Die Glocken sehen Jahrhunderte kommen und gehen
13.02.2025 Kirche«Das ist Sissach» (7. Teil) | Die Glocken der reformierten Kirche Sissach
Seit weit über tausend Jahren erklingen im Oberbaselbiet Kirchenglocken. Heute sind sie im Abstand von einer Viertelstunde zu hören. Je nach Grösse und Tonlage kommen den ...
«Das ist Sissach» (7. Teil) | Die Glocken der reformierten Kirche Sissach
Seit weit über tausend Jahren erklingen im Oberbaselbiet Kirchenglocken. Heute sind sie im Abstand von einer Viertelstunde zu hören. Je nach Grösse und Tonlage kommen den vier Glocken in der Dorfkirche verschiedene Bedeutungen zu.
Markus B. Christ
Kirche ist sichtbar: Kirchtürme prägen das Ortsbild. Und Kirche ist hörbar: In den Kirchtürmen hängen Glocken, die regelmässig dank dem Stundenschlag und dem Läuten zu verschiedenen Tageszeiten zu hören sind. So auch in der reformierten Kirche von Sissach. Seit 1888 hängen im Turm vier verschieden grosse Glocken, die auf die Töne des, as, f und des gestimmt sind.
Seit wann in den Kirchtürmen Glocken hängen, ist nicht genau zu sagen. Die ersten Glocken waren wohl in den Klöstern zu finden und läuteten dort zu den regelmässigen Gebetszeiten der Nonnen oder Mönche. Im Baselbiet weiss man, dass erste Glocken um 800 in Sissach, Gelterkinden, Oltingen, Rümlingen und Reigoldswil ertönten.
Glocken rufen zu allen Gottesdiensten, sie werden aber auch zu besonderen Gelegenheiten geläutet, so früher bei Feueralarm oder Wassernot, aber auch zum Beispiel bei Kriegsschluss. Heute ertönen sie zum Jahreswechsel – sie läuten das alte Jahr aus und das neue ein. Ihr Klang ist jeweils auch am 1. August zu hören.
Das Glockengeläute von Sissach
Es war am Freitag vor Pfingsten, am 18. Mai 1888, als die neuen Glocken beim Bahnhof abgeholt wurden. Herr Präsident Sutter nahm die Glocken im Namen der Gemeinde in Empfang. Danach wurde das in der Sonne herrlich glänzende Geläute auf zwei festlich bekränzten Wagen unter den Klängen des Musikvereins zur Kirche geführt. Als der Zug zum Kirchplatz einbog, wurden die alten Glocken ein letztes Mal geläutet – zu ihrem Abschied und zum Gruss ans neue Geläute. Die Glocken wurden durch die Firma Jakob Keller aus Zürich gegossen. Bis anhin hingen bloss drei Glocken im Turm. Die mittlere Glocke stammte aus vorreformatorischer Zeit, die kleine und die grosse aus dem 16. und dem 17. Jahrhundert.
Am 27. Mai 1888, dem Sonntag Trinitatis (eine Woche nach Pfingsten), wurden in einem festlichen Gottesdienst die neuen Kirchenglocken offiziell eingeweiht. Die Festpredigt hielt Pfarrer Karl Stockmeyer, der von 1885 bis 1897 Sissacher Pfarrer war. Seine Festpredigt ist danach gedruckt und von der Firma J. Schaub herausgegeben worden. Auf dem Titelblatt ist zudem zu lesen: «Der Reinertrag ist für den Glockenfonds bestimmt.» Auf diese Broschüre beziehe ich mich in den folgenden Ausführungen wesentlich, indem ich die Gedanken Stockmeyers kurz zusammenfasse.
Seine Predigt stellt er unter das Prophetenwort des Jeremia: «O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort.» (Jer. 22,29). Er führt aus, dass die Glocken die Gemeinde ins Gotteshaus rufen, dort sein Wort zu hören. Glocken seien selber Prediger des Wortes in Sinnbild und Wahrzeichen. Ihr Ruf weise die Menschen aufwärts, einwärts und heimwärts.
Boten des Friedens
In seiner Predigt geht er diesen drei Stichworten nach. Hoch in der Luft, zwischen Himmel und Erde, sei die Wohnung der Glocken. Von dort oben loben sie Gott im Himmel und mahnen die Menschen auf der Erde, die sie durch das ganze Leben begleiten. Mit dem Ruf der Glocken weisen sie auch einwärts, in die Herzen der Menschen, in ihre Häuser zu ernster Einkehr. Sie mahnen zu Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst und den Mitmenschen.
Die Glocken wollen Boten des Friedens sein und verpflichten uns Menschen, auch zu Boten des Friedens zu werden. Schliesslich rufen die Glocken heimwärts. Als Himmelsboten laden sie uns Menschen in die ewige Heimat ein. Sie künden uns die rasch eilende Zeit an und mahnen uns: «Ein Tag, der sagt’s dem andern, dein Leben sei ein Wandern zur grossen Ewigkeit» (Gerhard Teerstegen).
Sicher, die Sprache Stockmeyers ist die Sprache des 19. Jahrhunderts. Aber das, was er über Sinn und Bedeutung der Glocken sagt, ist im Grunde genommen zeitlos und darum auch heute zutreffend. Wenn wir seine Gedanken lesen, dann hören wir vielleicht anders auf das Geläute und auf den Stundenschlag. Wir Menschen sind endlich. Die Glocken bleiben und sehen Jahrhunderte kommen und gehen.
Markus B. Christ, der Autor dieses Beitrags, war während 27 Jahren Pfarrer in der Kirchgemeinde Oltingen-Wenslingen-Anwil und für 20 Jahre Mitglied des Kirchenrats und Kirchenratspräsident der Evangelischreformierten Kirche Baselland. Seit 1999 wohnt er in Sissach. Christ ist Kirchenhistoriker und Herausgeber der «Basilea reformata». In der Reihe «Das ist Sissach» verfassen verschiedene Autorinnen und Autoren während des Jubiläumsjahrs «Sissach2025» Beiträge über Sissach, die wir wöchentlich publizieren.
Die vier Glocken
1. Die Kleinste, auf den Ton Des gestimmt, mit einer Höhe von 75 cm, einem Gewicht von 250 kg und der Inschrift: «Lasset die Kindlein zu mir kommen» (Markus 10,14).
2. Die Zweitkleinste, gestimmt auf As, 100 cm hoch und 620 kg schwer, trägt die Inschrift: «Friede sei mit euch» (Johannes 20,26).
3. Die Zweitgrösste, gestimmt auf F, wiegt 1000 kg und ist 121 cm hoch. Sie trägt als Inschrift das Psalmwort: «Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich» (107,1).
4. Die Grösste, gestimmt auf das tiefe Des, hat einen Durchmesser von 153 cm und ist 1152 cm hoch. Sie hat ein Gewicht von 2100 kg. Auf ihr steht: «Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken.» (Matthäus 11,28).
Die Läutordnung
Zu jeder Kirche gehört eine sogenannte Läutordnung, in der festgelegt ist, welche Glocke wann zu läuten ist.
Die Kleinste allein ist eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst und vor Beerdigungen zu hören.
Die Zweitkleinste ist das «Bim» beim Viertelstundenschlag und wird allein geläutet am Morgen um 11 Uhr und zur Vesperzeit um 15 beziehungsweise 16 Uhr, je nach Jahreszeit.
Die Zweitgrösste ist das «Bam» beim Viertelstundenschlag, allein wird sie um 6 Uhr und zur Betzeit am Abend – je nach Jahreszeit um 17.30, 18.30 oder 20.00 Uhr – geläutet.
Die Grösste ist das «Bum» beim Stundenschlag. Allein ist sie jeweils am Sonntag um 9.30 Uhr vor dem Gottesdienst zu hören.
Das volle Geläute ist am Samstagabend beim Sonntagseinläuten um 18 oder 19 Uhr zu hören. Und dann am Sonntag von 9.45 bis 10 Uhr zum Gottesdienst. Schliesslich sonntagabends um 18 oder 19 Uhr. Ebenfalls bei Trauungen und Beerdigungen ertönt das volle Geläute.
Die nächsten Jubiläumsanlässe
21. Februar: «E farblos bunte Obe über 33 Johr Sissecher Gschicht». Der ehemalige Sissacher Schnitzelbänkler «Dr Farblos» arbeitet fasnächtlich relevante Begebenheiten von einst auf und präsentiert die originalen Helgen dazu. Obere Fabrik, Türöffnung 19 Uhr; Beginn 20 Uhr.
23. März: «Kammermusik für Sissach» mit Farah Erfani (Gitarre) und Deborah Regez (Flöte). Bistro «Cheesmeyer, Beginn 11 Uhr.