Die «Grande Dame» der Justiz
16.05.2024 Baselbiet, JustizNach 32 Jahren als Gerichtspräsidentin geht Christine Baltzer-Bader in Pension
Mit dem Abschied von Christine Baltzer verliert die Baselbieter Justiz eine Gerichtspräsidentin, die sich durch ihren grossen juristischen Sachverstand, den liberalen Geist und ...
Nach 32 Jahren als Gerichtspräsidentin geht Christine Baltzer-Bader in Pension
Mit dem Abschied von Christine Baltzer verliert die Baselbieter Justiz eine Gerichtspräsidentin, die sich durch ihren grossen juristischen Sachverstand, den liberalen Geist und ihre Menschlichkeit auszeichnet.
Thomas Gubler
Sie sei an ihren letzten Fällen, sagt Kantonsgerichtspräsidentin Christine Baltzer. Ende Juli wird sie ihr Büro im Liestaler Gerichtsgebäude am Bahnhofplatz räumen; denn spätestens mit 70 Jahren müssen im Kanton Baselland Gerichtspräsidentinnen und -präsidenten ihr Amt abgeben. Nach 32 Jahren in ebendiesem Amt – zehn Jahre am Bezirks- und 22 Jahre am Kantonsgericht, also an der zweiten Instanz – geht ohne Übertreibung in der Baselbieter Justiz eine Ära zu Ende. Denn Christine Baltzer hat die Baselbieter Justiz geprägt – durch ihren grossen juristischen Sachverstand, ihren liberalen Geist und ihre Menschlichkeit, mit der sie in den Gerichtsverhandlungen den Menschen begegnete. Kurz ein Streifzug durch ihre Persönlichkeit.
Begonnen hatte ihre Richterinnen-Karriere aber bereits 1981 im Alter von 27 Jahren als nebenamtliche Bezirksrichterin. 1992 wurde sie dann in einer Kampfwahl zur Bezirksgerichtspräsidentin und Nachfolgerin des ans Obergericht gewählten Toni Walter gewählt. Und wiederum als Nachfolgerin von Toni Walter erfolgte 2001 die Wahl zur Präsidentin der Abteilung Zivil- und Strafrecht des Kantonsgerichts. Von 2016 bis 2018 war Christine Baltzer die höchste Richterin des Kantons Baselland.
Prägende Erinnerungen
Ihr Karriere beendet sie nun als Kantonsgerichtspräsidentin der Abteilung Zivilrecht. Dies, obschon sie damals bei Professor Günter Stratenwerth in Strafrecht doktoriert hat. «Das Zivilrecht hat mich im Lauf der Zeit immer mehr interessiert. Letztlich ist es vielleicht etwas breiter und herausfordernder als das Strafrecht.» Die prägendsten Erinnerungen hat sie aber gleichwohl an Fälle des Strafrechts. Etwa an den Prozess wegen dreifachen Mordes im Familienkreis oder den Coop-Pronto-Überfall von jungen Rechtsextremen – die sich vor Gericht dann bereits von der Szene losgesagt hatten.
Dabei war ihre Gerichtskarriere keineswegs programmiert. Als Tochter eines Chemikers in den USA geboren, hat sie ihre Kindheit in Ägypten verbracht, hat in Alexandria die Schweizer Schule besucht und die Enteignung ihrer Grosseltern durch das Nasser-Regime erlebt. In die Schweiz ist sie erst im Alter von 14 Jahren gekommen. «Zuerst habe ich mich hier schon etwas verloren gefühlt», sagt sie. Dafür spricht sie bis heute etwas Arabisch, «Küchenarabisch», wie sie mit einem Schmunzeln hinzufügt. Mit 20 hat sie den Liestaler Zahnarzt Thomas Baltzer geheiratet. Der inzwischen 50-jährigen Ehe entsprangen eine Tochter und ein Sohn.
Auch nach dem Jus-Studium an der Universität Basel war der Weg ans Gericht noch nicht vorgezeichnet. Ebenso gut hätte sie sich eine Karriere in der Privatwirtschaft – zwischenzeitlich arbeitete sie auch Teilzeit in der Basler Pharma-Industrie – oder in der Advokatur vorstellen können. Und bei einem Haar wäre sie auch in der (grossen) Politik gelandet. 1987 war Christine Baltzer nämlich die erste Liestaler Einwohnerratspräsidentin und wurde im selben Jahr in den Landrat gewählt.
Der definitive «Abzweiger» in Richtung Gerichte erfolgte dann 1992 mit dem Antritt ihres Amts als Bezirksgerichtspräsidentin, nachdem sie bei den Nationalratswahlen von 1991 auf der FDP-Liste Christian Miesch knapp den Vortritt hatte lassen müssen. Auch ein Regierungsamt hätte sie sich durchaus vorstellen können. «Aber damals war die FDP noch nicht reif für eine Frau», sagt sie. Und dann folgten eben 32 Jahre als Gerichtspräsidentin. Wobei man den Eindruck nicht los wird, dass das Amt mindestens so sehr sie gesucht hat wie sie das Amt.
Verpolitisierte Gerichte
Denn auch nach 32 Jahren wirkt Christine Baltzer weder verbraucht noch resigniert. Auch wenn sich in dieser Zeit vieles verändert hat. Und ihrer Meinung nach nicht nur zum Guten. Etwa das inzwischen etwas seltsam anmutende Gentlemans Agreement, mit dem die Wahlen in die Gerichtspräsidien angeblich hätten entpolitisiert werden sollen, indem man den Parteienproporz auch auf diese anwendet. Eingetroffen ist das Gegenteil: Heute werden Gerichtspräsidien streng nach Parteizugehörigkeit vergeben, je nachdem, wer bei einem Rücktritt gerade an der Reihe ist. Für Christine Baltzer fast schon ein Murks: «Das Agreement ist keine gute Sache. Es bringt Leute allein wegen ihrer Parteizugehörigkeit ans Gericht und verhindert anderseits fähige Personen, weil sie im entsprechenden Zeitpunkt nicht in der richtigen Partei sind.»
Dabei sei die Parteizugehörigkeit eines Richters gar nicht so wichtig, meint sie. «Bei der Rechtsprechung spielte die Partei eines Richters praktisch nie eine Rolle. Die persönliche Prägung fällt viel mehr ins Gewicht.» Was den formelhaften Wahlmodus noch unverständlicher mache. Aber vielleicht hänge dies auch damit zusammen, «dass sich die Politik, abgesehen von der personellen Besetzung, kaum mehr für die Justiz interessiert», sagt die abtretende Gerichtspräsidentin.
Abgesehen davon, dass sie sich wirklich auf das Leben als Pensionierte freut, fällt ihr vielleicht auch deshalb der Abschied Ende Juli gar nicht so schwer. Es sei gut, jetzt aufzuhören und Zeit für anderes zu haben. «Ich lese gerne Zeitung, lese überhaupt sehr gerne und freue mich, endlich mehr Zeit für meine beiden Grosskinder zu haben.» Ja, und dann möchte sie noch Spanisch lernen.