Das Phantom und die Nostalgie
14.11.2024 BaselFlorian Schneider, einst selbst Hauptdarsteller, zu Gast bei der Neuauflage
«Das Phantom der Oper» gastiert im Musical Theater Basel. Florian Schneider, der vor 29 Jahren das Musical Theater als Phantom einweihte, wohnt als Zuhörer der Premiere bei. Ein Grund, um in ...
Florian Schneider, einst selbst Hauptdarsteller, zu Gast bei der Neuauflage
«Das Phantom der Oper» gastiert im Musical Theater Basel. Florian Schneider, der vor 29 Jahren das Musical Theater als Phantom einweihte, wohnt als Zuhörer der Premiere bei. Ein Grund, um in Erinnerungen zu schwelgen, aber auch, um sich für die Zukunft des gefährdeten Hauses zu engagieren.
Jürg Gohl
Tag der Premiere. Ständig klingelte am Donnerstag der vergangenen Woche Florian Schneiders Telefon. Es ist gerade 18 Uhr, und der Sänger befindet sich mit Begleitern auf dem Weg ins Musical Theater Basel. Dort wird in 90 Minuten die Premiere von «The Phantom of the Opera» beginnen. «Wir sind bald da», beschwichtigt er die Fernsehredaktorin am anderen Ende, «wir stecken hier im allabendlichen Stau.» Und er beeilt sich zu ergänzen, dass diese letzte Aussage nichts mit der bevorstehenden Abstimmung zu tun habe.
Als er wenig später den roten Teppich vor dem Musical Theater betritt, blitzen die Kameras. Hinter der Glastüre warten zwei Fernsehteams. Profimässig beantwortet er die Fragen der Journalisten zu seinen Erwartungen. Küsschen hier, Händeschütteln da. Ebenso, wie er das drei Stunden später in seiner Beurteilung des Gesehenen wieder tun wird.
Florian Schneider, der Sänger, Liederdichter und «Volksstimme»- Kolumnist aus dem beschaulichen Eptingen, ist heute mit seinen eigenen «Schangsongs und Geschichten» auf viel kleineren Bühnen unterwegs. Doch wo er auch hinkommt, wird er auf «damals» und seine Rolle als Phantom angesprochen. Sie stellte Weichen für seine künstlerische Laufbahn, und wenn das Phantom heute nach Basel zurückkehrt, erinnern sich alle an ihn.
29 Jahre später als Zuschauer
Beinahe drei Jahrzehnte sind verstrichen, seit das extra dafür gebaute Musical Theater im Kleinbasel mit «Phantom of the Opera» eröffnet wurde. Sogar Sir Andrew Lloyd Webber, der Produzent und Komponist des populärsten Musicals der Welt, wohnte dannzumal der Premiere bei. Wie gross die Euphorie damals war, lässt sich daran bemessen, dass sich das Stück in Basel ganze 22 Monate auf dem Spielplan behaupten konnte, obwohl die Stadt zuvor in der Musicalszene noch namenlos war.
Es soll damals Leute gegeben haben, die das Stück bis zu 20 Mal besuchten, erinnert sich das Phantom Nummer eins. Vorgesehen war ursprünglich sogar eine längere Laufzeit, aber es zeigte sich, dass das Wunschdenken war. Viel kürzer fällt der aktuelle Auftritt aus. Bis zu Weihnachten wird die 100-köpfige Company samt Ballett und Orchester in Basel Station machen, ehe sie weiterzieht: Es stehen bis zur Derniere am 22. Dezember noch 48 Aufführungen an.
Über 500 Mal stand Florian Schneider in Basel als «Phantom» auf der Bühne. Der damals 36-jährige Sänger aus dem Baselbiet hatte sich in den weltweiten Castings für die Erstbesetzung der Hauptrolle durchgesetzt. Zuvor war er jahrelang in Deutschland auf verschiedensten Bühnen in den Hauptrollen der Musicals «The Rocky Horror Show» und «Jesus Christ Superstar» zu hören, aber mit Webbers Phantom wurde sein Gesicht auch hier in der Schweiz bekannt – obwohl es durch die Phantommaske zur Hälfte verdeckt war.
Bekannte und neue Elemente
Um den maskierten Mann und die von ihm verehrte Opernsängerin Christine geht es in diesem Stück, das in der Pariser Oper spielt. Spuk-Geschichten inspirierten Gaston Leroux 1870 zu einem Dreigroschenroman, der wiederum Andrew Lloyd Webber als Quelle für sein Musical diente. Das Phantom, das seine entstellte Gesichtshälfte hinter einer Maske verbirgt, lässt wie vor 30 Jahren einen riesigen Kronleuchter auf das Publikum niedersausen und löst im Publikum einzelne Schreie des Schreckens aus.
Eric, wie es heisst, raubt der hochnäsigen, das Vibrato bewusst übertreibenden Sängerin Carlotta die Stimme. So kann die anfänglich scheue Christine die Hauptrolle erben. Wie er danach die Angebetete in sein Kellergewölbe holt und auf einem Boot – wir assoziieren den Hades – auffordert, noch lauter, noch höher zu singen, zählt zu den stärksten Szenen des Abends.
Kronleuchter, steile Treppen oder die Theaterkuppel erinnern an die Aufführung von 1995. «Aber», betont Florian Schneider, «es ist eine Neuinszenierung. Das Stück wurde ganz neu angelegt.» Deshalb möchte er auf die Frage der Fernsehleute, die beiden Aufführungen miteinander zu vergleichen, nicht gross eintreten und schon gar nicht benoten.
Erstes Wiedersehen
Florian Schneider ist nicht nur vom «Geniestreich des Komponisten» begeistert, sondern auch von den beiden Protagonisten. Nadim Naaman als Erbe seiner Rolle und Georgia Wilkinson als Christine überzeugen ihn als Charaktere. «Sie entwickelt sich im Stück vom Mädchen zur Frau, und er, der entstellte Mörder, schafft es, das Mitleid des Publikum zu gewinnen.»
Nur ein einziges Mal in der Vorbereitungszeit für das Basler Phantom sah sich Florian Schneider das Stück in London an, seither nicht mehr bis heute. «Aber die Musik bringt sofort Saiten in mir zum Schwingen», sagt er, «ich bin gerührt.» Bis das Phantom auf der Bühne erscheint, dirigiert er für sich die Musik mit. Los geht es mit den berühmten, wuchtigen Orgelklängen – eine fünfstufige Tonleiter runter und rauf.
«Bei diesen Klängen sass ich damals immer noch in der Garderobe und Adrenalin schoss durch meinen Körper», erinnert er sich, «und genau diese Gefühle durchfahren mich jetzt nach all den Jahren wieder. Doch der Abend heute bedeutet für mich auch irgendwie einen Schlusspunkt hinter meine Phantom-Geschichte.» Nur mit seiner Tochter wird er das Phantom in den nächsten Wochen noch ein zweites Mal besuchen.
Kampf um das Musical Theater
Derzeit ist die Zukunft des Musical Theaters Gegenstand einer grossen politischen Kontroverse. Die Basler Regierung möchte das Haus abreissen und durch ein Hallenbad mit einem Olympia-Schwimmbecken ersetzen – auch wenn der Platz dafür bei Weitem nicht ausreiche, wie Schneider sagt. Dieses Vorhaben wollen die Anhänger des Theaters aber unbedingt verhindern und lancierten erfolgreich eine Initiative zum Erhalt des Hauses. Nun wird im Frühling in Basel das Stimmvolk entscheiden.
Florian Schneider engagiert sich an vorderster Front für den Erhalt. «Das Haus ist ein Eckpfeiler der kulturellen Vielfalt in Basel, ein Leuchtturm mit Strahlkraft in die ganze Schweiz, auch wenn es von der Politik systematisch schlechtgeredet wird», enerviert sich der Oberbaselbieter Künstler und lässt einen Seitenhieb an die Adresse des Basler Stadtpräsidenten folgen, der sich wohl für den ESC in Basel starkmache, aber gleichzeitig das Musical Theater abreissen möchte. Dabei sei das Haus doch eben gerade als Alternative für jenes Publikum da, das sich mit den Stücken, die am Stadttheater gezeigt würden, nicht so recht identifizieren könne. «Schaue ich mich heute hier um, sehe ich viele Hundert begeisterte Gesichter!»
Er wirft der Basler Regierung nichts weniger vor, als dass sie bewusst mit Fehlinformationen und falschen Zahlen punkto Renovationsbedarf argumentiere. Bauexperten hätten kürzlich explizit bestätigt, dass sich das gefährdete Haus baulich in einem sehr guten Zustand befinde. «Warum also muss die Basler Politik unnötigerweise Sport gegen Kultur ausspielen?», fügt er an. «Es ist absolut klar, dass es für den Leistungssport diese Schwimmhalle braucht, aber keinesfalls auf Kosten der Populärkultur.» Im Gegensatz zur Hinfahrt bezieht er dieses Mal mit seiner Aussage bewusst Stellung zu einer bevorstehenden Abstimmung.