Eine altgriechische Tragödie auf dem Sissacher Nebiker-Areal
14.08.2025 SissachProduktion über eine vielschichtige Frau zwischen Fremdsein und Selbstermächtigung
mef. Die antike Tragödie «Medea» von Euripides, uraufgeführt im Jahr 431 v. Chr., ist ein düsteres Werk über Verrat, Ausgrenzung und weibliche ...
Produktion über eine vielschichtige Frau zwischen Fremdsein und Selbstermächtigung
mef. Die antike Tragödie «Medea» von Euripides, uraufgeführt im Jahr 431 v. Chr., ist ein düsteres Werk über Verrat, Ausgrenzung und weibliche Selbstermächtigung. Medea ist eine Königstochter aus Kolchis (am Schwarzen Meer, im heutigen Georgien). Sie hilft ihrem Geliebten Iason, das Goldene Vlies zu erringen, und folgt ihm nach Griechenland. In Korinth verlässt Iason sie, um die Tochter des Königs Kreon zu heiraten. Aus Rache tötet Medea die junge Braut und Kreon und ermordet schliesslich auch ihre eigenen Kinder, um Iason zu bestrafen. Sie kann entkommen, während Iason verzweifelt zurückbleibt.
In einer Zeit, in der patriarchale Machtstrukturen wieder sichtbarer werden und gesellschaftliche Spaltung zunimmt, wirkt der Stoff aktueller denn je. Medea ist eine komplexe, verletzliche und kämpferische Frau: Fremde, Mutter, Verstossene. In der neuen Inszenierung der Sissacher Theatercompany «Texte und Töne» ist Medea aber nicht ausschliesslich fanatische Rächerin, sondern eine Figur voller Widersprüche.
Regisseur Kaspar Geiger stellt diese Ambivalenz in den Mittelpunkt. Seine Inszenierung verweigert einfache Antworten. Stattdessen fragt sie: Was ist Wahrheit? Was ist Macht? Und was geschieht, wenn eine Frau sich ihr Recht auf Selbstbestimmung nimmt?
Der Weg zu dieser Inszenierung begann auf Umwegen. Ausgangspunkt war ein Roman des Westschweizer Autors Charles Ferdinand Ramuz. Dessen erste Erzählung «Aline» – die Geschichte einer jungen Frau, die in einem kleinen Dorf gesellschaftlich untergeht – erinnerte Geiger stark an Medea. «Die Idee, beide Stoffe miteinander aufzuführen, habe ich zunächst verfolgt, dann verworfen. Dies zugunsten einer konzentrierten Auseinandersetzung mit Medea allein», sagt Geiger.
Ein Freilichttheater
Gespielt wird unter freiem Himmel, in der historischen Gartenanlage der Brennerei auf dem Areal der Firma Nebiker AG in Sissach; erreichbar in 10 Minuten zu Fuss vom Bahnhof Sissach (oder mit dem Bus 108 bis «Sissach, Kreuzmatt»). Parkplätze sind auf dem Areal der Nebiker AG vorhanden.
Eine grosse runde Holzscheibe stellt die Bühne dar. Verantwortlich dafür, wie schon bei der Produktion «Geld und Geist» (2023/24) der Theatercompany «Texte und Töne», ist Thomas Giger. «Das Griechische Theater diente als Inspiration und wurde zu einer Arena erweitert», erklärt Produktionsleiter Andreas Daniel Müller. Um die Bühne herum stehen 120 Stühle. «Die Sitzordnung erinnert an einen Gerichtssaal», fügt Kaspar Geiger mit Blick auf die Holzscheibe hinzu. «Es geht um das Ausgeliefertsein. Medea muss für sich selbst einstehen.»
Die Produktion entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Schauspielensemble. Neben Sarah Spale als Medea (siehe interview auf dieser Seite), stehen Claudia Adriario, Sophie Eglin, Julia Sewing und Anna Sonnenschein auf der Bühne. Viele im Team haben bereits in früheren Produktionen der Theatercompany mitgewirkt. Neu hinzu kam etwa Claudia Adriario, deren Verbindung zur Produktion über ein gemeinsames soziales Projekt – das «Restaurant du Coeur» – entstand. Dieses Beschäftigungsprogramm für Asylsuchende kocht bei den Vorstellungen in Sissach «gegen das Fremdsein» und begleitet das Theatergeschehen somit kulinarisch. Die Verbindung von Kunst und gesellschaftlichem Engagement sei hier kein Beiwerk, sondern ein zentrales Element, fügen Geiger und Müller hinzu.
Auch in der künstlerischen Organisation zeigt sich das kollektive Prinzip. «Julia Sewing hat kurzfristig das Kostümkonzept übernommen, nachdem die ursprünglich vorgesehene Kostümbildnerin krankheitsbedingt absagen musste», sagt Müller. «Viele Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Es gibt keine Hierarchie, sondern einen offenen, künstlerischen Dialog», ergänzt Geiger.
Eine Besonderheit ist der Chor der korinthischen Frauen – traditionell eine moralische Instanz im antiken Drama, hier jedoch selbst ambivalent: Mitfühlend, aber auch beobachtend, bewertend. Begleitet wird der Chor live von der Perkussionistin Lucia Carro Veiga, deren rhythmisch dichte Klanglandschaften die emotionale Spannung intensivieren sollen.
An neun Abenden betritt das Frauenensemble die Bühne auf dem Nebiker-Areal. Mit der heutigen Premiere ziehen sich diese bis zur Dernière am 31. August (siehe Website). «Wenn man die lange und intensive Vorbereitungszeit betrachtet, scheinen neun Aufführungen auf den ersten Blick wenig. Doch bei Freilichttheater sind Ort, Wetter und Logistik begrenzende Faktoren – mehr Termine sind schlicht nicht möglich», räumt Produktionsleiter Müller ein. Für 2026 seien aber bereits weitere Auftritte geplant.
Bei leichtem Regen wird übrigens trotzdem gespielt – lediglich bei starkem Niederschlag oder Gewitter kann die Vorstellung unterbrochen oder ganz abgebrochen werden. «Bei unsicherer Witterung informieren wir ab 18 Uhr über unsere Website und die Social-Media-Kanäle», so Müller.
Tickets sind im Vorverkauf unter eventfrog.ch oder an der Abendkasse erhältlich.
Mehr Informationen sind auf texteundtoene.ch zu finden.