Die Geschichten hinter den Mythen
07.05.2024 RickenbachHistorische «Müschterli» zur 750-jährigen Dorfgeschichte (2. Teil)
Mit mehreren Anlässen und verschiedenen Aktivitäten feiert Rickenbach seinen 750. Geburtstag. Die Gemeinde nimmt das Jubiläum ausserdem zum Anlass, historischen Begebenheiten ...
Historische «Müschterli» zur 750-jährigen Dorfgeschichte (2. Teil)
Mit mehreren Anlässen und verschiedenen Aktivitäten feiert Rickenbach seinen 750. Geburtstag. Die Gemeinde nimmt das Jubiläum ausserdem zum Anlass, historischen Begebenheiten nachzuspüren.
Die Gemeinde Rickenbach feiert dieses Jahr ihr 750-jähriges Bestehen. Der Historiker und frühere Gemeindepräsident Marco Geu hat das Jubiläum zum Anlass genommen, in die Dorfgeschichte einzutauchen und aufgrund seiner Recherchen eine vierteilige Serie zu verfassen, die auf der Website und im Gemeindeblatt publiziert wird. Mit der Erlaubnis der Gemeinde und des Autors druckt die «Volksstimme» die Beiträge ab. Der zweite Teil befasst sich mit Mythen.
Leider halten sich in und um Rickenbach hartnäckig ein paar Märchen zur Dorfgeschichte. Hier die beiden berühmtesten:
Mythos I: «Rickenbach gehörte einst zu Gelterkinden»
Dieses Märchen wurde vor allem von zwei Tatsachen abgeleitet: Auf dem Staufen stehen bis heute zwei Grenzsteine mit einem «G» für Gelterkinden, wo eigentlich ein «R» für Rickenbach stehen müsste. Und die Grenze gegen Gelterkinden ist schnurgerade, was belegt, dass sie gegen den Willen von Gelterkinden gezogen wurde. Aber wie entstanden unsere Gemeindegrenzen wirklich?
Sie sind das Resultat von uralten Nutzungsabsprachen zwischen den Dorfgemeinschaften. Meistens waren es Weidegrenzen. Bis ins 19. Jahrhundert weidete das Vieh nicht auf eingehagten privaten Weiden, sondern bewegte sich gemeinschaftlich unter der Aufsicht eines Dorfhirten frei in Feld und Wald, um sich von allem zu ernähren, was es fand. Jede Dorfgemeinschaft hatte dafür einen mehr oder weniger definierten Weidebann, der auch mit Grenzsteinen versehen wurde.
Rickenbach war damals ein sehr kleines Dorf mit wenig Vieh. Entsprechend wenig von seinem Tal benötigte es für die eigene Viehweide, nämlich nur den Osten. Dies führte dazu, dass die westliche Talseite bis auf den Staufen von den Gelterkindern beweidet wurde. Diese setzten dort natürlich auch ihre Weidesteine. Im Norden kamen die Buusner mit ihrem Vieh über die Buuser Egg.
Im 19. Jahrhundert meinten dann Politiker und Geometer, die Gemeindegrenzen müssten der natürlichen Topografie folgen. So kam die Gemeinde Rickenbach in den vollen Besitz auch der Westseite des Tals, nachdem die Gelterkin- der 1823 auf ihr Weiderecht verzichteten.
Gegen Buus blieb es bis heute bei der alten Weidegrenze. Im Süden gegen Gelterkinden war die Weidegrenze dermassen unklar, dass man für die Gemeindegrenze später einfach eine gerade Linie durchs Tal zog und damit Opfersymmetrie auf beiden Seiten herstellte.
Tatsächlich wissen wir nicht, ab wann genau die Siedlung Rickenbach ihren eigenen Weide- und späteren Gemeindebann hatte. Von der Form der heutigen Grenzen aber auf einen einstigen heldenhaften Freiheitskampf der Rickenbacher gegen die Gelterkinder zu schliessen, ist bestenfalls heikel.
Mythos II: «In Rickenbach gab es früher ein Kloster»
Dieses Märchen wurde vor allem von zwei Tatsachen abgeleitet: Es gibt in Rickenbach bekanntlich einen Orts- teil, der heute «Kloster» genannt wird und ein im Volksmund sogenanntes «Nonnenbrüggli» über das Rickenbächli südlich des Dorfs. Der Name Kloster leitet sich aber nicht von der Nutzung, sondern von der Enge der Bebauung ab (lateinisch «claustrum»). Solche «Klöster» gibt es auch in anderen Dörfern.
Und das Nonnenbrüggli erhielt seinen Namen wohl auch erst, als das Märchen vom Kloster bereits in aller Munde war. In historischen Dokumenten taucht dieser Name vor dem 20. Jahrhundert jedenfalls nie auf. Wer heute über das Nonnenbrüggli ins Kloster läuft, wandelt also sicherlich nicht auf den Spuren von einstigen Ordensleuten.
Marco Geu, Basel
Bereits erschienen: «… redditus marce et dimidie bonorum sitorum in Richenbah …»
(«Volksstimme» vom 19. April, Seite 8).