«Die Neugier habe ich geerbt»
04.01.2025 BaselDie Erfolgsautorin Zoë Jenny (50) schreibt und spricht über ihren Vater Matthyas Jenny
Die Bestsellerautorin Zoë Jenny hat zusammen mit ihrem Bruder Caspar das Buch «Die Nachtmaschine» über ihren 2021 verstorbenen Vater Matthyas Jenny verfasst, der als ...
Die Erfolgsautorin Zoë Jenny (50) schreibt und spricht über ihren Vater Matthyas Jenny
Die Bestsellerautorin Zoë Jenny hat zusammen mit ihrem Bruder Caspar das Buch «Die Nachtmaschine» über ihren 2021 verstorbenen Vater Matthyas Jenny verfasst, der als Verleger und Autor 2011 mit dem Kulturpreis der Stadt Basel ausgezeichnet wurde. Ein Gespräch über ihr Leben und das Schreiben.
Andreas Bitterlin
Frau Jenny, was hat Sie bewogen, zusammen mit Ihrem Bruder Caspar ein Buch über Ihren Vater zu schreiben?
Zoë Jenny: Mein Vater veröffentlichte zwar einige Bücher, wurde aber kaum als Schriftsteller wahrgenommen. Da mir seine literarischen Texte sehr gut gefallen, wollte ich sie neu auflegen lassen. Der Verleger des Zytglogge Verlags hatte die Idee einer Biografie, in der die Texte meines Vaters mit den Erinnerungen meines Bruders und mir eingerahmt werden. So ist dieses dreistimmige Werk entstanden.
Sie sind in Basel geboren und haben als Erwachsene in New York, London und Bali gelebt, heute wohnen Sie in Wien. Im Buch über Ihren Vater steht im Text über seine vielen Reisen – etwa durch Afghanistan und Pakistan –, dass er «ein dringendes Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit» hatte. Würden Sie als Weltenbummlerin sich auch so beschreiben?
Mein Vater war jung in einer Zeit, in der viele auf den Hippie-Trails unterwegs waren, zum Beispiel in Afghanistan, was damals ein weltoffenes Land war. Bis meine Tochter in die Schule kam, bin ich selbst viel gereist. Die Neugier auf die Welt habe ich von meinem Vater geerbt, und dass ich an vielen verschiedenen Orten gelebt habe, kommt mir heute zugute, da ich beim Schreiben auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann.
Was hält Sie seit einigen Jahren in Wien?
Es hat mich eher zufällig nach Wien verschlagen, aber die Stadt gefällt mir. Wien ist unaufgeregt und – obwohl eine Weltstadt – trotzdem von einer angenehmen Grösse. Seit meine Tochter in die Schule geht, bin ich sesshaft und werde es auch bleiben, zumindest bis sie die Matura abgeschlossen hat.
Ihr Vater hat sehr beachtete Spuren in der Literaturszene in Basel gelegt – als Autor, als Gründer des Verlags Nachtmaschine, des ersten deutschsprachigen Poesietelefons, der «Buch- » und des Literaturhauses. Das erweckt den Eindruck, dass bei Ihnen die Literatur allgegenwärtig war. Wie waren Sie in sein Engagement involviert?
Ich erinnere mich, wie ich als Kind zuhörte, wenn er das Poesietelefon mit Gedichten besprach oder den Baum der Poesie pflanzte. Es waren immer Schriftsteller bei uns. Alles in seinem Leben drehte sich um Bücher, und es war immer etwas los. Mein Vater hat in seinem Leben so viel gemacht, dass es manchmal schwierig war, alles mitzuverfolgen.
Heute sind Sie eine sehr erfolgreiche Autorin. Was möchten Sie mit Ihren Texten bewirken?
Das kommt ganz auf den Text an. Gerade habe ich ein Kinderbuch für 9- bis 12-Jährige herausgebracht: «Nachts werden alle Wünsche wahr.» Darin geht es um Ängste und wie man diese überwinden kann sowie um die Kraft der Freundschaft.
Ihr erster Roman «Blütenstaubzimmer» wurde eine halbe Million Mal verkauft und in 27 Sprachen übersetzt. Sie haben sich darin sehr persönlich mit Ihrem Leben, mit familiären Beziehungen sowie Gefühlen auseinandergesetzt. Dasselbe gilt für Ihr neues Buch über Ihren Vater. Wie ist es für Sie, Privates mit der Öffentlichkeit zu teilen?
Die Frage, ob eine Sache persönlich ist oder nicht, ist für mich beim Schreiben nicht massgebend, sondern, ob sie relevant ist. Ein Beispiel: Als ich in China auf Lesereise war, telefonierte ich im Hotel mit meinem Vater auf meinem Handy. Wir redeten auf Baseldytsch. Plötzlich hörten wir eine Stimme in der Leitung: «Please talk in german.» Offenbar wurden wir abgehört, und der Dialekt konnte nicht entziffert werden. Aus einem persönlichen und an sich banalen Erlebnis wie ein Telefongespräch wurde eine Szene, die uns etwas über die Situation in China sagt.
Welche Reaktionen aus der Leserschaft erleben Sie?
Auf die Biografie «Die Nachtmaschine» haben wir sowohl in der Presse als auch von Leserinnen und Lesern sehr positive Reaktionen erhalten. Dass uns weder die «BuchBasel» noch das Literaturhaus – beides Institutionen, die mein Vater ins Leben gerufen hat – nicht eingeladen haben, hat uns allerdings verwundert.
Sie erhielten Preise und unternahmen Lesereisen in die Vereinigten Staaten, nach China und Japan. Wie empfinden Sie diese Wertschätzung?
Es ist natürlich schön, wenn das, was man macht, von anderen geschätzt wird und Wirkung zeigt. Es ist etwas Besonderes, auch in anderen Ländern wahrgenommen zu werden.
Wie schreiben Sie? Strukturiert nach geplantem Tagesablauf oder spontan?
Ich schreibe jeden Tag und am besten gleich nach dem Aufstehen, wenn das Gehirn noch frisch und unbelastet ist. Ich schreibe jeweils so lange, bis ich meine Tochter von der Schule abholen muss.
Fliegen Ihnen die Worte zu oder kämpfen Sie um Inhalte und Formulierungen?
Das ist unterschiedlich, aber in allen meinen Büchern steckt jahrelange Arbeit. Ich schreibe fast jeden Text mehrmals um.
Woran arbeiten Sie derzeit?
An einem Roman, der in meiner Heimatstadt Basel spielt. Da er historische Bezüge hat, ist die Arbeit mit viel Recherche verbunden.
Ist eine Rückkehr in die Schweiz eine Option?
Ja – und wenn, dann nach Basel oder in die Umgebung. Meine Familie ist hier verwurzelt. Einer meiner Vorfahren, Galli Jenny, war der Anführer des Bauernkriegs von 1653 gegen die Basler Obrigkeit. Er und seine Anhänger wurden hingerichtet. In Liestal bei der Kaserne steht ein Denkmal, das seines und der anderen Opfern gedenkt.
Zoë Jenny, Caspar Jenny, «Die Nachtmaschine» – Matthyas Jenny: Ein literarisches Leben, Zytglogge Verlag
Zur Person
abi. Zoë Jenny wurde 1974 als Tochter des Verlegers und Autors Matthyas Jenny und der Malerin Rahel Knöll in Basel geboren. Bereits als Schülerin veröffentlichte sie ab 1993 Kurzgeschichten und Essays. Im Jahr 1994 schloss sie die Diplommittelschule in Basel ab. 1997 erschien ihr erster Roman «Das Blütenstaubzimmer», der sich rund 500 000 Mal verkaufte und in 27 Sprachen übersetzt wurde.
Im Jahr 2010 kam ihre Tochter Noemi zur Welt. Mit ihr lebt Zoë Jenny seit 2015 in Wien. Insgesamt hat sie bis jetzt sechs Romane, einen Erzählband und zwei Kinderbücher veröffentlicht und ist mit mehreren Literaturpreisen ausgezeichnet worden, darunter dem «3sat-Stipendium» beim Ingeborg-Bachmann-Preis und dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung.