Die Sprache unserer Nachbarn
17.10.2025 PolitikMaya Graf, Ständerätin Grüne, Sissach
In der Herbstsession fand – wie jedes Jahr – der Tag der Mehrsprachigkeit statt. An diesem Tag halten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier ihre Voten ganz oder teilweise in einer anderen ...
Maya Graf, Ständerätin Grüne, Sissach
In der Herbstsession fand – wie jedes Jahr – der Tag der Mehrsprachigkeit statt. An diesem Tag halten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier ihre Voten ganz oder teilweise in einer anderen Landessprache – als Würdigung unserer Schweizer Mehrsprachigkeit. Da versucht sich ein Ständeratskollege in holprigem Französisch, dort überrascht die Kollegin mit lupenreinem Italienisch und mein Sitznachbar, der mit einem Nationalratskollegen rätoromanischer Muttersprache seinen Text übte, trägt ihn zur Freude der Bündner Standesvertreter stolz vor. Alle diese Redebeiträge sind weder perfekt, noch klingen sie so. Niemand lacht, alle bemühen sich. Auf Bundesebene wird nur im Nationalratsplenum in die Landessprachen übersetzt: Ich muss meine Französisch oder Italienisch sprechende Kollegin also zumindest gut verstehen, kann aber auf Deutsch antworten und umgekehrt. Sich in einer oder gar zwei anderen Landessprachen zu verständigen, ist nicht nur ein Vorteil in der Parlamentsarbeit. Unser Sprachen- und Kulturverständnis ist die Basis für vertrauensvolle Zusammenarbeit und Zusammenhalt.
Für die Nordwestschweiz sind Französischkenntnisse besonders wichtig. Unser Kanton teilt 11 Prozent seiner Grenze mit Frankreich und die Kantonsgrenze zum französischsprachigen Kanton Jura ist fast gleich lang wie jene zu Basel-Stadt. Das erklärte Ziel unserer Nachbarn im Jura ist, mit der Region Basel zusammenzuarbeiten. Dies geschieht zum Beispiel am Gymnasium Laufen oder indem Baselbieter Schülerinnen und Schüler die Primarschule in Delémont oder umgekehrt in Laufen besuchen können. Beim Schweizer Inno- vationspark in Allschwil ist der Kanton Jura ebenso engagierter Partner wie bei der Nordwestschweizer Regierungskonferenz. Wir sind übrigens die einzige zweisprachige Regierungskonferenz der Schweiz. Wir sollten diesen Vorteil nutzen. In unserer Region werden in Wirtschaft und Alltag Französisch ebenso gebraucht wie Englisch.
Die hiesigen Wirtschaftsverbände sollten dringend mit den drei bürgerlichen Regierungskandidatinnen und -kandidaten sprechen: Mit grossem Erstaunen lese ich, dass alle drei Frühfranzösisch infrage stellen und erst noch mit dem Argument, es sei zu schwierig für die Primarkinder und auch die Lehrerschaft. Die Resultate seien schlecht. Sind wir bei der Sprachbildung beim Lustprinzip angelangt? Dann schaffen wir als Nächstes Mathematik oder Lesen ab, weil «ChatGPT» es ja kann? Nein. Klar ist: Französisch als lateinische Sprache ist für Deutschschweizer Schülerinnen und Schüler schwieriger zu erlernen als Englisch, das im Alltag omnipräsent ist.
Und das spricht exakt für Frühfranzösisch: Je schwieriger eine Sprache, desto mehr Zeit (und Geduld) braucht es. Wie sollen sonst drei Viertel aller Schülerinnen und Schüler, die keine weiterführenden Schulen mit Sprachunterricht besuchen, bei Wegfall auf Primarstufe in drei Sekundarschuljahren Französisch lernen? Studien zeigen, dass nur gerade Sprachbegabte die verpassten Frühfranzösischstunden aufholen könnten. Ohne Frühfranzösisch haben unsere Berufsschülerinnen und -schüler ungenügenden Sprachunterricht und schlechte Kenntnisse in einer Landessprache. Das ist ein Eigentor, besonders, weil alle Anwärterinnen und Anwärter auf die Bildungsdirektion für eine starke Berufsbildung votieren. Im (Berufs-)Alltag arbeiten wir tagtäglich mit unseren Nachbarn.
Bleiben wir also beim heutigen Sprachenkonzept und verbessern die Bedingungen. Apprenons la langue et la culture de nos voisins le plus tôt possible!
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.