Der Wert einer Beziehung
02.09.2025 SissachUeli Mäders Gesprächsreihe dreht sich um das Phänomen der Sucht
Auf dem Podium im «Cheesmeyer» sassen neben Moderator Ueli Mäder drei Frauen und ein «genesender Süchtiger», die über Sucht und ihre Aspekte redeten. Die Zuhörerinnen und ...
Ueli Mäders Gesprächsreihe dreht sich um das Phänomen der Sucht
Auf dem Podium im «Cheesmeyer» sassen neben Moderator Ueli Mäder drei Frauen und ein «genesender Süchtiger», die über Sucht und ihre Aspekte redeten. Die Zuhörerinnen und Zuhörer des Talks dürften mit ihren Gedanken immer wieder abgeschweift sein, um das eigene Verhalten bei diesem Thema zu überdenken.
Jürg Gohl
Genug ist nicht genug
Ich lass mich nicht belügen
Schon schweigen ist
Betrug Genug kann nie genügen
Der bekannte Refrain des deutschen Liedermachers Konstantin Wecker, gedichtet vor bald 50 Jahren, ist politisch gemeint und warnt vor Sättigungsgefühlen. Zugleich aber beschreiben die Zeilen auch das Suchtverhalten, das nach immer mehr Stoff verlangt. Und so lag es für Soziologe Ueli Mäder auf der Hand, für die jüngste Ausgabe seiner Gesprächsreihe vom vergangenen Donnerstag im Sissacher «Cheesmeyer» Weckers Titel umzudeuten und als Überschrift für den Abend zu verwenden.
Es diskutierten: Nicolas, der als «genesender Süchtiger» seinen Nachnamen für sich behielt, dafür aber umso mehr aus dem Leben eines Betroffenen preisgab; die Sozial- und Heilpädagogin Susanne Valentin, die Autorin des Aussteiger-Buchs «Mein letzter Rausch»; sowie Psychoanalytikerin Claudine Aeschbach, selber einst starke Raucherin. Und: Klimaaktivistin Cécile Bessire. Weshalb eine Klimaaktivistin zu diesem Thema? Die Antwort gab sie gleich selbst: «Ich kämpfe gegen eine Welt, die süchtig nach Öl und Automobilität ist.»
Sucht steht nicht für Flucht
Nicht nur Claudia Aeschbach führte einen Kampf gegen die Nikotinsucht, sondern offenbar auch mehrere Zuhörer. Davon berichteten sie, als der Gesprächsleiter im zweiten Teil des Abends das Publikum wie gewohnt dazu aufforderte, Fragen und Diskussionsbeiträge an das Podium zu richten. Dabei gelangten mehr eigene Suchterfahrungen aufs Tapet als Fragen. Das zeigt wiederum, dass das Thema des Abends wohl alle im «Cheesmeyer» stärker als sonst schon dazu zwang, eigenes Verhalten zu hinterfragen.
Bei der Definition von «Sucht» griff die Runde für einmal auf den sprachlichen Ursprung des Worts zurück: Sucht stamme vom Wort «siech» und «Seuche». Siechenhäuser wurden weit weg von Siedlungen gebaut, primär zum Schutz der Gesunden, aber auch, um die Betroffenen aus der Gemeinschaft auszusortieren. Ebenso wurden Süchte lange tabuisiert. Heute würden wir, so wurde auf dem Podium festgestellt, einen offeneren Umgang mit Süchtigen pflegen. Und nochmals wurde es wörtlich: Sucht habe nichts mit Flucht zu tun, sondern mit Suchen.
Einig war man sich auch, dass die Wurzeln von Suchtverhalten meist in den frühesten Kinderjahren liegen. Und das beste Mittel, ihm wieder zu entkommen, liege in einer festen, unterstützenden Beziehung, bei der auch ein Therapeut die Partnerrolle übernehmen kann. Susanne Valentin sagte, dass bei Kindern «Wertschätzung und Begleitung» die besten Mittel seien, um einem späteren Suchtverhalten vorzubeugen.
Obwohl von den Produzenten immer wieder in Abrede gestellt, stehen Sucht und die Verfügbarkeit in einem engen Zusammenhang. Das schliesst, je nach Optik, den zu hohen oder zu tiefen Preis der Droge ein. Das lässt sich mit der Preispolitik bei legalen Dorgen wie Zigaretten und Alkohol belegen, aber auch mit dem verhältnismässig günstigen Phentanyl, das den Markt überschwemmt.
Zum Thema Verfügbarkeit machte Nicolas eine bemerkenswerte Aussage: Er mache seine Einkäufe in der Migros, weil diese keine alkoholischen Getränke in ihrem Sortiment habe: «Damit kommt bei mir erst gar nicht die Gefahr auf, dass in meinem Kopf das ganze Karussell angeschoben wird. Dafür danke ich ihr.»
Neue Literatur-Reihe
jg. Im kommenden Monat geht die allmonatliche und einst auf ein Jahr ausgelegte Gesprächsreihe von Ueli Mäder bereits in ihr viertes Jahr. Noch vorher wird ihr im «Cheesmeyer» eine zweite Veranstaltungsserie zur Seite gestellt, wie Betreiber Kaspar Geiger am Donnerstag ankündigte. Sie trägt den Namen «WiederEntdeckt», und es geht um Literatur.
In Vergessenheit geratene Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftsteller wie Laure Wyss, Adelheid Duvanel und Kurt Marti werden jeweils vorgestellt, und es wird aus ihrem Werk vorgelesen. Am 18. September (Beginn 19.30 Uhr) macht Robert Walser, von anderen Autoren hochgelobt, aber nach eigenen Worten «bodenlos erfolglos», den Anfang. Stephan Müller wird den Autor erst vorstellen; danach wird Charles Brauer aus Walsers Werk vorlesen. Andere bekannte Vorleser wie Dominique Lüdi und Hanspeter Müller-Drossaart werden später ebenfalls zu sehen und vor allem zu hören sein.