«Die feindlichen Truppen kamen immer näher»
24.10.2025 SissachMariana über ihre Flucht aus der Ukraine und das Leben in der Schweiz
Mariana musste vor dreieinhalb Jahren mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine fliehen. Heute spricht sie Deutsch und arbeitet in einem Sissacher Café. Sie erzählt.
...Mariana über ihre Flucht aus der Ukraine und das Leben in der Schweiz
Mariana musste vor dreieinhalb Jahren mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine fliehen. Heute spricht sie Deutsch und arbeitet in einem Sissacher Café. Sie erzählt.
Aufgezeichnet von Jürg Dalcher
«Ich kam mit meiner Tochter und meiner Mutter aus der Ukraine, einem Land, in dem Krieg begann und leider immer noch andauert. Es ist schwer zu glauben, dass so etwas überhaupt passieren konnte. Mein Leben teilt sich in zwei Abschnitte: einen vor und einen seit dem Krieg.
Damals war ich 32 Jahre alt, meine Tochter war 8. Wir lebten zusammen in meinem Elternhaus in einem Dorf in der Nähe von Saporischschja, das heute nur 8 Kilometer vom russisch besetzten Gebiet entfernt liegt. Wir hatten einen Garten voller Obstbäume und Gemüsebeete. Der Hof war geschmückt mit Blumen. Ich arbeitete als Buchhalterin, meine Tochter ging zur Schule und tanzte. Wir trafen uns mit Freunden, feierten mit der Familie und schmiedeten Pläne für die Zukunft.
Und dann – eines Morgens um 5 Uhr – Krieg!
Sieben Tage blieben wir in unserem Haus im Keller, ohne Strom und voller Angst. Wir hofften, dass alles bald vorbei sein würde, doch die feindlichen Truppen kamen immer näher. Schliesslich beschlossen wir, zu fliehen. Ich nahm nur das Wichtigste mit; Dokumente und ein paar warme Sachen für meine Tochter und mich, einfach so viel, wie in einen kleinen Koffer passte. Mein Vater fuhr uns mit dem Auto, in dem es noch ein wenig Benzin hatte (die Tankstellen funktionierten nicht mehr), in eine Stadt weiter im Landesinnern. Die 180 Kilometer waren voller Checkpoints und Soldaten. Das war der Beginn unserer Flucht.
Dann bestiegen wir einen Evakuierungszug. Darin fuhren wir einen ganzen Tag und eine Nacht lang, ohne Wasser und zwischen unzähligen Müttern mit Kindern. Niemand konnte stehen, alle sassen eingeengt auf dem Boden. Danach ging es mit Bussen weiter bis zur Grenze und darüber – endlich hatten wir Polen erreicht, völlig erschöpft und frierend. Freiwillige verteilten uns warme Kleider und Essen.
Drei Tage hatte dieser erste Teil unserer Flucht gedauert. Am Tag unserer Abreise wurden unsere Heimatstadt und die umliegenden Dörfer schwer bombardiert. Vieles wurde zerstört: Häuser, Spitäler, Schulen, Kindergärten und Fabriken.
Von Polen reisten wir in Zügen in zwei Tagen über Deutschland in die Schweiz weiter – ein Land, das kurz zuvor seine Hilfe für Menschen aus der Ukraine angeboten hatte und uns aufnahm. Im Migrationszentrum in Basel verbrachten wir nur eine Nacht. Schon am nächsten Tag nahm uns eine Familie aus Sissach auf. Sie wurde für uns zu einer zweiten Familie.
Von Null bis zum Diplom
Anfänglich verständigten wir uns auf Englisch. Sie halfen mir, meine Tochter in der Schule anzumelden, erklärten uns die Kultur und die Traditionen und unterstützten uns bei jedem Schritt. Wir blieben etwa 6 Monate bei ihnen und über den Sozialdienst fanden wir dann eine eigene Wohnung in Sissach.
Wir lernten auch Leute von der Gruppe «Freiwillige für Flüchtlinge Sissach» kennen. Sie organisierten Gratis-Deutschkurse und unterstützen uns bis heute. Dank ihnen fanden wir auch Möbel, Kleider und vieles Notwendige für den Alltag. Etwa zwei Jahre lang besuchte ich Sprachkurse, von Null bis zum Diplom B-1.
Die Arbeitssuche war schwieriger, als ich anfänglich gedacht hatte. Der Arbeitsmarkt ist stark umkämpft. Ich bin dankbar für das Integrationsprogramm, das mir vom Sozialdienst vermittelt wurde. Es umfasste Sprachkurse und einen Coach, der mich bei der Arbeitssuche unterstützt hat. Diese dauerte fast 8 Monate und bestand aus Bewerbungen schreiben, Praktika organisieren und absolvieren.
Heute, nach drei Jahren in der Schweiz, habe ich eine neue Sprache gelernt – Deutsch –, die ich ständig verbessere. Ich arbeite seit Kurzem im Sissacher Café Caprice, wo es mir sehr gefällt. Meine Tochter hat die Sprachbarriere in der Schule überwunden, Freundinnen gefunden und Freude am Lernen entwickelt. In den Ferien war sie im Jubla-Lager und geht begeistert an die Anlässe der Jubla.
Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, hier in Sicherheit und Frieden leben zu dürfen. Gleichzeitig vermisse ich meine Verwandten und Freunde, die nun über die ganze Welt verstreut sind und ihr Leben neu aufbauen müssen.
Danke an alle für die Unterstützung und Geduld!»
Jürg Dalcher wirkt bei der Gruppierung «Freiwillige für Flüchtlinge Sissach» mit. Die Serie wird in loser Folge fortgesetzt.

