Den Geistern auf der Spur
31.10.2024 GelterkindenRichtig mulmig wird mir, als ich spätabends im dunklen Keller eines alten Bauernhauses in Gelterkinden stehe. Es fröstelt mich. Lilian, die Hausbesitzerin, erzählt mir gerade von einem schwarzen, geisterhaften Hund, der ab und zu im Türrahmen des Nebenraums auftauche. Ich ...
Richtig mulmig wird mir, als ich spätabends im dunklen Keller eines alten Bauernhauses in Gelterkinden stehe. Es fröstelt mich. Lilian, die Hausbesitzerin, erzählt mir gerade von einem schwarzen, geisterhaften Hund, der ab und zu im Türrahmen des Nebenraums auftauche. Ich weiss nicht, was mich mehr stört – das unsichtbare Tier oder die Tatsache, dass ich mich freiwillig für diese Reportage gemeldet habe.
Halloween ist zwar offiziell kein Feiertag, aber für eine mutige Reporterin ein Pflichttermin, um auf Geisterjagd zu gehen. Ein Telefonat hier, ein Gespräch dort, und ich bin auf Lilian und Damian gestossen, die in einem Haus leben, das angeblich voller Spuk steckt. Ich glaube nicht an Übersinnliches, bin aber neugierig genug, um mich ohne Angst, aber mit viel Skepsis, bei Nacht und Nebel auf den Weg nach Gelterkinden zu machen.
Die Luft ist kühl, und ich bin froh um Schal und Jacke. Kaum ein Mensch begegnet mir auf dem Weg, nur vereinzelt überholen mich Autos. Als ich die Kirche im gespenstischen Licht erblicke, überlege ich, ob das ein schlechtes Omen ist – und muss über mich selber lachen. Endlich stehe ich vor dem Haus von Lilian und Damian, das in einer dunklen Seitengasse liegt, kaum von den schwachen Strassenlampen beleuchtet – der erste Schauer läuft mir über den Rücken.
Die beiden begrüssen mich herzlich und wir setzen uns an den Küchentisch. Das schummrige Licht passt perfekt zu den Gruselgeschichten, die sie mir gleich erzählen. «Die Begegnungen haben schon früh angefangen», eröffnet Lilian das Gespräch. Lilian sieht Gestalten, meist dunkle Schatten. «Sie huschen oft um die Ecke, wenn ich einen Raum betrete.» Sie hat auch Stimmen gehört – nur ein Gemurmel, das sie anfangs ihrem Mann zuschrieb.
Damian sieht zwar nichts, aber er spürt die Anwesenheiten: ein kalter Luftzug oder plötzliche Gerüche, wie der von rohem Fleisch im Keller. Dass das Haus einst eine Metzgerei war, erfuhr das Paar erst später.
Der Mann auf dem Dachboden
Lilian führt mich durch das Haus. Sie und ihr Mann wohnen im Erdgeschoss, in dem es nur selten spukt. Richtig aktiv ist es im Obergeschoss und dem Keller, in den wir nun gehen. Es ist dunkel, die Glühbirne an der Decke spendet wenig Licht, im Nebenraum ist es stockdunkel. Ich sehe mein Spiegelbild im Fenster und erschrecke. «Manchmal sitzt hier ein Hund im Türrahmen», sagt Lilian. Ich schaudere und bin froh, dass ich das Tier nicht sehe. Ob ich nicht schnell in den dunklen Raum gehen wolle, fragt mich Lilian. Ich schüttle heftig den Kopf. Auf keinen Fall, ich hatte schon immer Angst im Dunkeln, antworte ich. Warum ich dann in ein Geisterhaus gehe, ist eine Frage, die ich mir nicht zum letzten Mal gestellt habe.
Wir gehen weiter in die oberste Etage. Ich merke gleich, dass ich hier nicht lange bleiben möchte. In einem der Zimmer fühle ich mich besonders unwohl. «Hier sehe ich oft eine dunkle Gestalt in der Ecke sitzen», sagt Lilian. Ich schaue skeptisch und bin erleichtert, dass ich dort niemanden sitzen sehe.
Lilian hat angefangen, die Tür zu schliessen, weil ihr die schlechte Energie in diesem Raum nicht geheuer ist: Die Tür hat sich auf unerklärliche Weise von Zeit zu Zeit von selbst wieder geöffnet. Ich nicke, als sei das ganz normal, und frage mich gleichzeitig, ob man diese Tür nicht besser vernageln sollte. Auch ihr Sohn habe schon von dieser Gestalt gesprochen. Und davon, dass der Fernseher aus- und mitten in der Nacht wieder angegangen sei. Ich wäre vor Schock direkt gestorben.
Lilian führt mich einen Gang entlang und zeigt nach oben. Eine Dachbodenluke. «Willst du rauf?», fragt sie mich. Auf keinen Fall, denke ich mir.
Kurz darauf erklimme ich die knarrende Leiter und strecke meinen Kopf durch die Luke. Wieso mache ich das noch gleich? Es ist ein furchtbar ungemütlicher Raum. Eng, aber lang, gefüllt mit Kartons und unheimlichen Fasnachtslarven. «Hier hinten hat mal einer gesessen, breite Schultern und Kapuze oben», erzählt Lilian. Ich halte nach Spinnweben Ausschau, während ich widerwillig ein paar Schritte vorwärts gehe. Es knarrt.
Dieser Typ hatte eine unglaublich starke Energie, mit der sie nicht umgehen konnte. Lilian sagt, dass sie und Damian bereits einen Experten mit der Reinigung beauftragt haben. Ich atme erleichtert auf.
Ich konnte nicht schnell genug die wackelige Leiter hinuntersteigen. Zusammen gehen wir in die kleine Küche im oberen Stock und setzen uns an den Tisch. Eine Kerze verbreitet eine gespenstische Stimmung. Schräg gegenüber von mir sehe ich das unheimliche Schlafzimmer und ich bete, dass diese dunkle Gestalt aus der Ecke uns nicht einen Besuch abstattet.
«Ich sehe mal nach, ob ich sie rufen kann», sagt Lilian plötzlich und geht ins Schlafzimmer. Wie bitte? Wie erstarrt sitze ich auf meinem Stuhl und lausche. Nichts. Lilian kommt zurück. Sie spürt eine unheimliche Präsenz in diesem Zimmer und traut sich nicht hinein. Zum Glück! Als sich plötzlich hinter mir ein automatischer Lufterfrischer mit einem Pusten aktiviert, sehe ich mein Leben an mir vorbeiziehen.
Schluss mit lustig, es wird mir zu unheimlich. Ich folge Lilian wieder Richtung Treppe und stehe kurz im Dunkeln, weil sie versehentlich das Licht ausgemacht hat. Ich sterbe zum zweiten Mal in dieser gespenstischen Nacht.
Unten angekommen, verabschiede ich mich von Damian. Lilian begleitet mich bis vor die Tür. Ein surreales Erlebnis, denke ich, während ich Lilian zuwinke und noch einmal auf das Haus schaue. Ich erinnere mich an Lilians Worte, dass diese Gestalten einem nach Hause folgen können. «Ich gehe jetzt und lasse alles hier», sage ich laut zur Hauswand. Wäre es eine Sendung mit versteckter Kamera, würde ich mich totlachen, aber in der dunklen Gasse ist mir nicht zum Lachen zumute.
«Das sind doch nur Geschichten», rede ich mir Mut zu, biege um die Ecke und lasse das Haus hinter mir. Gruselig war es trotzdem. Nächstes Jahr melde ich mich für den Kürbisschnitzkurs an.
Melanie Frei