«Das Kind darf seine Angst malen»
30.08.2024 LausenRuth Sutter bietet eine kreative Therapieform an
Die Gegenwart ist turbulent. Die Kunsttherapeutin Ruth Sutter begleitet junge Menschen durch schwierige Lebensphasen, wobei auch sie immer dazulernt. Die Kinder seien ihre besten Lehrmeister, sagt sie.
Stefan ...
Ruth Sutter bietet eine kreative Therapieform an
Die Gegenwart ist turbulent. Die Kunsttherapeutin Ruth Sutter begleitet junge Menschen durch schwierige Lebensphasen, wobei auch sie immer dazulernt. Die Kinder seien ihre besten Lehrmeister, sagt sie.
Stefan Burkhart
Frau Sutter, die «Volksstimme» hat im Jahr 2005 schon einmal einen Beitrag über Sie als Kunsttherapeutin gebracht. Sie seien ein Naturkind, haben Sie damals gesagt …
Ruth Sutter: Das ist bis heute so geblieben. Manchmal begleite ich Kinder im Rahmen der Kunsttherapie in den nahen Wald. Wie schnell sie dort aufblühen! Den Waldboden unter den Füssen zu spüren und sich davon getragen zu fühlen, ist eigentlich so etwas Einfaches und doch eine sehr wertvolle Erfahrung. Kunsttherapie im Wald und drinnen im Mal-Atelier, das ist eine kreative Therapieform, die Kindern gerecht wird und ihnen erst noch Spass macht.
Welche Kinder und Jugendlichen kommen zu Ihnen in die Kunsttherapie?
Es sind Kinder, die sich in einer schwierigen Lebensphase befinden. Eine Scheidung, ein Todesfall oder andere tragische, traumatische Lebenserfahrungen können junge Menschen so sehr belasten, dass sie eine unterstützende Therapie benötigen. Junge Menschen, die unter Ängsten, Panik und sonstigen emotionalen Belastungen leiden, können von der Kunsttherapie profitieren. Und da sind noch die Eltern, die sich entlastet fühlen und mit eingebunden sind.
Wie kann man sich eine Kunsttherapie vorstellen?
Früher hiess es Maltherapie. Bilder sagen mehr als Worte, das Malen dient als Ausdrucksfeld. Das Ergründen der gemalten Bilder öffnet den Zugang zu sich selbst und zu blockierten Themenbereichen, die verarbeitet werden möchten. Dazu muss ich als Kunsttherapeutin auch psychologische Aspekte einbeziehen und Menschen in schwierigen Lebensabschnitten einfühlsam begleiten können. Die Ausbildung zur Kunsttherapie beinhaltet deshalb Aspekte wie medizinische Grundlagenkenntnisse, Psychosomatik, pädagogische Kenntnisse, Entwicklungsphasen des Kindes, Bildsprache und so weiter.
Was macht ein Kind während einer Therapiestunde?
Kommt zum Beispiel ein Kind mit Ängsten, ist es mein Ziel, es dabei zu unterstützen, seiner Angst sanft und in der Geborgenheit des Ateliers zu begegnen. Das Kind darf seine Angst malen und wir sprechen mit der Angst. Die Angst geht dann meist auf eine Abenteuerreise, um Mut und Vertrauen zu finden und stellt sich zum Beispiel einem wilden Drachen. So kann das Kind auf stellvertretender Ebene des Bild-Erlebens seine Ängste verarbeiten. Zudem erlernen die Kinder unterstützende Übungen zur Selbstregulation für den Alltag. Somit können sie erfahren, dass sie den Ängsten nicht ohnmächtig ausgeliefert sind. Das kann sich für ein Kind als sehr erlösend anfühlen.
Das erinnert an die gute alte Märchenstunde, wo man Kinder in eine Welt voller Symbole eintauchen liess.
Ja, einen mächtigen Drachen zu bezwingen ist schon eine Aktion, die stark im Innern bewegt, erlöst und stärkt, auch wenn es nur auf dem Papier geschieht.
Seit unserem ersten Beitrag 2005 hat eine digitale Revolution stattgefunden. Welche Veränderungen beobachten Sie?
Die digitale Welt prägt die Ausdrucksweise der Kinder sehr. Vorgefertigte Bilder wirken sich eher hemmend auf die Fantasie aus. Kinder benötigen innere Bilder aus ihrem eigenen Erleben. Bilder, die sie zum Beispiel aus einem Naturerlebnis mitbringen. Das fördert die Selbstwahrnehmung und auch das Selbstvertrauen. Schau, was ich selber gemalt habe!
Die digitale Welt scheint hektisch. Wie führen Sie Kinder in die Ruhe?
Das freudige Malen im Atelier bringt sie in den Moment des Tuns und Seins. Unruhige Kinderseelen können in den Therapiestunden auch in meinem Garten und im nahen Wald eine wunderbare Erfahrung machen. Bei sich sein, sich selber und die wohltuende Stille spüren, den Duft von Kräutern wahrnehmen. Solche Eindrücke ins Atelier zu bringen und zu malen, das ist Seelenbalsam.
Damals erzählten Sie, dass Ihnen ein Kind berichtete: «Ich hörte eine Tannennadel auf den Boden fallen …»
Genau, solche Erfahrungen brauchen die Kinder immer noch! Die Kinder erleben Geborgenheit, wenn sie sich von der Natur umarmen lassen. Kürzlich sagte mir ein Kind: «Ich habe noch nie so viel Ruhe gespürt.»
Man hat den Eindruck, die Welt sei aus den Fugen geraten. Krieg, Unsicherheiten und schwindende Familienstrukturen. Ist das Angstlevel generell gestiegen?
Ja, viele Kinder, die zu mir kommen, haben Ängste. Sie zu stärken, ist meine Aufgabe. Wie bedrohlich Kinder die Stimmung und Unsicherheiten wahrnehmen, zeigt sich oft in der Wahl der Farben und Symbolik. Da sind rauchende Vulkane, graue Unsicherheit, schwarze Angst und rote Wut.
Was hilft?
Die Frage: Wo in deinem Leben fühlst du dich geschützt und geborgen? Und schon entsteht ein Bild voller Leben und Hoffnung mit vielen leuchtenden und fröhlichen Farben.
Was ist die Quintessenz?
Mein Leitmotiv: Die Kinder sind meine besten Lehrmeister. Was Kinder in der Kunsttherapie mit Worten nicht aussprechen können, bringen sie in Bildern zum Ausdruck. Diese spezielle Sprache der Bilder zu ergründen, das haben mich die Kinder gelehrt.
In unserem ersten Beitrag erzählten Sie, dass der Oberbaselbieter Maler Walter E. Buess ihr Lehrmeister gewesen sei.
Ja, was das Handwerk der Ölmalerei betrifft. Das lebe ich immer noch in Malkursen für Erwachsene aus.
Können auch Erwachsene in die Kunsttherapie kommen?
Selbstverständlich!
Zur Person
stb. Ruth Sutter wurde 1962 geboren. Sie wuchs in Lausen auf, wo sie noch heute wohnt und arbeitet. 2002 gründete sie das Malatelier Papillon, wo sie zu Beginn vor allem Malkurse für Erwachsene anbot. Immer mehr spezialisierte sie sich auf Kinder und Jugendliche. Im Jahr 2008 startete sie ihre Laufbahn als Kunsttherapeutin. Nach einigen Jahren Praxis besuchte sie die weiterführende Ausbildung und erlangte mit der höheren Fachprüfung das eidgenössische Berufsdiplom als Kunsttherapeutin mit Fachrichtung Malen und Gestalten.
«Laufende Weiterbildungen bereichern meine Arbeit und sind mir sehr wichtig», sagt sie. Die Kunsttherapie bei Ruth Sutter ist von den meisten Krankenkassen-Zusatzversicherungen anerkannt. Ruth Sutter beschreibt ihren Ansatz so: «Malen ist eine Sprache aus dem Herzen, mit der Kinder und Erwachsene ihre Erfahrungen zum Ausdruck und in die Verarbeitung bringen können.»