«Die Entfremdung ist ein grosses Thema»
15.07.2025 SchweizDer Direktor des Schweizer Bauernverbands über die Akzeptanz der Landwirtschaft in den Städten
Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands, wird in seiner 1.-August-Rede in Anwil auch über die Herausforderungen der hiesigen Landwirtschaft und die politischen Ziele ...
Der Direktor des Schweizer Bauernverbands über die Akzeptanz der Landwirtschaft in den Städten
Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands, wird in seiner 1.-August-Rede in Anwil auch über die Herausforderungen der hiesigen Landwirtschaft und die politischen Ziele des Bauernverbands sprechen. Ein Vorgeschmack auf seinen Auftritt.
Thomas Gubler
Herr Rufer, Sie werden in Anwil die 1.-August-Rede halten. Haben Sie eine besondere Beziehung zum Oberbaselbiet?
Martin Rufer: Keine direkte, aber immerhin zwei indirekte Beziehungen habe ich zum Oberbaselbiet. Zum Einen bin ich Solothurner, komme also aus dem Nachbarkanton und habe im vergangenen Jahr gleich nebenan in Kienberg die 1.-August-Rede gehalten. Zudem ist das Oberbaselbiet sehr ländlich und durch die Landwirtschaft geprägt. An Anknüpfungspunkten fehlt es mir also nicht.
Warum sind Sie gerade auf Anwil als Auftrittsort gekommen?
Ganz einfach, weil ich angefragt worden bin.
Sind Sie als Direktor des Bauernverbands generell als eine Art Wanderprediger in agrarpolitischen Belangen unterwegs? Anders gefragt: Treten Sie häufig als Redner auf?
Es ist in der Tat eine meiner Hauptaufgaben als Direktor des Schweizer Bauernverbands einerseits in landwirtschaftlichen Kreisen, andererseits in nichtbäuerlichen Kreisen den agrarpolitischen Kurs aufzuzeigen. Dabei geht es nach innen darum, die Landwirtschaft zu einen, um geschlossen auftreten zu können. Bei den nichtlandwirtschaftlichen Kreisen möchte ich primär Verständnis für die bäuerlichen Anliegen schaffen. Kommunikation ist zweifellos eine meiner Hauptaufgaben.
Sie sprechen von Einigung in der Landwirtschaft. Wie geeint ist diese zurzeit? Es gab Zeiten, da war sie in sogenannte Bauernverbands-Bauern und in Kleinbauern gespalten.
Ich glaube, die Bauern sind heute in weit mehr als 90 Prozent der Kernfragen sehr geeint. Das müssen sie auch sein, denn sonst finden sie für ihre politischen Anliegen keine Mehrheiten. Wir vom Bauernverband bemühen uns daher sehr um Gemeinsamkeiten und darum, dass Gräben gar nicht erst aufbrechen. Die derzeit geschlossene Front ist daher sicher eine unserer Stärken. Natürlich gibt es immer Einzelne, die in gewissen Fragen abweichen. Aber übers Ganze gesehen fällt das nicht ins Gewicht.
Früher betrieb der Direktor des Bauernverbands keine Politik. Das tat der Präsident. Das änderte sich in den 1980er-Jahren mit Melchior Ehrler, der ebenso wie der Verbandspräsident im Nationalrat sass. Und auch unter Jacques Bourgeois, Ihrem Vorgänger, politisierten der Präsident und der Direktor – wenn auch in verschiedenen Parteien. Mit Ihnen herrscht wieder eine Art Arbeitsteilung. Bewusst?
Nein, das ist nicht bewusst, sondern der Situation geschuldet. Ich habe 2023 im Kanton Solothurn auch für den Nationalrat kandidiert und bin erster Ersatzkandidat. Zudem leiste auch ich – als Solothurner Kantonsrat und in Begleitung der landwirtschaftlichen Bundesparlamentarier – sehr viel politische Arbeit. Das ist auch sehr wichtig; denn jeder hat sein Netzwerk. Dass der Präsident und der Direktor des Bauernverbands unterschiedlichen Parteien angehören, ist im Übrigen ein ungeschriebenes Gesetz. Und was die gegenwärtige Situation betrifft: Das Zusammenspiel zwischen Präsident Markus Ritter und mir ist sehr gut. Wir sind sehr erfolgreich unterwegs.
Stichwort Markus Ritter. Hätten Sie in Bundesbern neben ihm überhaupt Platz?
Natürlich. Wir würden mit Sicherheit noch an Kraft gewinnen.
Sie sind mittlerweile fünf Jahre Bauernverbands-Direktor. In dieser Zeit entstand etwas der Eindruck, als ob Sie die grossen öffentlichen Auftritte lieber dem Präsidenten überlassen und selber eher im Hintergrund bleiben. Können Sie diesen Eindruck nachvollziehen?
Dieser Eindruck entsteht vor allem durch die mediale Wahrnehmung. Dadurch, dass der Präsident Mitglied des Nationalrats ist, ist er in politischen Fragen eben auch der direkte Ansprechpartner. Die Medien konzentrieren sich auf die Gesichter, die bekannt sind. Und Markus Ritter ist nach mittlerweile 13 Jahren im Nationalrat natürlich sehr bekannt. Ich selber bin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit auch sehr engagiert. Zudem bin ich natürlich darum besorgt, dass die Geschäftsstelle mit rund 120 Angestellten und den vielen Dienstleistungen optimal funktioniert.
Zurück zu Anwil. Welche Botschaft wollen Sie den «Ammelern» am 1. August überbringen?
Ich werde hervorheben, dass eine solide Nahrungsmittelproduktion eine grosse, ja, ich möchte sagen, eine zunehmende Bedeutung hat. Die grossen Konfliktherde einerseits und die klimatisch bedingten Ernteausfälle andererseits zeigen, dass es dringend notwendig ist, einen ansehnlichen Teil der benötigten Nahrungsmittel in der Schweiz zu produzieren. Weiter werde ich aufzeigen, dass wir dazu die nötigen politischen Rahmenbedingungen brauchen und dass wir als Verband alles daran setzen werden, mit der «Agrarpolitik 2030» diese Ziele auch zu erreichen.
Da werden Sie im ländlichen Anwil auf offene Ohren stossen. Müssten Sie mit diesen Themen nicht vor allem in die Städte und Agglomerationen gehen, wo der Bezug zum Ursprung der Nahrungsmittel weitgehend verloren gegangen ist?
Das ist für uns natürlich immer ein Thema. Wir sind sehr intensiv bemüht, unsere Anliegen in die Städte und Agglomerationen zu tragen. Dort ist das Wissen über die Landwirtschaft inzwischen tatsächlich gering. Und wir erachten es als unsere Aufgabe, dieses zu verbessern. Das werden wir aber kaum mit 1.-August-Reden schaffen. Das versuchen wir primär über Social Media, wo wir, glaube ich, mit einem sehr starken Team am Werk sind. Wir sind heute in allen sozialen Medien präsent und bemüht, die landwirtschaftlichen Themen und Anliegen in einer Art und Weise zu vermitteln, wie sie von den heutigen jungen Leuten konsumiert und verstanden werden.
Wo sehen Sie die grössten Herausforderungen für die Schweizer Landwirtschaft?
Ich sehe hier drei Hauptbereiche: Der erste ist die preisliche Situation für landwirtschaftliche Produkte, die Rentabilität und die Attraktivität der Produktion. Der zweite Hauptbereich ist die Überregulierung beziehungsweise die Bürokratisierung der Landwirtschaft, die zu einem kaum mehr tragbaren Zusatzaufwand in den Betrieben geführt hat. Und der dritte Bereich ist die Pflanzen- und Tiergesundheit. Wir sind mit Seuchen wie – gerade im Baselbiet – der Blauzungenkrankheit, der afrikanischen Schweinepest oder der Vogelgrippe konfrontiert. Im Pflanzenbaubereich ist es fast noch schlimmer. Dort haben wir es mit immer neuen Schädlingen und Krankheiten zu tun, welche die landwirtschaftliche Produktion bedrohen. Und wir haben immer weniger Mittel für den Pflanzenschutz zur Verfügung.
Wie steht es mit den ökologischen Herausforderungen?
Da haben wir bereits sehr viel investiert. Wir haben erheblich extensiviert. 20 Prozent der Betriebsfläche eines jeden Betriebs sind heute für Biodiversität reserviert. Qualitativ lässt sich da sicher noch einiges ausbauen. Aber ich glaube, jetzt geht es erst einmal wieder darum, die Nahrungsmittelproduktion ins Zentrum zu stellen.
Eine Reihe von ernst zu nehmenden Experten macht die Landwirtschaft hauptsächlich für die Grundwasservergiftung verantwortlich. Zu Unrecht?
Ja, zu Unrecht. Natürlich hat die Landwirtschaft Fungizide eingesetzt, deren Abbaustoffe noch feststellbar sind. Aber man muss klar sehen: Das waren zugelassene Pflanzenschutzmittel. Wir haben nichts Verbotenes getan. Natürlich sind wir an sauberem Trinkwasser interessiert. Wir brauchen aber auch Lebensmittel. Heute importieren wir mehr als 50 Prozent unserer Lebensmittel, die in irgendwelchen Staaten unter irgendwelchen Bedingungen produziert worden sind – teilweise mit Methoden, die in der Schweiz explizit verboten sind. Ich glaube, man darf ob der ganzen Diskussion um Ökologie die Versorgungssicherheit nicht aus den Augen verlieren. Im Übrigen: Jede menschliche Tätigkeit hat am Schluss irgendwelche negativen Auswirkungen.
Sie sind also der Ansicht, dass die Landwirtschaft ökologisch gut unterwegs ist und diesbezüglich genügend Leistungen erbracht hat?
Wir haben in den vergangenen Jahren sehr stark auf Ökologie und Biodiversität gesetzt. Ja, wir haben diesbezüglich in der Vergangenheit viel getan und müssen die Sache jetzt gesamtheitlich betrachten. Natürlich kann und muss man immer besser werden.
Gleichwohl scheint mir, dass eine gewisse Entfremdung zwischen der bäuerlichen und der nichtbäuerlichen Bevölkerung stattfindet.
Die Entfremdung in dem Sinne, dass man in den städtischen Gebieten gar nicht mehr weiss, wie Landwirtschaft funktioniert, ist in der Tat ein grosses Thema. Und da geben wir uns grosse Mühe, diese Problematik so weit wie möglich einzudämmen. Vielleicht bestehen einfach auch utopische Vorstellungen darüber, wie Landwirtschaft betrieben werden soll. Teilweise wurden diese auch bewusst geschürt. Wir mussten ja in den vergangenen Jahren eine Reihe von Abstimmungen – Trinkwasserinitiative, Massentierhaltungsinitiative, Biodiversitätsinitiative und so weiter – bestehen. Das deutet auf eine gewisse Distanz hin. Allerdings wurden diese Initiativen alle abgelehnt.
Ende der 1980er-Jahre musste die in Sachen Einkommenspolitik über die Bücher – man wechselte vom kostendeckenden Preis als Einkommensgrundlage zu den Direktzahlungen. Wäre es nicht an der Zeit, dass der Bauernverband jetzt in Sachen Ökologie über die Bücher ginge?
Nein, die Landwirtschaft macht wie gesagt bereits sehr viel. Wir verfügen zudem über Umfragen, die zeigen, dass 80 Prozent in der Schweiz ein positives Bild von unserer Landwirtschaft haben. Die anderen 20 Prozent mögen medial relativ laut sein, sind aber letztlich eine Minderheit. Die grosse Mehrheit steht hinter der Landwirtschaft. Und was klar anders ist als in den 1980er-Jahren: Wir haben die Prüfung in fünf Volksabstimmungen deutlich mit 60 Prozent bestanden. Das heisst, die Mehrheit der Menschen schätzt unsere Leistungen in der Ökologie und im Tierwohl.
Sie gehen davon aus, dass die Volksabstimmungen die Landwirtschaft gestärkt und nicht geschwächt haben.
Ja, sie haben uns die Gelegenheit gegeben aufzuzeigen, warum Landwirtschaft für dieses Land notwendig und wertvoll ist und wie sie funktioniert. Die Resultate haben uns in unserem Kurs bestätigt.
Sie sprechen von einer lauten Minderheit. Wer laut ist, wird möglicherweise irgendwann auch gehört. Sind fünf gewonnene Abstimmungen eine Garantie dafür, dass man die sechste auch gewinnt?
Nein, natürlich nicht. Aber wir sind sehr darum bemüht, diese breite Unterstützung für die Landwirtschaft abzusichern. Zum einen kommunikativ, aber auch dadurch, dass wir den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und tiermedizinischen Mitteln weiter optimieren. Da helfen uns die neuen Präzisionstechnologien, aber auch neue resistente Züchtungen. Wofür ich nicht zu haben bin, ist eine weitergehende Extensivierung der Landwirtschaft auf Kosten der Nahrungsmittelproduktion und zugunsten verstärkter Importe. Ich bin, wie gesagt, der Ansicht, dass das Thema Versorgungssicherheit an Bedeutung gewinnen wird.
Welche Perspektiven sehen Sie für die schweizerische Landwirtschaft?
Ich bin diesbezüglich sehr optimistisch. Die meisten Schweizerinnen und Schweizer bevorzugen Schweizer Lebensmittel. Das sichert unseren Produkten einen Absatz zu anständigen Preisen. Zudem ist Landwirt einer der wenigen handwerklichen Berufe in der Schweiz mit einer steigenden Zahl an Lernenden. Wenn also die schweizerische Landwirtschaft mit ihren hervorragend ausgebildeten Berufsleuten den Rank nicht findet, dann findet ihn wahrscheinlich keine.
Zur Person
gub. Martin Rufer (48) ist im solothurnischen Lüsslingen aufgewachsen und hat an der ETH Zürich Agronomie studiert. 2020 wurde er von der Landwirtschaftskammer zum Direktor des Schweizer Bauernverbands gewählt. Er gehört seit 2019 als Mitglied der FDP-Fraktion dem Solothurner Kantonsrat an. Rufer ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Lüsslingen.
Die Bundesfeier in Anwil findet am Donnerstag, 31. Juli, ab 18 Uhr im Buchsholz statt.