Droht der finanzielle Absturz?
31.10.2023 Seltisberg, Bezirk LiestalInformationsanlass deckte Situation schonungslos auf
An einer Informationsveranstaltung zum Finanzhaushalt der Einwohnergemeinde Seltisberg hat der Gemeinderat die Karten schonungslos auf den Tisch gelegt. Eine Steuererhöhung um satte 10 Prozentpunkte stehe im Raum, so ...
Informationsanlass deckte Situation schonungslos auf
An einer Informationsveranstaltung zum Finanzhaushalt der Einwohnergemeinde Seltisberg hat der Gemeinderat die Karten schonungslos auf den Tisch gelegt. Eine Steuererhöhung um satte 10 Prozentpunkte stehe im Raum, so Präsidentin Miriam Hersche.
Willi Wenger
Die öffentliche Informationsveranstaltung zum Finanzhaushalt der Einwohnergemeinde Seltisberg vom vergangenen Donnerstag bewegte. Ein Heer von Einwohnerinnen und Einwohnern füllte die Mehrzweckhalle, wo seitens des Gemeinderats offen und sehr transparent über die Finanzen von Seltisberg informiert wurde.
Gemeindepräsidentin Miriam Hersche zeigte dabei unter anderem auf, wie sich die Steuererhöhung von 52 auf 55 Prozent im vergangenen Jahr auswirkte, und vor allem, dass diese 55 Prozent nicht ausreichen werden, um die (finanzielle) Zukunft stemmen zu können. Sie stellte eine Steuererhöhung in der Grössenordnung von 10 Prozentpunkten in Aussicht. Dies veranlasste alt Gemeindeverwalter Hansruedi Held zur Wortmeldung, dass man doch bitte über die Wahrheit informierten solle. «Die 10 Prozent wirken sich bei den Steuerzahlenden als satte 18 Prozent im Geldbeutel aus.» Dies hörte auch Finanzdirektor Anton Lauber, der das Interesse des Regierungsrats am Abend dokumentierte.
«Echte Schieflage»
Für Gemeindepräsidentin Hersche war klar, dass Seltisberg zwingend und substanziell die Steuern erhöhen muss. «Wir sind in echter Schieflage, trotz der Erhöhung des Steuerfusses im Jahr 2022 von 52 auf 55 Prozent. Der Nettoertrag im Bereich Finanzen und Steuern im vergangenen Jahr fiel mit 257 000 Franken negativ aus. Budgetiert waren Mehreinnahmen von 210 000 Franken.»
Hersche nannte die Hauptgründe für diese Misere. «Todesfälle und Wegzüge von starken Steuerzahlern sowie Pensionierungen der Babyboomer waren schlicht nicht zu kompensieren.» Auch im laufenden Jahr, so die Gemeindepräsidentin, sehe die Situation düster aus. «Die Hochrechnung zeigt, dass wir erneut weniger Steuereinnahmen verbuchen können. Wir rechnen mit einem Aufwandüberschuss, was zu einer erneuten Reduktion des Eigenkapitals – per Ende 2022 – von 903 000 Franken führen wird.»
Die Steuererhöhung um 10 Prozentpunkte – ein Prozent entspricht 59 000 Franken, im Jahr 2019 betrug diese Summe noch 67 000 Franken –, die der Gemeinderat am 29. November an der Gemeindeversammlung beantragen wird, dürfte chancenlos sein. Mehrere Besucher und auch Alt-Behördemitglieder äusserten sich nach dem Anlass entsprechend. Drei, vielleicht vier Prozentpunkte seien allenfalls möglich, sagten mehrere Personen.
Einseitiges Wohnangebot
Sparen sei vielmehr das Gebot der Stunde, hielten weitere Personen fest. Hohe Steuern seien wenig förderlich für die Attraktivitätssteigerung von Seltisberg, kommentierte ein Redner aus dem Plenum. Dies sei nur eine Seite der Medaille, so Hersche. Sie sagte, dass das Einfamilienhaus-Dorf ein «Klumpenrisiko» darstelle. Es sei die Dorfstruktur, die es im Grossen und Ganzen nicht zuliesse, junge Familien zu motivieren, nach Seltisberg zu ziehen. Eine Vielfalt des Angebots wie Eigentumswohnungen, Mietwohnungen für junge Familien, Generationenwohnungen oder neue Wohnformen im Alter seien einfach nicht vorhanden, so Hersche.
Dass Seltisberg den Gürtel wird enger schnallen müssen, ist schon länger klar. In Anbetracht der Tatsachen, dass die Liquidität bis Ende Jahr noch 163 000 Franken beträgt und dass die Basellandschaftliche Kantonalbank einen Kreditstopp für Seltisberg verfügt hat, wird es eng. Auch im Hinblick auf die bevorstehenden Investitionen. Diese sollen bis 2028 rund 10,3 Millionen Franken betragen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der Gemeinderat über die kommenden zwei Jahre einen Investitionsstopp verfügt hat.
Alles in allem: Seltisberg steht eine sehr anspruchsvolle Zukunft bevor. Auch aus diesem Grund seien die 10 Prozentpunkte Steuererhöhung notwendig, so Hersche in ihrem dezidierten Votum.
NACHGEFRAGT | MIRIAMHERSCHE, GEMEINDEPRÄSIDENTIN SELTISBERG
«Die Gleichbehandlung der Einwohner war mir sehr wichtig»
Nach acht beziehungsweise 32 Jahren als Gemeinderatsmitglieder werden sich Miriam Hersche und Stephan Hersberger bei den bevorstehenden Gesamterneuerungswahlen 2024 nicht mehr zur Verfügung stellen.
Frau Hersche, Sie stellen sich für die neue Legislatur nicht mehr zur Verfügung. Haben Sie diesen Entscheid spontan getroffen?
Miriam Hersche: Ich habe mir bei meiner Wahl in den Gemeinderat im Jahr 2016 zum Ziel gesetzt, zwei Amtsperioden in der Behörde tätig zu sein. Dies werde ich Mitte des kommenden Jahres erreicht haben. Die acht Jahre waren bereichernd und es machte mir stets Freude, meine Zeit und Kompetenz zum Wohle unserer Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Kurz: Die acht Jahre waren immer so geplant, nur habe ich dies nicht so nach aussen kommuniziert.
Sie haben in Ihrer Zeit im Gemeinderat vieles erreicht. Welches waren Ihre Glanzpunkte?
Ich habe mich stets für die Sache und für Transparenz eingesetzt, und das werde ich auch bis zum Ende meiner Legislatur mit meiner aktiven Art tun. Ich habe zudem keinen Unterschied gemacht, wer mit welchem Anliegen an mich respektive an den Gemeinderat gelangt ist. Die Gleichbehandlung der Einwohner war mir sehr wichtig, und das habe ich mit dem Team zusammen auch positiv und wertschöpfend erreichen können. Besonders hervorzuheben ist auch die stets angenehme und professionelle Zusammenarbeit mit den Mitarbeitenden auf der Verwaltung und im Werkhof.
Was werden Sie sonst noch in Erinnerung behalten?
Gewisse Themen brauchen etwas mehr Hartnäckigkeit, wie zum Beispiel die «Kehrtwende» bei den Finanzen, doch als ehemalige, mehrfache Marathonläuferin bin ich gewohnt, dranzubleiben und auch eine «Wadenbeisserin» zu sein. Besonders freut mich die aktuelle Bauentwicklung, wo endlich die lang ersehnten Eigentumswohnungen kommen, welche die notwendige Diversifikation des Wohnangebots in Seltisberg anstossen. Ich hoffe auch, dass das Thema Generationenwohnungen noch angestossen werden kann und weitere wichtige Themen in der Baulandaktivierung. Die Umsetzung der Alters- und Pflegeregion Liestal (APRL) als Vorgabe aus der umfassenden Revision des Altersbetreuungs- und Pflegegesetzes (APG) ist mir als Projektleiterin zusammen mit den Vertretern der anderen neun beteiligten Gemeinden in der Region sicher vorbildlich gelungen, und das mit einem beachtlich tiefen Kostenbudget im Vergleich zu anderen Gemeinden im Kanton.
Wie sieht es mit Rückschlägen aus?
Als lösungsorientierte Persönlichkeit kann ich soweit keinen Rückschlag verzeichnen. Es gibt für mich immer Wege, ans Ziel zu kommen, dies auch in der Arbeit als Gemeinderat. Selbstverständlich sind dabei sowohl ein gutes Verwaltungs- und Werkhofteam als auch gute Kolleginnen und Kollegen in den verschiedenen Behörden von grosser Wichtigkeit.
Ihre Gemeinde steht finanziell nicht sehr gut da. Denken Sie, dass auf Ihren Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin diesbezüglich noch anspruchsvollere Zeiten zukommen, als Sie diese erlebt haben?
Die Auswirkungen aus Entscheiden der Vergangenheit, insbesondere dem Jahr 2008, gepaart mit einem zu langen Aufschub zur Erhaltung einer guten Infrastruktur in unserem Dorf, werden auch den zukünftigen Gemeinderat weiter fordern. Doch ich bin zuversichtlich, dass dies lösbar sein wird, wenn man gemeinsam am gleichen Strick in die gleiche Richtung zieht, gut plant und dranbleibt. Es ist klar, dass es auch weiterhin ein anderer, sicherlich noch etwas steinigerer Weg sein wird als in den vergangenen 20 Jahren, doch das ist bekanntlich in vielen anderen Themen im Leben nicht anders. Wenn man das Ziel nicht aus den Augen verliert und an der Sache bleibt, dann wird es gelingen.
Können Sie uns schon verraten, wer Ihre Nachfolge antreten wird? Ist es möglicherweise der Vizepräsident Tobias Grieder?
Das ist heute noch nicht bekannt. Vorerst muss der Gemeinderat wieder vollzählig sein für die neue Legislatur, alsdann wird in einem zweiten Schritt das Präsidium bei der Konstituierung festgelegt. Drei Gemeinderatsmitglieder stellen sich für eine Wiederwahl zur Verfügung; zwei neue werden gewählt werden müssen. Meine Nachfolge haben wir im Rat noch nicht thematisiert. Ich kann nur so viel sagen, dass ein bisheriges Mitglied sicher Vorteile gegenüber einem Neuling hat, um das Präsidialamt auszuüben. Und: Ich halte letztlich fest, dass wir im Gemeinderat seit Langem ein sehr gutes Einvernehmen haben.
Interview Willi Wenger