«Der Wolf ist eine konfliktträchtige Tierart»
28.12.2023 BaselPro-Natura-Vertreterin Sara Wehrli über die Gründe, weshalb dem Raubtier trotz Herausforderungen ein Platz eingeräumt werden soll
Pro Natura hat zusammen mit anderen Naturschutzverbänden Beschwerde gegen den präventiven Abschuss einzelner Wolfsrudel erhoben. ...
Pro-Natura-Vertreterin Sara Wehrli über die Gründe, weshalb dem Raubtier trotz Herausforderungen ein Platz eingeräumt werden soll
Pro Natura hat zusammen mit anderen Naturschutzverbänden Beschwerde gegen den präventiven Abschuss einzelner Wolfsrudel erhoben. Seither ruht die Jagd auf einige der Raubtiere im Wallis und in Graubünden. Sara Wehrli ist Jagdpolitik-Verantwortliche bei Pro Natura. Sie spricht sich in unserem Interview nicht generell für ein Bejagungsverbot aus.
David Thommen
Frau Wehrli, sind Sie jemals einem Wolf in freier Wildbahn begegnet?
Sara Wehrli: Viele andere spannende Wildtiere wie Bären konnte ich schon beobachten, den Wolf hingegen leider nicht. Ich hoffe sehr, dass mir das irgendwann gelingt.
Was bedeutet für Sie die Rückkehr des Wolfs in die Schweiz? Ist das für Sie eine eher emotionale Angelegenheit, oder ist es vor allem naturwissenschaftliches Interesse?
Beides spielt mit. Die Faszination für den Wolf ist bei mir schon sehr lange vorhanden …
… was ist faszinierend am Wolf?
Vor allem sein hoch entwickeltes Sozialverhalten. Mich interessiert aber auch das ambivalente und symbolisch aufgeladene Verhältnis, das wir Menschen zum Wolf pflegen. Und nicht zuletzt kristallisiert sich am Beispiel Wolf das Verhältnis des Menschen zur Natur heraus. Hier zeigt sich nun, ob und wie ernst wir es mit der Biodiversität und dem Schutz der Ökosysteme meinen, auch wenn es einmal mühsam wird. Der Wolf ist eine konfliktträchtige Tierart und es ist nirgends auf der Welt einfach, mit ihm zusammenzuleben. Euphorische Wolfsfreunde weisen gerne darauf hin, dass im Ausland das Zusammenleben mit ihm problemlos funktioniere. Aus meiner Sicht ist das romantisierend: Konflikte gab und gibt es überall.
Sie stellen also nicht in Abrede, dass der Wolf ein schwieriges Tier für die Schweiz ist?
Der Wolf ist herausfordernd. Aber wir können die Verantwortung, diese Tierart zu erhalten, nicht einfach an Rumänien oder Polen delegieren. Das Grossraubtier gehört natürlicherweise zu unserem Naturraum und hat daher ein Existenzrecht. Die Schweiz muss das Ihre dazu beitragen. Die Situation kann sich mit der Zeit hoffentlich einspielen. Irgendwann dürfte der Wolf in keine Richtung mehr ein grosses Thema sein – also weder verteufelt noch als «Hüter der Wildnis» verklärt werden.
Was bedeutet für Sie die Rückkehr des Wolfs?
Wir stecken heute in einer krassen Biodiversitätskrise und ich empfinde es als Lichtblick, dass ein Tier in die Schweiz zurückkommt, das einst ausgerottet worden war. Allerdings sollten wir dies nicht als Naturschutzerfolg überhöhen. Der Wolf ist ein extrem anpassungsfähiges und mobiles Tier und hat nicht von unseren gezielten Naturschutzanstrengungen oder einem Wiederansiedlungsprogramm profitiert. Der Wolf ist zurückgekommen, weil man ihn nicht mehr bis aufs Letzte verfolgt und weil die Wildbestände hierzulande so hoch sind, wie wohl nie zuvor.
Der Wolf hat die Eigenschaft, dass er wahllos Tiere einer Herde tötet. Ist einer Natur- und Tierschützerin wie Ihnen der Wolf mit seinem brutalen Verhalten manchmal auch etwas unangenehm?
Das ist sein natürliches Jagdverhalten bei Begegnungen mit fluchtunfähigen Tieren: Er jagt, solange der Tötungsinstinkt gereizt wird. In der freien Wildbahn passiert das nicht. Wir können nicht unsere moralischen Vorstellungen auf Tiere projizieren. Wenn der Wolf mehrere Schafe reisst, ist das nichts anderes, als wenn ein Fuchs im Hühnerstall wütet. Der Mensch hat gegenüber seinen Nutztieren eine Fürsorgepflicht. Es ist daher an den Tierhaltern, ihre Nutztiere zu schützen. Jeder Besitzer von Geflügel tut dies ganz automatisch. Bei den Schafen und Ziegen sind wir noch nicht so weit.
Aktuell sollen in der Schweiz 32 Wolfsrudel mit insgesamt rund 300 Wölfen unterwegs sein. Im Jahr 2020 waren es erst 11 Rudel mit gut 100 Wölfen. Wie viele der Raubtiere verträgt es bei uns?
Pauschal beantworten lässt sich das nicht, denn das hängt von vielen Faktoren ab. Spricht man nur von der «ökologischen Kapazität», die vorab durch das Nahrungsangebot bestimmt ist, gäbe es Platz für deutlich mehr Wölfe. Der Bestand an Beutetieren in der Schweiz wie Rothirschen, Gämsen, ungezählten Wildschweinen oder den rund 100 000 Rehen ist heute vermutlich so gross wie noch nie. 300 Wölfe sind da nicht viel. Überdies findet der Wolf in unseren Wäldern viele geeignete Rückzugsgebiete für die Aufzucht der Jungtiere. Doch das ist nicht so entscheidend, da Wölfe sehr anpassungsfähig sind. In Spanien beispielsweise ziehen sie ihre Jungen in Maisfeldern gross, sofern Wälder fehlen.
Aber es gibt mehr als nur die «ökologische Kapazität» …
Es gibt auch die gesellschaftliche Grenze, die politisch ausgehandelt wird. Was ist verträglich? Vielleicht sind wir heute tatsächlich an einem Punkt angelangt, an dem die Grenze des Erträglichen für die Bergbevölkerung erreicht ist. Doch auch dies ist einer Entwicklung unterworfen; vielleicht ist später einmal mehr möglich. In Ländern, in denen der Wolf nie ausgerottet war, geht die Bevölkerung entspannter mit ihm um.
Wie ist das zu erklären?
Nutztierrisse gibt es auch dort immer wieder einmal. In den meisten Ländern wie Rumänien, Italien oder Südfrankreich herrscht aber seit jeher eine Hirtenkultur, wo der Herdenschutz automatisch dazugehört. Wir hingegen praktizieren die Sennenkultur und halten vor allem Rinder. Die – wenigen – Schafe wurden auf der Weide eher sich selbst überlassen. Dieses Weidesystem hat sich in den vergangenen 150 bis 200 Jahren entwickelt, nachdem man den Wolf ausgerottet hatte. Jetzt macht seine Rückkehr Anpassungen nötig, was als schmerzhafte Veränderung empfunden wird. Nutztierhalter sehen die Lebensform ihrer Vorfahren infrage gestellt – und dies in einer Zeit, in der die Bergbauern ohnehin schon stark unter Druck sind. Der Rückgang der Bergwirtschaft mit Kleintierhaltung hat allerdings schon vor langer Zeit eingesetzt. Der Wolf ist nur einer von vielen Faktoren. Zu nennen wären unter anderem auch Arbeitskräfte- und Wassermangel auf den Alpen oder Nachfolgeprobleme.
Begreifen Sie als Tier- und Umweltschützerin, dass die Bauern in grösster Sorge um ihre Tiere sind?
Selbstverständlich. Es muss erschütternd sein, wenn man eines Morgens sieht, welches «Massaker» ein Wolf in der Nacht angerichtet hat. Immer befürchten zu müssen, dass etwas Schlimmes passieren kann, ist ein grosser Stress für die Tierhalterinnen und Tierhalter.
Dennoch sind Sie dafür, dass der Wolf geduldet wird.
Wir müssen uns mit der neuen Situation arrangieren. In den meisten Fällen ist ein wirkungsvoller Herdenschutz möglich und für die Tierhaltenden auch zumutbar. Es gibt die Möglichkeit von wolfabwehrenden Zäunen oder auch von Herdenschutzhunden. Nötig sind auch regionale Gesamtkonzepte für die Beweidung. Von steilen Alpen beispielsweise, die schlecht geschützt werden können und die aus ökologischen Gründen für die Beweidung durch Schafe ungünstig sind, muss man sich vielleicht auch verabschieden. Das ist heute noch weitgehend ein Tabu. Erhalten werden sollten vor allem jene Alpen, wo durch die Beweidung insgesamt ein ökologischer, landschaftlicher und wirtschaftlicher Mehrwert entsteht.
Was aber zur Folge hätte, dass die nicht mehr beweideten Gebiete verbuschen und mit der Zeit verloren gehen.
Nicht zwingend. Weiden, die höher als die Waldgrenze liegen, werden nicht verbuschen. Aber auch für tiefer liegende Gebiete gilt dies nicht automatisch. Gibt es beispielsweise einen grossen Hirschbestand wie im Schweizer Nationalpark, wächst dort auch nicht alles zu. So oder so spielen Schafe beim Erhalt der Alpweiden nicht eine so entscheidende Rolle, wo doch die meisten Alpen in der Schweiz von Rindern beweidet werden. Das Verhältnis von Rind und Wolf ist zwar nicht problemfrei, aber längst nicht so konfliktbehaftet. Auffällig ist übrigens, dass der Schafbestand ausgerechnet in den Kantonen Wallis und Graubünden in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Die Furcht vor dem Wolf scheint also doch nicht ganz so riesig zu sein, wie gerne behauptet wird …
1500 Nutztiere sind 2022 gerissen worden. Heisst die Antwort darauf einfach mehr Herdenschutz?
Im laufenden Jahr hat es deutlich weniger Risse gegeben. Aber zur Frage: Ja, der Ausbau des Herdenschutzes hat sicher noch grosses Potenzial. Mehr als 80 Prozent der Wolfsrisse hat es bislang in ungeschützten Herden gegeben. In der Schweiz gibt es rund 800 Schafalpen, auf der Hälfte davon gibt es noch keinen oder keinen ausreichenden Schutz.
Ein anderes Mittel, um die Schäden klein zu halten, ist der präventive Abschuss von Wölfen oder gleich ganzer Wolfsrudel.
Die grossen Umweltverbände sind nicht prinzipiell gegen Wolfsregulierung. Wir sind damit einverstanden, dass zur Verhinderung grosser Schäden proaktiv Wölfe geschossen werden, wenn sie grosses Schadenpotenzial aufweisen. Aber Abschüsse ganzer Rudel müssen, wie vom Gesetz vorgesehen, die absolute Ausnahme bleiben.
Pro Natura hat zusammen mit anderen Naturschutzorganisationen Einsprache gegen präventive Abschüsse von Wolfsrudeln erhoben, die das Bundesamt für Umwelt vor einigen Wochen bewilligt hat. Das geht Ihnen also zu weit?
Einsprachen gab es in Graubünden und im Wallis gegen die geplante Vernichtung von total fünf Rudeln. Gegen die zahlreichen weiteren Abschussbewilligungen haben wir nichts unternommen. Ziel der Einsprachen ist es, rechtliche Unklarheiten auszuräumen und einen gesetzeskonformen Umgang mit dem Wolf zu etablieren. Vor allem muss definiert werden, in welchen Fällen der Abschuss von ganzen Rudeln verhältnismässig ist. Der Wolf ist ein geschütztes Tier in der Schweiz. Der Schutz kann aufgehoben werden, wenn dadurch grosse Schäden plausibel abgewendet werden können. Es muss nun aber festgelegt werden, was mit «drohendem grossem Schaden» überhaupt gemeint ist, auch in finanzieller Hinsicht. Die Interpretationen gehen hier stark auseinander.
Nämlich?
Das Wallis stellt sich auf den Standpunkt, dass ein einzelner Angriff auf ein Nutztier in einer Herdenschutzsituation bereits ausreicht, um ein ganzes Rudel abzuschiessen. Für uns ist diese Schwelle zu tief und gefährdet potenziell die Existenz der lokalen Wolfspopulation. Bundesrat Albert Rösti hat die Abschussverordnung in unseren Augen in einer Hauruck-Übung erlassen. Es besteht Klärungsbedarf. Diese Ansicht teilt im Übrigen auch die kantonale Konferenz für Wald und Landschaft (KWL).
Neu ist, dass ganze Rudel und nicht nur einzelne schadenstiftende Tiere abgeschossen werden dürfen. Wie sinnvoll ist das?
Der Abschuss ganzer Rudel sollte unserer Meinung nach die letzte Eskalationsstufe und damit die absolute Ausnahme bleiben. Für den Kanton Wallis wurde gleich der Abschuss der Hälfte aller Rudel bewilligt, auch in Graubünden sind es zu viele. Dabei gab es nur wenige Angriffe auf Nutztiere in einer Herdenschutzsituation, es handelte sich jeweils nur um zwei oder drei gerissene Schafe. Vorstellbar wäre, dass es immer der gleiche Wolf war, der Nutztiere gerissen hat. Als mildere Massnahme sollte man dort zuerst besonders schadstiftende Tiere schiessen.
Gegen den Abschuss einzelner Tiere gäbe es also keinen Widerstand von Ihnen?
Um grosse Schäden zu verhindern, ist es die sinnvollere Massnahme, Jungwölfe in den Wintermonaten zu schiessen, als etablierte Rudel zu eliminieren. Je nach Dichte und Anzahl Rudel können gemäss Gesetz die Hälfte bis sogar zwei Drittel der Jungwölfe geschossen werden.
Gelingt es überhaupt, ganze Rudel mit fünf bis zehn Wölfen zu töten?
Höchstwahrscheinlich nicht. Die Tiere sind sehr schlau und lernfähig. Kontraproduktiv wird es, wenn Wolfsrudel «zerschossen» werden und nur zwei oder drei Tiere übrig bleiben, zum Beispiel unerfahrene Jungtiere. Sie werden orientierungslos umherstreifen und relativ rasch Nutztiere angreifen, weil diese für einen einzelnen Wolf die einfachere Beute darstellen als beispielsweise ein Rothirsch.
Gewisse Kreise in der Schweiz würden sich wünschen, dass der Wolf wieder ganz verschwindet …
Für uns als Naturschutzorganisation ist das erneute Ausrotten des Wolfs undenkbar. Der Wolf mag aus Sicht des Menschen Schäden anrichten, aber der grösste Zerstörer und Ausrotter ist und bleibt der Mensch. Wir haben nicht nur eine Klimakrise, sondern auch eine massive Biodiversitätskrise verursacht. Jede dritte Tier- und Pflanzenart ist vom Aussterben bedroht, die Schweiz ist laut einem Bericht der EU-Umweltagentur von 2021 bei den Artenschutzbemühungen das Schlusslicht in ganz Europa. Forderungen, eine Tierart auszurotten, sind heute nicht mehr legitim. Ironischerweise erwarten wir Schweizer von anderen Ländern, dass sie ihre Tiger, Elefanten oder Nashörner schützen. Dabei sind das Länder, die dafür deutlich weniger Ressourcen zur Verfügung haben als wir.
Als der Luchs wieder zugewandert ist, gab es ebenfalls Aufregung. Mittlerweile scheinen sich aber alle arrangiert zu haben. Wird das beim Wolf ebenfalls einmal so sein?
Es ist zu hoffen, aber die Voraussetzungen sind nicht dieselben. Der Wolf hat ein grösseres Konfliktpotenzial und mehr Symbolkraft. Im Unterschied zum Luchs sind Wölfe neugieriger und anpassungsfähiger und die Chancen für Begegnungen mit dem Menschen damit höher. Meist sind solche Begegnungen unproblematisch, aber es gilt, sie gut zu beobachten.
Sie würden also nicht ausschliessen, dass ein Wolf auch einmal einen Menschen angreift?
Bei einem Wildtier kann ein Vorfall mit Menschen nie zu 100 Prozent ausgeschlossen werden. Im Vergleich zur Gefahr, die von Raubtieren wie Pumas oder Schwarzbären in Nordamerika ausgeht, ist der Wolf aber extrem unauffällig. Und man darf nicht vergessen, dass es mit anderen Tieren – Wildschweinen, Hunden oder Kühen – zu sehr viel häufigeren Vorfällen kommt.
Wölfe können dem Menschen bekanntlich gefährlich werden, wenn sie die Furcht vor ihm verlieren.
Wölfe dürfen sich nicht zu sehr an die Nähe zum Menschen gewöhnen, ihn zum Beispiel mit Nahrungsquellen assoziieren. Man sollte verhindern, dass Wölfe Nahrung im Siedlungsgebiet finden. Passiert es, dass ein Wolf den Menschen wiederholt auffällig nahe kommt, muss man ihn erlegen.
Wird man rechtzeitig erkennen, dass ein Wolf gefährlich werden kann?
Eindeutig. Ein Angriff aus dem Nichts ist so gut wie auszuschliessen. Man kann das mit den Bären vergleichen. In der Schweiz wurden sogenannte Problembären rasch geschossen, wenn sie den Respekt verloren haben. Man wollte es zu Recht nicht darauf ankommen lassen.
Vor nicht allzu langer Zeit kam es zu einem tödlichen Angriff eines Bären auf einen Jogger unweit der Schweizer Grenze in Italien …
In der Schweiz wäre es nie so weit gekommen. Es handelte sich um einen notorischen Problembären, der schon mehrfach auffällig geworden war. Bei uns wäre er längst erlegt worden. In Italien hingehen stehen Bären so gut wie unter Totalschutz, was sich letztendlich fatal ausgewirkt hat.
Wie muss man sich verhalten, wenn man einem Wolf begegnet? Bei uns im Oberbaselbiet ist das ja nicht ganz ausgeschlossen …
Stehen bleiben, beobachten und unaufgeregt auf sich aufmerksam machen. Dann kann man sich langsam zurückziehen. Wegrennen oder dem Wolf den Rücken zudrehen, sollte man unterlassen. Ist das Tier gefühlt zu nahe, kann man in die Hände klatschen, laut rufen, sich möglichst gross machen und versuchen, es zu verscheuchen. Anders also, als wenn man einem Bären begegnet. Bei ihm sollte man jede Provokation unterlassen.
Und wenn man mit dem Hund auf Spaziergang ist?
Den Hund sollte man an die Leine und ganz nahe zu sich nehmen. Der Wolf wird den Hund nicht mehr so interessant finden, wenn die menschliche Präsenz dominiert. Für frei laufende Hunde, die sich weit vom Besitzer entfernen, kann es im Wolfsgebiet durchaus gefährlich werden. Im Moment ist das vor allem bei Jägern ein Thema, beispielsweise bei der Nachsuche nach verletztem Wild. Es könnte sein, dass der Wolf schon da ist, wenn der Hund kommt.
Was ist die ökologische Rolle des Wolfes in der Schweiz?
Der Wolf hilft mit, den Wildtierbestand zu regulieren. Wichtig ist dies nicht zuletzt für die Schutzwälder in den Berggebieten, wo sich der Wald aufgrund des hohen Wildverbisses nicht oder nur schlecht erneuern kann. Die Förster wollen Baumarten fördern, die mit dem Klimawandel besser zurechtkommen. Die vielen Rothirsche oder Gämsen fressen die aufkommenden Bäume wichtiger Arten wie der Weisstanne aber laufend ab. Der Wolf kann dazu beitragen, dass die hohe Wildtierdichte abnimmt. Und er hält das Wild ständig in Bewegung, was dazu führt, dass nicht ganze Gebiete in aller Ruhe bis auf das letzte Ästlein abgefressen werden können.
Ist es eigentlich legitim, dass Städter beim Thema Wolf, das sie ja kaum betrifft, mitreden?
Diese Frage zeugt von mangelndem Demokratieverständnis. In einer Demokratie haben alle ein Mitspracherecht und weder Städter noch die Landbevölkerung können der anderen Partei etwas vorschreiben. Stattdessen wird in einer konsensorientierten Diskussion nach Lösungen gesucht, von denen nur diejenigen Bestand haben, welche die Mehrheit überzeugen. Um die Natur, unsere Lebensgrundlage, auch für künftige Generationen zu erhalten, braucht es Anstrengungen sowohl von der Land- wie von der Stadtbevölkerung. Das Bewirtschaften eines Grabenkampfes behindert die Lösungsfindung.
Zur Person
tho. Sara Wehrli (42) ist Projektleiterin für die Themen Jagdpolitik und Wildtiere bei Pro Natura Schweiz. Sie studierte Geografie und Natur-, Landschafts- und Umweltschutz (NLU) an der Uni Basel, war danach in der Raumplanung im Kanton Baselland tätig, wechselte 2010 zum Schweizer Tierschutz STS, wo sie für die Fachstelle Wildtiere zuständig war. Seit 2017 arbeitet sie für Pro Natura.
Aufgewachsen ist Wehrli in Davos, ihre Eltern wiederum stammten aus dem Oberbaselbiet, genauer aus Oberdorf. Sie ist Mutter eines kleinen Kindes und lebt in Münchenstein. In der Freizeit betätigt sie sich gerne sportlich oder engagiert sich in der Vogelbeobachtung.