Der digitale Kapitalismus
17.09.2024 SissachOliver Nachtwey und Rachel Huber zu Gast im Mäder-Talk
vs. Wie freiheitlich ist der digitale Kapitalismus? Was macht er mit uns und unserer Gesellschaft? Und was bedeutet die Digitalisierung für diskriminierte Bevölkerungsgruppen? Mit diesen Fragen setzen ...
Oliver Nachtwey und Rachel Huber zu Gast im Mäder-Talk
vs. Wie freiheitlich ist der digitale Kapitalismus? Was macht er mit uns und unserer Gesellschaft? Und was bedeutet die Digitalisierung für diskriminierte Bevölkerungsgruppen? Mit diesen Fragen setzen sich im «Cheesmeyer» der Soziologe Oliver Nachtwey und die in Sissach aufgewachsene Historikerin Rachel Huber auseinander. Dies unter der Gesprächsleitung des Soziologen Ueli Mäder. Beide Gäste lehren und forschen an Hochschulen.
Digitaler Kapitalismus ist für Oliver Nachtwey eine Form des Kapitalismus, die stark durch digitale Technologien und das Internet geprägt ist. Diese Wirtschaftsform nutze digitale Plattformen, Daten und Netzwerke als zentrale Ressourcen und Mechanismen zur Wertschöpfung und Kapital-Akkumulation. Der digitale Kapitalismus verändere dabei nicht nur Produktions- und Konsumprozesse, sondern auch die soziale und ökonomische Struktur der Gesellschaft.
Nachtwey erforscht den digitalen Kapitalismus aus einer «Mixed-Method-Perspektive». «Ich habe zum Beispiel mit Programmierern im Silicon Valley und auch in Zürich gesprochen», berichtet er. «Zum Einsatz kommen Instrumente wie klassische und digitale Ethnografie, qualitative Interviews sowie Big-Data-Methoden der Textanalyse.»
Der digitale Kapitalismus werde allgegenwärtig. So etwa «beim Buchen des Urlaubs, beim digitalen Zahlen in der Beiz, beim Spazierengehen, wenn das GPS auf dem Natel eingeschaltet ist». Auch das medizinische Personal verfüge über digitale Akten von Erkrankten. Und Algorithmen kennten unsere heimlichen Wünsche und politischen Vorlieben.
Angehörige marginalisierter und ethnischer Minderheiten nutzen Soziale Medien vermehrt, «weil sie Menschen eine Stimme geben, die in den Mainstream-Medien an den Rand gedrängt werden», erklärt Huber. Soziale Medien böten Möglichkeiten und «Randgruppen» einen Raum, in dem sie sprechen könnten. So sei etwa die Plattform X (vormals Twitter) ein Ort, an dem sich Diskurse über Rasse, Geschlecht und soziale Gerechtigkeit beeinflussen liessen.
Mehrere Bewegungen von Minderheiten hätten ihren Anfang auf diesen Plattformen gefunden und unsere Gesellschaft nachhaltig geprägt. Neue Untersuchungen zur Macht von Plattformen bezeichneten Facebook und X sogar als «Herrschaftszentren unserer Zeit». Sie beschrieben, wie digitale soziale Bewegungen (z.B. #MeToo, #BlackLives-Matter) unsere Gesellschaften umtrieben.
Als Beispiel nennt Huber die Lakota, die im Standing Rock Sioux Reservat leben. Sie wehrten sich ab 2015 gegen den Bau einer grossen Öl-Pipeline, die unter dem grossen Fluss durchführen sollte. Unzählige Demonstrierende hätten sie über Plattformen Sozialer Medien mobilisieren können und so quasi die ganze Welt informiert. «Mit dem enorm wachsenden Druck auf die Politik», so Huber, «entschied jedenfalls der damalige Präsident der USA, Barack Obama, den Bau zu stoppen.» Klar gäbe es auch negative und «einer Demokratie widerläufige» Entwicklungen auf den Plattformen Sozialer Medien, führt Huber weiter aus. «Beispielsweise die Verbreitung von Fake News oder Trolling.» Auch Diskriminierung finde vermehrt in diesem digitalen Raum statt. Es brauche deshalb Regeln für alle. Und die Betreibenden der Plattformen müssten die Richtlinien ebenfalls umsetzen, hielten sich aber in den seltensten Fällen daran. Das veranschauliche das Beispiel von Elon Musk und X.
«Nichtsdestotrotz», bilanziert Huber, «haben diejenigen, die nichts mehr zu verlieren haben, immer noch einen Vorteil, wenn sie auf ihre Anliegen auf Plattformen Sozialer Medien aufmerksam machen.» Ob der digitale Kapitalismus freiheitlich sei, hänge offenbar auch von der Perspektive ab, aus der er betrachtet werde.
Talk mit Ueli Mäder: «Wie freiheitlich ist der digitale Kapitalismus?», Donnerstag, 26. September, 19.00 bis 20.30 Uhr, «Cheesmeyer», Hauptstrasse 55, Sissach.