Ein besonders geschäftstüchtiger Kapitän
15.07.2025 SissachUnterwegs im Nordpazifik,Teil 5: Chuuk
Wir hatten für den Weiterflug nach Hawaii Tickets für den Insel-Hüpfer gekauft, den «Island Hopper» von «United Airlines». Bei diesem Flug handelt es sich um die weltweit längste Flugstrecke unter der gleichen ...
Unterwegs im Nordpazifik,Teil 5: Chuuk
Wir hatten für den Weiterflug nach Hawaii Tickets für den Insel-Hüpfer gekauft, den «Island Hopper» von «United Airlines». Bei diesem Flug handelt es sich um die weltweit längste Flugstrecke unter der gleichen Flugnummer. Von Guam aus erreicht man die Insel Chuuk in knapp zwei Flugstunden. Nach vielen Jahren sind wir wieder zurückgekehrt.
Hanspeter Gsell
Captain Lance Higgs, Kanadier aus Vancouver Island, ist ein weit gedampfter Kapitän. Er hat alle Weltmeere bereist, nichts ist ihm fremd. Nach seiner Grundausbildung in Vancouver fuhr er zunächst auf Schleppern über die Flüsse und Meere Kanadas bis weit in den Norden nach Alaska.
Als einer der jüngsten Kapitäne des Kontinents übernahm er schon bald sein erstes Kommando. Holzstämme wurden von den Oberläufen der kanadischen Flüsse hinunter zu den Papiermühlen im Süden geflösst, das Papier anschliessend bis nach San Francisco geliefert. Als Kapitän in der Fischerei brachte er es später zu einem stattlichen Vermögen und zu einem eigenen Dampfer, der S.S. Thorfinn.
Die S.S. Thorfinn
Die S.S. Thorfinn war 1966 von Thor Dahl an die Karlsen Shipping in Halifax verkauft und auf den Namen S.S. Chester getauft worden. Das kanadische Halifax, an der Ostküste des amerikanischen Kontinents gelegen, war in jenen Zeiten ein bedeutender Fischereihafen und Ausgangspunkt für die Eroberung der Arktis. Riesige Ölförderprojekte entstanden, die Reeder rieben sich die schwieligen Hände und warteten auf Aufträge für ihre Schiffe.
Die aber kamen nicht. Denn das Öl sprudelte in jenen Zeiten aus allen Rohren, die Ausbeutung neuer Quellen wäre zu teuer gewesen. Und so warteten Hunderte von Schiffen auf Aufträge, die nie mehr kommen würden. Auch Captain Lance Higgs wollte vom Boom profitieren und war nach Halifax gereist. Zu spät, wie er bald einmal feststellte. Der abgesagte Boom hatte jedoch auch Vorteile: Die arbeitslosen Kähne wurden zu Spottpreisen angeboten.
Eines der Schiffe hatte es Lance besonders angetan: die S.S. Chester. Kurzerhand kauft er den Kahn und gab ihm wieder den ursprünglichen Namen zurück: S.S. Thorfinn. Via Panamakanal dampfte er mit dem Schiff nach Vancouver, an die Westküste Kanadas. Dort hatte er eine zündende Idee: Er erfand kurzerhand das «Liveaboard» für Hobbyangler. Bis dahin wurden die Fischer, die für ihr seltsames Vergnügen ein Boot gechartert hatten, jeden Abend wieder ans Land gebracht. Dort nächtigten sie in teuren Hotels, assen und tranken in teuren Restaurants und gaben ihr Geld für allerhand Nutzloses aus. Lance aber wollte, dass die Leute das Geld an Bord seines Schiffs ausgaben.
Die Erfindung des «Liveaboard»
Also baute man die Thorfinn zum schwimmenden Hotel um. Die alten Laderäume riss man heraus, Kajüten wurden eingebaut. Aus dem kleinen Speisesaal für die Mannschaft wurde ein Restaurant, dazu kam eine Bar, ein Shop sowie eine grosszügige Lounge, in die sinnigerweise ein Aquarium eingebaut wurde.
Für jeweils zwei Gäste stand ein kleines motorisiertes Fischerboot mit der benötigten Ausrüstung zur Verfügung. Jeden Morgen setzte man die Passagiere in die kleinen Boote und gab ihnen Pakete mit Lebensmitteln und Getränken auf den Weg. Wie kleine Entlein verliessen sie am frühen Morgen ihr Mutterschiff.
Erst gegen Abend kam man mit der Beute wieder zurück an Bord. Dort wurden die Fische ausgenommen, in Stücke geschnitten und in die Kühlräume verfrachtet. Man würde sie später an Land räuchern und damit haltbar machen. Die Gäste liessen sich an Bord von einer Schweizer Köchin verpflegen. Die Bar war gut assortiert, der kleine Shop verkaufte ihnen alles, was sie auch nicht wirklich benötigten. Das Geschäft lief gut, hatte aber einen Makel: Captain Lance Higgs hasste die Kälte des kanadischen Nordens.
Zurück in Vancouver begab er sich in die Bibliothek der grössten und ältesten Zeitung der Stadt, der «Vancouver Sun». Etwas ziellos las er sich durchs Zeitungsarchiv. Schon bald jedoch stiess er auf eine Meldung, die ihn aufhorchen liess. Eine kleine Insel irgendwo im Pazifik wollte den Tauch-Tourismus fördern und suchte nach Investoren. Er hatte doch das perfekte Schiff dafür!
Lance reiste nach Mikronesien und bekam den Zuschlag für den Aufbau einer Tauch-Industrie. Zuerst aber baute er einmal mehr sein Schiff um. Kompressoren mussten installiert werden, leistungsstarke Tauchboote wurden gekauft. Die S.S. Thorfinn wurde zum ersten «Liveaboard» der Welt für Taucher. Und zu einer einmaligen Erfolgsgeschichte:
Korruption
Auch auf der Insel Chuuk sind die Segnungen der Zivilisation, darunter auch die Korruption, auf allen Ebenen angekommen. Ein Beispiel unter vielen: Am Flughafen werden Blumenkränze angeboten und verkauft. Ältere und jüngere Frauen bieten diese den Reisenden an. Mit den Kränzen heisst man traditionell die ankommenden Reisenden willkommen. Den abfliegenden Menschen will man damit sagen, sie sollen glücklich und gesund wiederkommen. An einem einzigen Blumenkranz arbeiten die Frauen über eine Stunde, sie verkaufen sie für einen Dollar pro Stück. So weit, so schön.
Unschön wurde es jedoch gegen Abend. Dann nämlich, wenn der Tourismus-Direktor seine Runde am Flughafen drehte und den Frauen die wenigen Dollar, die sie tagsüber verdient hatten, wieder abnahm. Für sich persönlich und für seinen christlichen Radiosender. Halleluja! Man hat ihn, er trägt einen deutschen Namen, verhaftet, verurteilt und wieder freigelassen. So kann er weiterhin seine Predigten über den eigenen Sender ausstrahlen.
Übergewichtig und uneinsichtig
Viele Menschen in Mikronesien leiden unter starkem Übergewicht. So auch Marrie, die Tochter eines früheren Gouverneurs von Chuuk. Sie wird wohl 200 Kilo auf die Waage gebracht haben. Bei einer Körpergrösse von gerade einmal 160 Zentimetern war dies eindeutig zu viel. Marrie aber war nicht nur übergewichtig, sondern auch uneinsichtig.
Marrie hatte ein paar Tage Ferien bei ihren Verwandten auf der Insel Tol verbracht, als plötzlich ein Unwetter drohte. Im Westen hatten sich riesige Wolkenberge aufgetürmt, die Wellen trugen bereits kleine Schaumkronen.
«Ich will nach Hause zu Papilein!», soll sie gerufen und ihren Bootsmann angewiesen haben, sie sofort und ohne Umwege zurück nach Weno zu bringen. Die Verwandten schauten sich an, schauten den sich bereits im Wind wiegenden Palmen zu und sagten zuerst einmal gar nichts.
Nach einer Weile meinte der Dorfälteste: «Es ist zu gefährlich!»
«Ich habe gesagt, ich will. Und wenn ich will, dann hat man mir zu gehorchen. Bootsmann, lassen sie die Gondel ins Wasser!»
Dies wiederum verstand der Bootsmann nicht, er wusste nicht, was eine Gondel sein sollte. In der Zwischenzeit hatte sich der Himmel weiter verdunkelt, erste Blitze zuckten, von Ferne grollte der Donner. Nachdem sich das Missverständnis zwischen dem Bootsmann und dem Gouverneurstöchterlein gelöst hatte, schob man das Boot ins Wasser, der Motor wurde gestartet.
Die Menge rief «Gute Fahrt»; Marrie nahm keine Notiz davon und liess sich auf der hinteren Planke neben dem Motor nieder. Der Bootsmann meinte zu ihr, sie solle sich doch im Bug oder, wenn ihr das nicht genehm wäre, in die Mitte des Boots hinsetzen.
«Dort werde ich von Spritzwasser nass», meinte Marrie und blieb sitzen. Sie wusste in diesem Moment noch nicht, dass sie noch viel nasser werden würde auf der weiteren Fahrt. Die Insel Tol geriet ausser Sichtweite, von den anderen Inseln war durch die Regenschleier nichts zu sehen.
«Halten Sie sich fest!», rief der Bootsmann durch das Brausen des aufziehenden Sturmes. «Wir müssen es jetzt nur noch durch den Kanal schaffen, dann sind wir schon bei ihrem Papilein.»
«Gut, dann geben Sie Vollgas.»
Der Bootsmann gehorchte und fuhr mit Höchstgeschwindigkeit in die dräuenden Wellen des Kanals. Die Bootsspitze hob sich gefährlich weit aus dem Wasser. Je höher der Bug aufragte, desto tiefer lag das Heck mit dem Motor. Und so kam es, wie es kommen musste. Den nächsten Wellenberg schaffte das Boot nicht. Es glitt wieder rückwärts von der Welle herunter und versank lautlos im Meer.
Marrie und der Bootsmann tauchten nach einer Weile ein letztes Mal japsend an der Oberfläche auf. Gegen die Strömung im Kanal hatten sie jedoch keine Chance. Sie wurden in das offene Meer hinausgezogen und verschwanden auf Nimmerwiedersehen in den Weiten des Pazifiks. Fortsetzung folgt.
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.
Bisher erschienen: Teil 1 (19. Juni), Teil 2 (26. Juni), Teil 3 (4. Juli), Teil 4 (8. Juli)