«Die Menschheit lernt nicht so schnell»
28.12.2023 BaselProfessor Laurent Goetschel forscht als Direktor der Stiftung Swisspeace zum Thema Frieden
Die Stiftung Swisspeace befasst sich mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, aber auch grundsätzlich mit der Friedensforschung und -förderung. Direktor von ...
Professor Laurent Goetschel forscht als Direktor der Stiftung Swisspeace zum Thema Frieden
Die Stiftung Swisspeace befasst sich mit den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten, aber auch grundsätzlich mit der Friedensforschung und -förderung. Direktor von «Swisspeace» ist Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel. Im Interview nimmt Goetschel Stellung zur Ablehnung des Landrats von Unterstützungsgeldern und zu Kritik an seinen «antiisraelischen» Äusserungen.
Andreas Bitterlin
Herr Goetschel, was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Nahen Osten und an die Ukraine denken?
Laurent Goetschel: Dass die Menschheit offensichtlich doch nicht so schnell lernt, wie man manchmal gern hätte, und dass die Rückfallgefahr in den Krieg als Modus der Durchsetzung eigener Interessen für gewisse Akteure näher liegt als gewünscht.
Die Ukraine und der Nahe Osten sind in aller Munde. Warum sind diese Kriege bei uns so präsent, während langjährige blutige Konflikte in Afrika kaum zur Kenntnis genommen werden?
Wo geografische Nähe und geschichtsbedingte mentale Betroffenheit ausgeprägt sind, löst dies mehr Emotionen aus, als Konflikte weit entfernt, von denen wir häufig nicht genau wissen, worum es geht. Der Nahe Osten ist ein einzigartiger Konflikt aufgrund der sehr engen Verbindung mit der europäischen Geschichte. Viele Israeli sind ursprünglich aus Europa ausgewandert, weil es ihnen hier schlecht erging, primär im Zweiten Weltkrieg mit dem Holocaust, aber auch schon zuvor und danach. In der Ukraine handelt es sich um einen Krieg in Europa. Und der Angreifer ist Russland, was in Europa besondere Bedeutung hat, weil es sich um eine Nuklearmacht handelt und zudem historische Assoziationen zum Kalten Krieg weckt, was zur speziellen Wahrnehmung dieses Kriegs beiträgt.
Der Krieg im Nahem Osten beschäftigte vor Kurzem den Baselbieter Landrat, der eine von der Regierung beschlossene finanzielle Unterstützung von «Swisspeace» kippte, da Sie sich in einer SRF-«Club»-Sendung antiisraelisch geäussert hätten. Umstritten war unter anderem Ihre Aussage zur sogenannten Zweistaatenlösung, bei der je ein unabhängiger Staat für Israel und Palästina bestehen würden.
Die Zweistaatenlösung wäre in den 1990er-Jahren eine sehr gute Option gewesen. Seither hat die Besiedlung des Westjordanlands aber derart starke Ausmasse angenommen, dass die Landkarte einem Flickenteppich gleicht. Würde man dort einen zusammenhängenden palästinensischen Staat errichten wollen, müssten die halbe Million israelischer Siedler wegziehen oder Bürger dieses Staates werden. Beides ist nur schwer vorstellbar. Daher sollte man überlegen, ob eine Einstaatenlösung, beispielsweise in Form einer Konföderation, nicht die bessere Lösung wäre.
Umstritten ist auch Ihre Meinung zur Frage, ob es richtig ist, die Hamas in der Schweiz als terroristische Organisation zu klassifizieren und dass der Bundesrat ein Gesetz initiiert, das die Hamas bei uns verbieten soll. Wie ist Ihre Meinung?
Ich verstehe die Politik für diesen Schritt. Aber fachlich bin ich skeptisch, weil ein Verbot am eigentlichen Ziel vorbeischiesst: Die Hamas ist als Organisation in der Schweiz kaum präsent. Viel wichtiger ist es, allfällige Geldflüsse ausfindig zu machen und zu unterbinden. Das ist möglich auf der Basis des geltenden Embargogesetzes und bedarf keines Organisationsverbots. Indem wir die Organisation verbieten und damit jegliche Kontakte mit ihr, beispielsweise auch zur Geiselbefreiung, untersagen, erzielen wir im Inland zwar einen kleinen politischen Effekt, dem international jedoch wenig Positives gegenübersteht. Zudem stellt sich auch die Frage: Warum nur die Hamas verbieten?
Warum ist das falsch?
Es gibt in Palästina noch andere Organisationen, die ebenso kriminell handeln wie die Hamas, etwa die Befreiungsfront für Palästina (PLF) oder die Dschihadisten. Also, warum nur die Hamas? Zudem gibt es auch anderswo stark umstrittene Akteure, wie etwa die PKK in der Türkei oder die Tamil Tigers. Wenn die Schweiz beginnt, alle diese Organisationen als terroristische Akteure zu verbieten, schränkt sie ihre Möglichkeiten bei der Friedensförderung stark ein, weil sie in Konflikten als Partei verstanden würde.
Glauben Sie als Friedensforscher, dass die Welt eines Tages in Frieden leben wird?
Das muss ich glauben, sonst wäre ich nicht in diesem Bereich tätig, wobei es bei meiner Arbeit weniger um das Endziel des globalen Friedens geht, als darum, dass es uns gelingt, an verschiedenen Orten zu verschiedenen Teilbereichen hie und da einen Fortschritt zu erzielen.
Was kann «Swisspeace», das Schweizerische Institut für Friedensforschung und -förderung, für den Frieden bewirken?
Wir sind eine unpolitische private Stiftung mit 60 Vollzeitstellen. In der Stiftungsurkunde ist aufgeführt, dass wir in Fragen des Friedens und der Sicherheit in der Schweiz die Wissenschaft, Gesellschaft und Politik mitgestalten. Wir leisten unter anderem einen Beitrag dazu, wie man Mediation betreibt und wie mit Informationen über Kriegsgräuel umgegangen werden soll, oder wie verschiedene Gruppierungen an Friedensprozessen beteiligt werden können. In all diesen Bereichen forschen wir, sind aber auch in Konfliktgebieten in Projekte involviert. Daraus produzieren wir neue Erkenntnisse und Empfehlungen und lassen diese auch in unsere Ausbildungen einfliessen.
Wer finanziert Sie?
Unsere Grundfinanzierung beträgt nur etwa 20 Prozent. Der Bund beteiligt sich an der Finanzierung auf der Basis des Forschungs- und Innovationsförderungsgesetzes. Dieses besagt, dass auch nichtuniversitäre Institutionen als forschungsförderungswürdig anerkannt werden können. Des Weiteren unterstützt uns der Kanton Basel-Stadt. Den grösseren Teil der Einnahmen beziehen wir aber als strategischer Partner des Departements für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) und insbesondere für Mandate im Rahmen von friedensfördernden Forschungs- und Praxisprojekten in der Schweiz, in Europa und für die UNO.
Was bedeutet das Ausbleiben der zuvor versprochenen Unterstützung von jährlich 100 000 Franken durch den Kanton Baselland?
Wir hätten die Gelder gemäss Vertrag zur Förderung neuer Ideen und Forschungsprojekte sowie zur Durchführung internationaler Anlässe im Baselbiet verwendet. Namentlich das «Basel Peace Forum» hätte einen Ableger erhalten. Gegenüber dem Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) werden wir erklären müssen, warum wir den Kanton Basel-Landschaft nicht als Träger gewinnen konnten.
Was sind generell die Hauptgründe für kriegerische Auseinandersetzungen?
Grundsätzlich bricht ein Krieg aus, wenn zwei Akteure nicht derselben Meinung sind und mindestens einer davon überzeugt ist, seine Ziele mit Gewalt eher zu erreichen. In Bürgerkriegen, die nach wie vor die häufigste Form von Kriegen sind, haben quantitativ Forschende ermittelt, dass Diskriminierungen von ganzen Bevölkerungsgruppen die häufigste Ursache von Kriegen sind.
Welchen Beitrag kann die offizielle Schweiz zur Friedensförderung leisten?
Die Schweiz kann sehr viel beitragen. Sie hat weltweit das Ansehen als friedensförderndes Land mit grosser Erfahrung im Vermitteln.
Und der einzelne Mensch in der Schweiz?
Wichtig ist, wie Menschen im privaten Umfeld mit Konflikten umgehen, nämlich damit, dass Konflikte nicht mit Gewalt, sondern auf andere Weise gelöst werden. Dieses Konfliktverhalten zeigt sich dann nicht nur im Privaten, sondern auch im grösseren gesellschaftlichen Rahmen wie bei der Positionierung in den Themen Migration, Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. In unserer Demokratie können wir diesbezüglich Massnahmen unterstützen, die der Friedensförderung dienen.
Krieg wird auch geführt, indem gezielt Falschinformationen veröffentlicht werden, um Verständnis für das eigene kriegerische Tun zu wecken. Welche Funktion haben hierbei die Medien, die angesichts des von den Kriegsparteien verwehrten Zugangs zu den Kriegsorten selten den Wahrheitsgehalt überprüfen können?
Im Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit. Die Kriegsparteien sind die Einzigen, die das Geschehen effektiv kennen und Informationen vermitteln können. Aber sie haben auch die geringste Glaubwürdigkeit. Seit dem Vietnamkrieg wird der Krieg auch im Informationsraum geführt. Es geht darum, Druck auf die öffentliche Meinung auszuüben. Die Legitimation der Kriegsparteien und die Unterstützung hängen von der öffentlichen Meinung ab. Seriöse Medienschaffende sind bestrebt, jeweils mindestens zwei Ansichten zu einem Vorkommnis einzuholen, bevor sie diese veröffentlichen. Aber eine absolut neutrale Recherche und Beurteilung am jeweiligen Kriegsschauplatz ist in der Regel nicht möglich.
Warum kann das Völkerrecht, das von Kriegsparteien mit Angriffen auf zivile Institutionen wie Schulen und Spitäler verletzt wird, von einer globalen Organisation nicht durchgesetzt werden?
Weil es keine Weltregierung gibt. Die UNO funktioniert halt so, dass die permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats ein Vetorecht besitzen. England und Frankreich spielen da eine untergeordnete Rolle, entscheidend sind China, Russland und die USA. Sie können mit ihrem Vetorecht verhindern, dass sich die UNO als globale Institution durchsetzen kann. Das ist der Preis der internationalen Gemeinschaft dafür, dass diese mächtigen Staaten sich an der UNO beteiligen.
Zur Person
abi. Professor Laurent Goetschel (58) ist Doppelbürger von Frankreich und der Schweiz. Er studierte Politikwissenschaft an der Universität Genf und am «Institut universitaire de hautes études internationales» und ist heute Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Basel und Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace. Er ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern und einem Sohn. Er war unter anderem Mitarbeiter der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und ist Mitglied der Kommission für Forschungspartnerschaften mit Entwicklungsländern.