«Das hat alles einen Wert»
25.04.2025 LausenEigentümer sehen in früherer Papiermühle ein Kulturdenkmal
Erwin C. Christen lebt mit seiner Ehefrau und seiner Tochter auf dem Areal der ehemaligen Papiermühle Lausen in einem Gebäude, das voll ist von der Geschichte seiner Familie. Die drei setzen sich ...
Eigentümer sehen in früherer Papiermühle ein Kulturdenkmal
Erwin C. Christen lebt mit seiner Ehefrau und seiner Tochter auf dem Areal der ehemaligen Papiermühle Lausen in einem Gebäude, das voll ist von der Geschichte seiner Familie. Die drei setzen sich dafür ein, dass diese Geschichte erforscht wird und erhalten bleibt.
Marianne Ingold
Von Bäumen halb verborgen steht an der Unterdorfstrasse in Lausen ein grosses altes Gebäude: Es handelt sich um das zur früheren Papiermühle gehörende Wohnhaus der Besitzerfamilie. Tritt man von der Strasse her durch das dunkelgrüne Tor, eröffnet sich ein faszinierender Blick auf das Leben an diesem geschichtsträchtigen Ort.
Vor und unter dem Wohnhaus hindurch fliesst der Gewerbekanal, der früher mit Wasser aus der Ergolz Wasserräder und Turbinen für die Papierund Kartonproduktion antrieb. Dieser Kanal könnte, so die Vermutung der Eigentümer, bereits von den Römern als Teil der Wasserversorgung für Augusta Raurica gegraben worden sein. An Haus und Kanal vorbei führt die frühere Hauptstrasse, die als eine der Verbindungsachsen zum Hauenstein mitten durch das Papiermühle-Areal verlief und vermutlich ebenfalls auf die Römerzeit zurückgeht.
Der englische Garten mit alten Bäumen, geschwungenen Wegen, einem kleinen Teich und einem romantischen Pavillon war stark zugewachsen, als die Familie Christen-Schenkenberger vor drei Jahren einzog. Erwin C. Christens Eltern wurden beide über 90 Jahre alt und lebten bis zu ihrem Tod in der Papiermühle. Früher sei im Garten auch Gemüse angebaut worden, um die etwa 20 Personen, die auf dem Areal lebten, zu verpflegen, erinnert sich der 73-jährige Erwin Christen.
An der Rückseite des Gartens befindet sich ein Gebäude, dessen Baujahr die Archäologie Baselland auf ein ganzes Jahrhundert früher festlegen konnte als ursprünglich angenommen: auf 1720. In einem Anbau befanden sich eine Schmiede, wo die einst zahlreich vorhandenen Pferde beschlagen wurden, und eine Schreinerei.
Dahinter liegt der Weiher, der als Rückhaltebecken für den Kanal diente und eine kontinuierliche Wasserversorgung sicherstellte. In einem früheren Produktionsgebäude stehen noch alte Maschinen. Sie wurden zuerst durch Wasserräder, später durch Turbinen angetrieben. Die erste Turbine installierte Erwin C. Christens Urgrossvater, der Ingenieur Erwin Christen-Spinnler. Damit konnte der zunehmende Energiebedarf der Papiermühle aber auch nicht gedeckt werden. So wurde Urgrossvater Christen zu einem der Gründer der Elektra Baselland. Zum Schluss «verschlang» die Papiermühle 1000 Liter Wasser pro Sekunde und 90 000 Liter Schweröl pro Jahr.
1983 entschied sich Erwin Christens Vater, nicht zuletzt aus Altersgründen, die Kartonfabrik zu schliessen. Die Rahmenbedingungen für einen Standort in Lausen waren damals nicht mehr gegeben. Es gab zwar Pläne für eine neue Fabrik, die einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet hätte. Aufgrund hoher Energiekosten wäre ein rentabler Betrieb aber unrealistisch gewesen. Auch das Problem mit von Chemikalien belastetem Abwasser hätte gelöst werden müssen.
Umgeben von Geschichten
Im Wohnhaus, das im Lauf der Jahrhunderte mehrfach umgebaut und erweitert wurde, erzählt jeder Raum und jedes Objekt eine Geschichte. Zu den ältesten Gebäudeteilen gehört ein Balken in Form einer Meerjungfrau aus dem frühen 17. Jahrhundert. Im Archivzimmer liegt ein grosser Holzstempel mit dem Wasserzeichen der Papiermühle Lausen. Eine alte Papierpresse dient als Bücherregal. An den Wänden hängen Karten und ein Relief von Geometer Jakob Christen, dessen 200. Geburtstag später in diesem Jahr gefeiert wird. Fensterbilder aus Bleiglas, ein Napoleon gewidmetes Zimmerchen, Porträts, Fotografien und ein Raum, der vor etwa 100 Jahren zur Verlobung einer von Erwin Christens Grossmütter extra neu eingerichtet wurde, dokumentieren die Verbindungen der Familie Christen in der Region (unter anderem zur Druckerfamilie Lüdin) und weit übers Baselbiet hinaus.
Zu Erwin C. Christens Vorfahren und deren Verwandten gehörten Vögte, Geometer, Ingenieure, Regierungsräte, Offiziere, Unternehmer und Verwaltungsräte (oft in Personalunion), aber auch die Volksmusik-Sammlerin Hanny Christen. Heimatort der weit verzweigten Familie Christen ist seit 1520 Itingen. Christens Mutter stammte von einem grossen Gutsbetrieb in Schweden und führte später in der Papiermühle die Buchhaltung.
Zusammen mit zwei jüngeren Geschwistern wuchs Erwin Christen in der Papiermühle auf. Sein Status als Sohn des Fabrikbesitzers schützte ihn nicht vor einem brutalen Primarlehrer, der ihn regelmässig schlug. Er musste auch in der Kartonfabrik mithelfen: Sonntags war er für das Ölen der Maschinen zuständig, und die getrockneten Kartonbögen mussten abgehängt werden. Auch während seines Rechtsund Ökonomiestudiums arbeitete er noch im Familienunternehmen mit, dann führte ihn seine Karriere beim Schweizerischen Bankverein und der UBS nach London, Luxemburg und Stuttgart, wo er lange die UBS-Niederlassung leitete.
Von Antikem begeistert
In Stuttgart lernte Erwin Christen auch seine heutige Ehefrau kennen – sinnigerweise beim Stöbern auf einem Antiquitäten-Flohmarkt. Die gelernte Bauzeichnerin und studierte Archäologin, Kunst- und Kulturwissenschaftlerin Katja Schenkenberger arbeitete in einem Auktionshaus, bei der Fernsehsendung «Kunst und Krempel» und als Leiterin und Kuratorin eines Museums.
Von Kunst- und Kulturgeschichte begeistert sind nicht nur die Eltern, sondern mittlerweile auch die gemeinsame Tochter Ursula. Die sportliche 15-Jährige sagt: «Wer mit so kulturinteressierten Eltern aufwächst wie ich, wird selber auch fasziniert. Meine Freundinnen fahren in den Ferien an den Strand und ich gehe in Museen – dort ist gar nicht alles langweilig.»
Familienleben und Privatsphäre haben für die Christen-Schenkenbergers einen hohen Stellenwert. Am Nachmittag gibt es Kaffee und Kuchen und abgewaschen wird von Hand. Das meiste Geschirr dürfe sowieso nicht in den Geschirrspüler, scherzt Tochter Ursula. Man ist sich der eigenen Tradition und Herkunft bewusst, packt aber auch selber an. So haben sich Mutter und Tochter vorgenommen, den historischen Garten wieder auf Vordermann zu bringen. Der Hausherr kümmert sich derweil darum, dass notwendige Reparaturen an Gebäuden und Kanal ausgeführt werden. Den Leuten, die finden, man sollte das alles doch abreissen, möchte die Familie aufzeigen: «Das hat alles einen Wert.»
Seit etwa zwei Jahren untersucht die Bauforschung der Archäologie Baselland das Papiermühle-Areal mit verschiedenen Methoden: Im Wohnhaus beispielsweise wurde jeder Raum mit 3D-Scannern vermessen, es wurden Pläne gezeichnet und Dachbalken auf ihr Alter untersucht. Das Areal der ehemaligen Papiermühle wird wohl weitgehend erhalten bleiben, da es als schützenswertes Objekt von nationaler Bedeutung inventarisiert ist. Erste Gebäude im ehemaligen Fabrikbereich sind bereits fertig untersucht, zu Wohnraum umgenutzt und bezogen worden.
Die frühere Idee, in der Papiermühle ein Museum einzurichten, findet Katja Schenkenberger als ehemalige Museumsleiterin zwar reizvoll, aber wenig realistisch. Die Familie kann sich jedoch vorstellen, die Geschichte in Vorträgen, einer Ausstellung oder einer Infotafel zu bewahren. Auch für Publikationen bieten die Ergebnisse der bauhistorischen Untersuchungen und das Firmen- und Familienarchiv noch viel Stoff.