Das Universum von Robert Reimers
14.08.2025 SissachUnterwegs im Nordpazifik, Teil 9: Majuro-Atoll
Auf unserm Inselhüpfer-Flug von Guam nach Hawaii sind wir, vom Kwajalein-Atoll kommend, in Majuro, der Hauptstadt der Republik Marshallinseln, eingetroffen. Der Flugplatz: ein kleiner Streifen Beton auf einem aufgeschütteten Riff ...
Unterwegs im Nordpazifik, Teil 9: Majuro-Atoll
Auf unserm Inselhüpfer-Flug von Guam nach Hawaii sind wir, vom Kwajalein-Atoll kommend, in Majuro, der Hauptstadt der Republik Marshallinseln, eingetroffen. Der Flugplatz: ein kleiner Streifen Beton auf einem aufgeschütteten Riff inmitten des Pazifiks.
Hanspeter Gsell
Ein Taxi erwartet uns und bringt uns ins Hotel. Ein überlanger Tag ist zu Ende gegangen. Beinahe 24 Stunden haben wir ungemütlich auf Flugplätzen und in Flugzeugen verbracht. Wir werden in den nächsten Tagen unsere Knochen wieder sortieren.
Die Marshall-Inseln bestehen gänzlich aus tief liegenden Atollen. Insgesamt sind es 29 Atolle mit mehr als 1200 Inseln, 870 Riff-Systemen und 160 Arten von Korallen. Die Höhe über dem Meeresspiegel beträgt weniger als 3 Meter.
Charles Darwin ging davon aus, dass sich nach der Entstehung einer Vulkaninsel – aus Unterwasservulkanen, die Landmassen bis zur Meeresoberfläche in die Höhe schiessen – ein Korallenriff um diese herum bildet. Über Millionen von Jahren versinkt die Vulkaninsel wieder im Ozean. So wird der Abstand zwischen der Insel und dem Saum-Riff mit zunehmendem Rückzug der Insel immer grösser.
Irgendwann wird aus dem Saum-Riff ein Barriere-Riff. Im Laufe der Zeit wird aus einer einst hohen Vulkaninsel eine kleinere Insel in der Mitte der Lagune. Letztendlich wird die gesamte Insel vom Meer weggespült, nur der Umriss des Barriere-Riffs bleibt übrig. Dieser verbleibende Umriss ist das, was wir heute Korallenatoll nennen. Und auf einem solchen Atoll liegt Majuro.
Die Marshall-Inseln sind eine von vier Atoll-Nationen auf der Welt. Die anderen sind die Malediven, Kiribati und Tuvalu. Die Landmassen der Marshall-Inseln betragen gerade einmal 181 Quadratkilometer – 43 000 Einwohner wohnen hier. In der Schweiz wohnen 9 Millionen Menschen auf 41 285 Quadratkilometern.
Unabhängig abhängig
1986 wurden die Marshall-Inseln faktisch in die Unabhängigkeit entlassen. Aber nur faktisch. Denn die Inseln könnten ohne Unterstützung der USA überhaupt nicht existieren. Die Launen der amerikanischen Blondlocke spüren sie bereits. Wie wir inzwischen erfahren haben, wurden die ersten amerikanischen Fachleute bereits abgezogen: Die einheimischen Elektriker haben heute massive Probleme, die Menschen mit Strom zu versorgen.
Die Strassen wurden 1986 gebaut, seither fehlt das Geld für deren Unterhalt. Die Hauptstrasse, sie führt vom Flughafen bis ans Ende von Majuro City, ist gesäumt von Läden, Büros, Restaurants, Hotels, einem Museum, Kirchen und Tempeln, einem Kino und einem völlig überdimensionierten Regierungsgebäude.
Überall sind verlotterte Gebäude zu sehen. Durch diese apokalyptisch anmutenden Häuserreihen quält sich eine nie endende Kolonne von amerikanischen Autos. Es scheint klar: Der Stau wurde hier erfunden.
Robert Reimers (1909 – 1998)
Im Zuge meiner Recherchen für die
Serie in der «Volksstimme» bin ich im Internet auf einen Bericht von Bill Primark gestossen. Der Reisende hat 1997 geschrieben: «Die Passagiere, die in Majuro am Airport für den ‹Air Micronesia›-Flug nach Honolulu Schlange standen, wurden langsam unruhig. Der Flug hatte bereits eine Stunde Verspätung, es gab keine Sitzplatzreservierungen, das Flugzeug war (wie üblich) überbucht und das Terminal war überfüllt und heiss. Ganz unauffällig wurde ein älteres Paar an den Anfang der Schlange geführt und zum Flugzeug geführt. Ich fragte einen der Sicherheitsbeamten des Flughafens, wer das Paar sei. Mit grosser Ehrfurcht flüsterte er: Das ist Mister Robert Reimers mit seiner Frau.»
Jabor | Jaluit-Atoll
Robert Reimers wurde am 13. Oktober 1909 im Dorf Jabor im Jaluit-Atoll geboren und wuchs auch dort auf. Die Mutter war Laten Mejleb vom Arno-Atoll. Der Vater war Robert Reimers, ein Deutscher, der für die mehrheitlich deutsche Jaluit-Gesellschaft arbeitete. Das Atoll Jaluit wurde 1878 zu einer Handelsstation der «Deutschen Handels-und Plantagengesellschaft» mit Sitz in Hamburg. Man hatte das Recht, herrenloses Land in Besitz zu nehmen, Perlenfischerei zu betreiben und Guano-Lager auszubeuten. Daneben betrieb man erfolgreich den Anbau von Kokospalmen und die Produktion von Kopra.
Robert Reimers verbrachte seine frühe Kindheit bei seinen Grosseltern auf kleinen Inseln im Atoll. Mit fünf Jahren wurde er in die protestantische Mission auf Jabor gebracht.
Als Teenager begann er für die Handelsstation eines Onkels zu arbeiten. Er lernte hier die Grundlagen seiner späteren Geschäftstätigkeit. Er bemerkte aber auch, dass er zwar die ganze Arbeit machen durfte, das Geld aber von seinem Onkel einkassiert wurde.
Likiep
Reimers war 21 Jahre alt, als er 1930 Lupe Capelle heiratete. Sie entstammte, wie ihr Mann, einer alten deutschen Kaufmannsfamilie. Dank den Fähigkeiten von Robert als Bootsbauer wurde er schon bald Geschäftsführer eines japanischen Unternehmens auf der Insel Wotje. Nachdem die Amerikaner die Inseln erobert hatten, zog er nach Likiep. Neben seiner Tätigkeit als Gemeindeschreiber begann er, die nicht mehr benötigten Landungsboote der Amerikaner zu Frachtschiffen umzubauen. Mit solchen Kähnen fuhr er nach Hawaii und importierte Waren des täglichen Bedarfs. In seiner Freizeit stellte er hölzerne Zigarettenschachteln her, die er den Soldaten verkaufte. Erfolgreich war auch sein Ausflug in die Duft-Industrie: Sein Parfum «Midnight» wurde schnell zum absoluten Muss.
Majuro
In den 1950er-Jahren zog das Paar von Likiep nach Majuro, in die Hauptstadt der Marshall-Inseln. Und hier beginnt wohl die Erfolgsgeschichte. «RR», wie er von Bekannten gerufen wurde, war Begründer, CEO und der eigentliche Vordenker hinter dem weitläufigen Unternehmen namens «Robert Reimers Entreprises».
Rob besass eigentlich alles in Majuro. Hotels, Lebensmittel-Läden mit Kühlschränken (!), Baumärkte, Schiffe, Tauchboote, Reisebüros, Treibstofflager. Ihm gehört praktisch jedes kommerzielle Unternehmen, das auf den Atollen und Inseln existiert. Er wurde Lizenznehmer von ACE, Fedex, TNT und «Western Union Money Transfer». Wollte ein Schiff die Marshall Inseln anfahren, kam seine Firma CenPac ins Spiel und übernahm alle Formalitäten.
Die Tragödie
«Pacific Pure Waters», ebenfalls ein Unternehmen von Reimers, reinigte Wasser mit Hilfe einer Umkehr-Osmose-Anlage und verkaufte es gewinnbringend als Trinkwasser in der Hauptstadt Majuro und auf die abgelegenen Inseln der anderen Atolle.
1970 kam Sohn Julian bei einem Autounfall ums Leben. Auf ihn hatte Reimers alle Hoffnungen gesetzt. Er durfte die besten Schulen besuchen, hatte in Hawaii und Los Angeles studiert. Natürlich hatte Reimers mehrere Söhne und Töchter, denen traute er jedoch im Gegensatz zum verstorbenen Julian nicht zu, ein so grosses und weit verzweigtes Unternehmen zu führen.
«RR» hatte deshalb bereits in den 1960er-Jahren gut ausgebildete, amerikanische Manager engagiert. Diese sollten gewissermassen als Puffer zwischen ihm und der grossen Familie fungieren. Die Familie bestand immerhin aus sieben Kindern und Hunderten von Enkeln und Urenkeln. Schwierigkeiten waren vorprogrammiert.
Eine interessante Feststellung: Reimers war nie in einem politischen Amt vertreten. Er war und blieb die graue Eminenz der Inseln.
Die «Robert Reimers Entreprises» existieren immer noch. Wer genau wo das Sagen hat, konnte ich nicht herausfinden. Wir haben jedoch im Hotel Reimers tief geschlafen und gut gegessen. Die Managerin, Colette Reimers, ist eine Schwiegertochter von Robert Reimers. Das Postfach des Hotels ist immer noch dasselbe, wie es bereits Robert Reimers hatte: Postfach Nummer 1.
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.
Bisher erschienen:
Teil 1 (19. Juni), Teil 2 (26. Juni),
Teil 3 (4. Juli), Teil 4 (8. Juli), Teil 5 (15. Juli),
Teil 6 (22. Juli), Teil 7 (31. Juli),
Teil 8 (5. August)