Die Kirche hat «Public Value»
08.02.2024 KircheDer Kirchenrat der Evangelisch-Reformierten Kirche Baselland hat unlängst ein Statement unter dem Titel «Kein Platz für Rassismus und Antisemitismus – religiöse Vielfalt und Toleranz als Chance für eine demokratische und humanistisch geprägte ...
Der Kirchenrat der Evangelisch-Reformierten Kirche Baselland hat unlängst ein Statement unter dem Titel «Kein Platz für Rassismus und Antisemitismus – religiöse Vielfalt und Toleranz als Chance für eine demokratische und humanistisch geprägte Gesellschaft» veröffentlicht. Warum das? Und warum gerade jetzt?
Der Kirchenrat ist dezidiert der Meinung, dass die Kirche nicht nur eine Glaubensgemeinschaft mit ihren Traditionen und Ritualen darstellt, sondern auch eine wichtige soziale, kulturelle und letztlich politische Rolle in der Gesellschaft hat. Das hat jüngst eine Studie der FHNW eindrücklich belegt und bestätigt.
Aber: Wer in der Gesellschaft Haltungen, Standpunkte und Ansprüche öffentlich anmeldet, der wird sich früher oder später an seinem «Public Value» messen lassen müssen. Also jenem Wert, der die öffentliche, nachhaltige Wirkung nachweist. Und das können zwangsläufig nicht nur frohe Botschaften sein.
Im Nachgang zum nach wie vor mehr als nur virulenten Nahost-Krieg, der mit seinen zahlreichen Fragen und unterschiedlichsten Antworten längst in der Öffentlichkeit unserer Region angekommen ist, will der Kirchenrat mit einem Statement Stellung beziehen: Trotz unermesslichem Leid für zahlreiche Menschen können Hass, Rassismus und Antisemitismus nicht nur keine Lösung sein, sondern sie verschärfen die Gegensätze in einem Land wie die Schweiz und gefährden so die demokratische und freiheitliche Grundordnung, in der auch die Kirche ihren Platz hat.
Der Kirchenrat ist davon überzeugt, dass dem Menschen eine besondere Würde und Verantwortung zukommt. Diese Einsicht lässt sich in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 wiederfinden: «Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.» Die Präambel der Bundesverfassung der Schweiz bringt diese Haltung in folgenden Punkten ebenso zum Ausdruck: «Im Namen Gottes des Allmächtigen! … Im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, … gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen.»
Daraus leiten sich für den Kirchenrat folgende Zu- und Aussagen ab. «Unser oberstes Anliegen und unsere wichtigsten Verantwortungen sind:
– aus unserer christlichen Tradition heraus Respekt und Toleranz zu fordern und zu leben; insbesondere für die Menschen, die einer anderen oder gar keiner Religion angehören;
– den Zusammenhalt in unserem Staat zu stärken, indem wir uns entschieden gegen Ausgrenzung und Diffamierung Angehöriger religiöser Gemein- schaften stellen. … Wir stehen ein für die demokratischen Grundlagen unseres Staates und tragen unseren Teil dazu bei, denn wir wissen, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen. Dies gilt zurzeit für die Angehörigen des jüdischen und muslimischen Glaubens, die sich auch in der Schweiz Ausgrenzung, Beleidigung und Hass ausgesetzt sehen. Kommt hinzu: Antisemitismus ist nicht nur in erster Linie ein Problem für jüdische Menschen, sondern auch ein Indikator für eine gefährliche Zerreissprobe in der Gesellschaft, in welcher Zusammenhalt und Demokratie als akut gefährdet erscheinen und gleichsam Ausdruck einer Gesellschaft im akuten Krisenmodus ist;
– dass der Kirchenrat sich verpflichtet, Brücken zu bauen, runde Tische zu gestalten mit, zwischen und zu den Angehörigen anderer Religionen. Wer immer aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Religion, einer Ethnie, des Geschlechts oder anderer Merkmale verspottet, beschimpft oder verfolgt wird, kann darauf zählen, dass der Kirchenrat nicht wegschaut oder -hört. Er ruft dazu auf, Zivilcourage zu zeigen: sichtund hörbar zu widersprechen, wenn im Privaten und in der Öffentlichkeit Vorurteile oder Hass geäussert werden.»
Vor diesem Hintergrund sieht der Kirchenrat sein Statement als Ausdruck, sich öffentlich zu Wort zu melden: quasi Pflicht und Kür in einem. Nur so kann Kirche ihre Überzeugungskraft entfalten und ihre Glaubwürdigkeit manifestieren. Nur wenn sich die Kirche als «Public Value» versteht, macht sie Sinn.
Niggi Ullrich, Kirchenrat der Evangelisch-Reformierten Kirche Baselland, Departement Weltweite Kirche und Ökumene