerannt sei und sein Essen für Wochen per Röhrchen zu sich genommen habe. Er hatte jahrelang Probleme mit dem Gebiss. Die untere Zahnreihe ist heute aufgefüllt, aber Wurzeln sind keine mehr vorhanden.
«Ich war immer der einzige mit Gitter», sagt Hunziker, «nicht nur bei uns, in der gesamten Liga gab es kaum einen anderen Spieler.» Doch daran hat sich einiges geändert: Von den 24 Spielern, die bei ZS in der Meisterschaft 2025/26 eingesetzt worden sind, tragen 14 Gitter. Mehr als die Hälfte hat sich also für besseren Schutz entschieden.
Wie und wann das genau so gekommen ist, können Hunziker und Lanz nicht sagen. Beim Blick durch die Kabine staunen sie selber, wie viele Gitter auszumachen sind. Bei der Swiss Ice Hockey Federation heisst es auf Anfrage, dass der Verband aktuell «keinen spezifischen Trend zu mehr oder weniger Gittern» beobachte. Eine Statistik werde nicht geführt.
Zahnmedizin und Eishockey
Neben einigen Verletzungen im Team glaubt Hunziker an den Vorbildeffekt durch einen weiteren Spieler: «Seit Raoul Seiler zu uns gekommen ist, haben einige gewechselt», sagt der 33-Jährige über seinen Sturmlinienpartner, der im Jahr 2023 nach Stationen in der dritthöchsten Liga zu Zunzgen-Sissach gestossen ist – und zwei grösseren Zahnverletzungen.
Erst in der aktuellen Saison zum Gitter gewechselt hat Lukas Wyser.
Der 21-Jährige hat die vergangenen Jahre auf höchster U20-Stufe sowie in der «MyHockey League» verbracht – und studiert ausgerechnet Zahnmedizin. Mit 18 hat er das «Plexi» an seinen Helm montiert wie alle anderen. Sein Berufswunsch und sein Umfeld – sein Vater ist Zahnarzt – hätten bei der Rückkehr zum Gitter sicher eine Rolle gespielt, aber entscheidend sei Wysers allererste Partie im Amateurhockey gewesen: «Im ersten Spiel gegen Koppigen hatte ich gleich drei ‹close calls›, bei denen Schlimmeres hätte passieren können. Innert kurzer Zeit hatte ich dreimal einen Stock im Gesicht», erinnert sich Wyser an den 4. Oktober. Für ihn kam schon im ersten 2.-Liga-Spiel der Moment, in dem er sich gesagt habe: «Wenn ich jetzt nicht wechsle, dauert es nicht lange, bis etwas passiert. Und ich weiss, was es im gesundheitlichen Sinn kostet, einen Zahn zu ersetzen.» Aktuell sei sein Gebiss noch «original», er habe in seiner «Plexi»- Zeit nur kleine Schnitte im Gesicht und blaue Flecken erlitten. Es ergebe dennoch keinen Sinn, sich «in jedem Training und jedem Match dieser Gefahr auszusetzen.»
Der Nutzen eines Vollgitters oder auch Voll-«Plexis» beim Schutz des Gesichts ist unbestritten. Verschiedene kleinere und auch grössere Verletzungen werden damit verhindert oder sehr unwahrscheinlich. Bei der geringen Anzahl von Gitterträgern im Amateur-Hockey und ihrer Fast-Inexistenz bei den Profis stellt sich eher die Frage nach den Nachteilen.
Als Argument könnte die Beeinträchtigung der Sicht herangeführt werden. Doch so wie Visierträger Jérôme Lanz während des Spiels den unteren Rand seines «Plexis» nicht sieht, nimmt Remo Hunziker das Gitter in seiner Sicht nicht wahr. «Von der Sicht her ist ein Halbvisier schon am besten, aber es ist wohl einfach eine Gewohnheitssache», sagt Elvis Schläpfer.
Eine Tatsache ist, dass es bequemer ist, einen Helm ohne Gitter und damit ohne potenziell störendes Teil am Kinn zu tragen. «Ich könnte mir nicht vorstellen, mit Gitter zu spielen», sagt Jérôme Lanz. «Ich fühle mich frei mit dem ‹Plexi›, habe gute Sicht, es stört nichts und ich kann mir an den Mund fassen, um den Zahnschutz rauszunehmen.»
Eine Frage der Kultur
Der Hauptgrund, weshalb die meisten Spieler – die Mehrheit in der ZS-Kabine bildet eine Ausnahme – mit «Plexi» unterwegs sind, dürfte in der Tradition begründet sein. «Es liegt wohl schon an der Mentalität, dass Eishockeyaner ‹heerti Sieche› sind», sagt Elvis Schläpfer. «Dass man nähen muss oder einen Zahn weg hat, gehört irgendwie dazu.» Wenn ein Spieler sich für das Gitter entscheiden würde, hätte er in Sachen «Trashtalk» und bei den üblichen «Körperlichkeiten» vor dem Tor wohl einiges auszuhalten. Letzteres bestätigt Remo Hunziker, der gar von einem Nachteil spricht: Wenn er bei einem Stock «im Gesicht» dank des Gitters nicht reagiert, erhält er auch keine Strafe zugesprochen, die jeder «Plexi»-Spieler aufgrund seiner natürlichen Reaktion auf den Schlag mit dem Stock auf sicher hätte.
Die Hockeykultur sei nun einmal mit Härte verbunden, früher auch vermehrt mit Schlägereien, sagt Nicolas Müller. «Wenn man von dieser Tradition abweicht, nimmt man etwas Härte weg und es geht ein wenig vom Spiel verloren», sagt der Arisdörfer. Zugleich hält er fest, dass es in der amerikanischen College-Liga, in der er fünf Jahre lang – mit Vollschutzpflicht – gespielt habe, dennoch hart zur Sache gehe und unterhaltsames Hockey gezeigt werde.
Jeder Spieler darf frei entscheiden. Aber freiwillig will in der National League offenbar niemand «der mit dem Gitter» sein. Müller könnte sich vorstellen, dass einige Spieler froh wären, wenn das Gitter vorgeschrieben würde. «Aber das wird nicht passieren», sagt der 26-Jährige, für den sich die Situation bei den Amateuren ganz anders präsentiert: «Wenn ich Eishockey als Hobby am Abend betreiben würde, würde ich auch mit Gitter spielen.»
Elvis Schläpfer rechnet damit, dass ein Gitter-Obligatorium in den nächsten vielleicht zehn Jahren Realität werden könnte. «Zuerst wurde ohne Helm gespielt, dann mit Helm ohne Visier und nun mit Halbvisier», sagt der Sissacher. «Das geschlossene Gitter ist wohl der logische nächste Schritt.» Für Eishockeyromantiker wie Jérôme Lanz bleibe dann nur noch die Hoffnung, dass die Nachwuchstrainer auf der «Kunsti» auch dann noch ohne Gitter und «Plexi» im Einsatz stehen dürfen. «Das ist der Traum.»

