CEO Laesser: «Jetzt ist nicht die Zeit zum Ausruhen»
24.05.2024 SissachDie R&S Group mit Rauscher & Stoecklin hat nach dem Börsengang grosse Pläne für die Zukunft
Mit ihrem Börsengang im Dezember hat die Sissacher R&S Group die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft geschaffen. Darin wird der Standort Sissach eine wesentliche Rolle spielen, wie CEO Markus Laesser versichert.
Raymond Martin
Die Sissacher R&S Group Holding AG blickt auf bewegte Monate zurück. Kurz vor dem Jahreswechsel hat sie ihre Aktien erfolgreich an der Schweizer Börse kotiert. Mit einem Eröffnungskurs von 10.30 Franken pro Aktie erreichte die Marktkapitalisierung der R&S Group 267 Millionen Franken. Vom Entscheid bis zur erfolgreichen Kotierung dauerte es lediglich sechs Wochen.
Im April legte die Gruppe mit 600 Mitarbeitenden, davon 100 in Sissach, mit dem Jahresabschluss Rechenschaft über das bewegte Jahr 2023 ab. Die Gruppe erzielte ein Rekordbetriebsergebnis: Der Gewinn vor Zinsen und Steuern betrug bei einem Umsatz von 217 Millionen Franken 37,5 Millionen – viermal mehr als im Vorjahr. Mit einer soliden Cashflow-Performance, einer starken Eigenkapitalbasis und 53 Millionen Franken an liquiden Mitteln verfügt die R&S Gruppe über ein solides finanzielles Fundament für zukünftiges profitables Wachstum. Für die kommenden Jahre wurden ambitiöse Wachstumsziele über die nächsten Jahre kommuniziert.
Markus Laesser, CEO der R&S Group, ist gemeinsam mit dem Finanzchef Matthias Weibel für die operative Umsetzung der Vorgaben des Verwaltungsrats der R&S Group verantwortlich. Im Gespräch mit der «Volksstimme» hält Laesser als Erstes fest, dass zwar wichtige Meilensteine erfolgreich gemeistert worden seien, es jetzt aber nicht die Zeit zum Ausruhen sei. Vielmehr gelte es nun, die guten Voraussetzungen zu nutzen und mit Freude und Elan unermüdlich an der Umsetzung der Strategie zu arbeiten. Durch die Vorbereitungen für den Börsengang kenne man das Unternehmen besser als je zuvor und sei für eine erfolgreiche Zukunft gewappnet.
Mauern eingerissen
Die R&S Group besteht aus Rauscher & Stoecklin in der Schweiz, Tesar in Italien und ZREW in Polen, die wiederum verschiedene Tochtergesellschaften unterhalten. Die einzelnen Firmen werden von der R&S Group direkt oder indirekt zu 100 Prozent kontrolliert, operieren jedoch als unabhängige Einheiten unter ihrem jeweiligen Namen. Die Geschäftsführer von Rauscher & Stoecklin, Tesar und ZREW sowie weitere Funktionen sind Teil eines Gruppenmanagement-Teams, das von Markus Laesser und dem Finanzchef Matthias Weibel geführt wird.
In diesem Team prallen unterschiedliche Kulturen, Sprachen und Auffassungen aufeinander. Diese Vielfalt zu vereinen und sogar Nutzen daraus zu ziehen bedeute kontinuierliche Arbeit, sagt der CEO. In jedem Team-Meeting werde über Leadership und die Bedeutung des Teams geredet. Um die Gruppe fester zusammenzuschweissen werde auch externe Hilfe in Anspruch genommen. So seien Mauern, die zwischen den Einheiten existiert hätten, niedergerissen worden. Laesser: «Heute reden alle miteinander, tauschen sich wie selbstverständlich aus, suchen gemeinsam nach Lösungen. Das wäre noch vor zweieinhalb Jahren undenkbar gewesen. Damals dachte jeder für sich selbst, heute denkt und funktioniert die Gruppe als Team.»
Keine Angst vor Grossprojekten
Das Hauptgeschäft der Gruppe sind Transformatoren mit einer führenden Position bei kleinen und mittleren Leistungs- und Verteiltransformatoren in ausgewählten Märkten in Europa und dem Nahen Osten. Die Geschäftsfelder der sechs Produktions-, Montage- und Testanlagen in der Schweiz, Italien, Polen und den Vereinigten Arabischen Emiraten ergänzen sich weitgehend.
Wie diese Synergien aussehen können, beschreibt Markus Laesser anhand eines attraktiven Auftrags, den sein Unternehmen dank eines Referenzprojekts in Singapur, der Elektrifizierung der U-Bahn, an Land ziehen konnte. Aufgrund dessen habe ein anderer asiatischer Staat sein Interesse an den Diensten der R&S Group bekundet. «Früher hätte man abgewunken und gesagt, die Herausforderung sei zu gross», so Laesser. Heute verfüge die R&S Group für potenzielle Grossprojekte ein Risk Board, das Machbarkeit, benötigte Technologie, kommerzielle Aspekte, Lieferfähigkeit, Markt und Risiken prüfe. Die R&S Group habe knappe Ressourcen, grosse Projekte würden jedoch viele Ressourcen binden. Also müsse man exakt wissen, worauf man sich einlasse.
In diesem Fall sei entschieden worden, mitzubieten. Entscheidend für den Zuschlag seien Qualität, Zuverlässigkeit und Engineering gewesen, sagt Laesser. Dafür sei der Kunde bereit gewesen, einen höheren Preis zu bezahlen als bei der Konkurrenz. Die erste Phase inklusive Engineering fand in Sissach statt. In Polen werden die Komponenten, sehr grosse Trafos, montiert, weil dafür im Produktionsgebäude in Sissach der Platz dazu fehlt und die Tragfähigkeit des Bodens nicht ausreicht. Von Polen aus erfolgt die Auslieferung nach Asien. Für Markus Laesser ist dieses Projekt ein Erfolgserlebnis. Es zeige, dass gemeinsam Projekte gestemmt werden können, die früher allein nicht machbar gewesen seien.
Stärke durch Spezialisierung
International ist die R&S Group ein kleinerer Mitbewerber. Dennoch vermag sie sich gegen teilweise viel grössere Konkurrenten durchzusetzen – dies nicht zuletzt dank ihrer Spezialisierung. Die R&S Group ist in ausgewählten Märkten im untersten Bereich von Hochspannung und Ultra-Hochspannung positioniert. In diesem Bereich treffe sie weniger auf globale Konkurrenz wie zum Beispiel Hitachi Energy, die mehrheitlich im High-Power- und Ultra-High-Power-Bereich tätig ist, erklärt Gruppen-CEO Laesser. Mit ihren Distributionstrafos sei die R&S Group im Bereich Niederspannung und Mittelspannung präsent. Bei der Mittelspannung sei die Konkurrenz grösser.
Die R&S Group stehe für Qualität, Zuverlässigkeit und Engineering-Kompetenz, betont Laesser. Doch stelle sich der Erfolg damit nicht von alleine ein. Dafür brauche es Biss, man müsse hungrig sein, wach bleiben, nie nachlässig werden, den Kunden und sein Problem verstehen, Lösungen für sein Problem anbieten. Jedes potenzielle Projekt muss ein Assessment durchlaufen.
Der Geschäftsführer verweist zudem auf die wichtige Rolle des Verwaltungsrats, in dem viel Kompetenz und Erfahrung sitze. Er schätze den regen Austausch mit dessen Mitgliedern, was zur raschen Entscheidungsfindung beitrage. Als Beispiel nennt er den Entscheid für das neue Produktionswerk in Polen, der innerhalb von nur drei Monaten gefallen sei.
Wachstumsmarkt als Erfolgsfaktor
Markus Laesser ist zuversichtlich, dass sich seine Gruppe positiv weiterentwickeln wird, da sie sich in einem Wachstumsmarkt bewege. Dafür, dass dies so bleibt, sprechen folgende Trends:
Die Stromerzeugung verlagert sich von zentralen, mit fossilen Brennstoffen betriebenen Kraftwerken hin zu dezentralen Netzen, die auf erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne basieren. Es wird erwartet, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am weltweiten Stromerzeugungsmix von heute 25 Prozent bis 2050 auf bis zu 80 Prozent ansteigen wird. Veraltete Netze müssen modernisiert und an das Wachstum der erneuerbaren Energien angepasst werden. Etwa 50 Prozent des Stromnetzes in EU-Staaten werden bis 2030 über 40 Jahre alt sein. Der voranschreitende generelle Trend der Urbanisierung sorgt für einen gesteigerten Energiebedarf. Es wird davon ausgegangen, dass der weltweite Strombedarf bis 2050 um 80 bis 150 Prozent steigen wird. «All diese Entwicklungen erfordern energieeffiziente Transformatoren, die den Strom mit möglichst geringen Verlusten von der Stromquelle zum Endverbraucher transportieren», sagt Laesser. Als führender Hersteller und Anbieter von elektrischen Infrastrukturprodukten decke sein Unternehmen die aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse seiner Kunden ab.
Neue Märkte erschliessen
Die Hauptmärkte der Gruppe konzentrieren sich derzeit auf die Schweiz, Italien, Polen und den Nahen Osten. Die regionale Verteilung der Verkäufe zeigt sich wie folgt: Westeuropa mit 54 Prozent, Osteuropa (35 Prozent), Asien (10 Prozent), der Rest mit 1 Prozent. Neue Märkte sollen erschlossen werden, vor allem in Deutschland sowie den skandinavischen Ländern und dem Baltikum. Zur Erweiterung der Wachstumskapazitäten wird im Verlauf dieses Jahres in Polen eine zusätzliche neue Produktionsstätte eröffnet.
Die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Wachstum seien sehr gut, so der Geschäftsführer. Es wäre jedoch verheerend, sich auf den Lorbeeren auszuruhen, warnt Markus Laesser. Er fordert viel von sich selbst und seinem Team. Es gelte jeden Tag aufs Neue: «Nicht müde werden, nicht nachlassen, proaktiv in den Markt gehen, Möglichkeiten ausloten, einschätzen und aktiv angehen.»
Mitsprache und Kommunikation
Der CEO will in der R&S Group eine Kultur schaffen, in der die Mitarbeitenden befähigt werden, innerhalb einer Entscheidungsmatrix selbstständig zu handeln. In Polen, Italien und Sissach werden den Mitarbeitenden Freiheiten gewährt, ihr Wissen und ihre Meinung würden eingeholt. Ein solcher Austausch, der zum gemeinsamen Erfolg führe, wirke motivierend, ist Laesser überzeugt: «Je intensiver Mitarbeitende diese Führungskultur erleben und leben, desto stärker entwickelten sie sich. Dabei müssten sie spüren, dass sie das Vertrauen der Führung geniessen.» Und: «Die Geschäftsleitung muss ein Vorbild sein und das Gesagte auch selbst leben, um die Glaubwürdigkeit zu wahren.»
Für eine Firmengruppe mit Standorten in mehreren Ländern ist die Kommunikation wichtig. Die R&S Gruppe bedient dafür unterschiedliche Kanäle: Ein CEO-Letter informiert jedes Quartal über Wichtiges, es finden regelmässige Townhall Meetings mit Simultanübersetzung statt, es gibt Zusammenzüge von Mitarbeitenden im Arbeitsalltag. Um direktes Feedback darüber zu erhalten, ob die Kommunikation angekommen und verstanden wird, sei es wichtig, regelmässig in die Fabrik zu den Mitarbeitenden zu gehen und mit ihnen zu sprechen.
In den Händen von Investoren
Die R&S Gruppe redet von einer stabilen Aktionärsbasis. Ein Grossteil der Aktien liegt in den Händen von Investment-Gesellschaften und Investment Fonds. Der frei an der Börse handelbare Anteil der Aktien konnte seit Ende 2023 von 50,5 auf 57 Prozent erhöht werden. Letzterer soll stetig wachsen.
Aus dem Geschäftsbericht geht hervor, dass die Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung mit Aktien an der R&S Group beteiligt sind, teilweise mit bedeutenden Positionen. Damit partizipieren sie nicht nur am zukünftigen Erfolg mit einer Wertsteigerung ihrer Aktien, sondern auch an einem eventuellen Misserfolg. Auch Markus Laesser hat Anteile erworben. Er betont, dass ihm die Aktien nicht geschenkt worden seien, sondern es sich um eine persönliche Investition mit privatem Geld handle.
Er sei überzeugt von der erfolgreichen Zukunft des Unternehmens.
Sissach ist und bleibt wichtig
Mit der Kotierung der R&S Group in der Schweiz wurde die Wichtigkeit des Standorts Schweiz und damit der Standort Sissach bekräftigt. Rauscher & Stoecklin gehört seit über 100 Jahren zu Sissach. Wer die Situation in Sissach kennt, weiss, dass eine Expansion am derzeitigen Standort kaum möglich ist. Das gilt vor allem für die Produktion. Die Betriebsgebäude sind auf drei Seiten umschlossen von Wohngebiet und auf der vierten stossen sie an die Bahngleise und den Bahnhof. «Hat so ein Standort eine Zukunft?», fragen wir Markus Laesser. Seine Antwort ist deutlich. «Auch wenn die R&S Group heute ein internationales Unternehmen ist, so ist sie mit Rauscher & Stoecklin AG doch tief verwurzelt in Sissach.» Mit 60 Prozent Marktanteil in der Schweiz und massgeschneiderten Lösungen für zahlreiche langjährige Kunden sei der Standort Sissach immer wichtig gewesen, und er werde es auch in Zukunft sein.
So sei kürzlich eine bedeutende Investition in zwei neue Maschinen in Sissach getätigt worden, die nächstens angeliefert würden. Für eine dritte Schicht zur Befriedigung der erhöhten Nachfrage aus Sissach wurden und werden Mitarbeitende eingestellt. Ausserdem baue die R&S Group derzeit ein «Engineering Center of Competence» auf, das die Engineering- und Innovationsbereiche der einzelnen Gruppeneinheiten bündelt. Dieses Kompetenzzentrum wird ebenfalls von Sissach aus wachsen.
Es wird also Personal gesucht. Der unter anderem in technischen Berufen herrschende Fachkräftemangel ist auch für den Trafo-Hersteller eine Realität. Markus Laessers Priorität ist es zunächst, zu verhindern, dass Mitarbeitende das Unternehmen verlassen. Es werde dafür viel in das Arbeitsumfeld und die Arbeitsatmosphäre investiert, sei es durch das Teilen von Erfolgsgeschichten oder gemeinsame Feste. Und: «Jede Fachkraft soll das Gefühl haben, wichtig zu sein, sich weiterentwickeln zu können und Unterstützung zu erhalten.»
Neu wird die Beteiligung am Erfolg durch Aktien an Mitarbeitende sein. Jeder einzelne Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin soll Aktien geschenkt bekommen. Durch diese Beteiligung am Unternehmen und am Erfolg soll das Gemeinschaftsgefühl und die Zugehörigkeit gestärkt werden, ebenso wie die Loyalität gegenüber der Firma.
Für die R&S Group als Arbeitgeber sprechen laut Laesser weitere Gründe. Mitarbeitende hätten Entwicklungsmöglichkeiten: «Sie sollen innerhalb des Unternehmens wachsen können», sagt er. Das Prinzip «Fördern und Fordern» werde in der Gruppe gelegt. Fach- oder Führungskräfte hätten die Möglichkeit, neue Rollen und Funktionen zu übernehmen. Für Personen, die geografisch mobil sind, können Nachfolgematrizen interessant sein: Für jede entscheidende Position benötigt das Unternehmen ein Back-up. So sind Mitarbeitende aus Polen in der Schweiz beschäftigt, oder solche aus der Schweiz beispielsweise in Italien, um gegenseitig Vakanzen zu besetzen.
Für Mitarbeitende, die eine Karriere innerhalb der R&S Group anstreben, steht ein individueller Entwicklungsplan zur Verfügung. Markus Laesser versichert, dass Angestellte der R&S Gruppe, die sich entwickeln möchten, darin unterstützt werden, und Auszubildenden werde eine gute Betreuung während der Ausbildungszeit zuteil. Wichtig und attraktiv seien ferner Entscheidungskompetenz auf Mitarbeiter- und Teamleiterebene, eine gelebte Fehlerkultur und natürlich eine marktkonforme Bezahlung. Schliesslich profitiere der Standort Sissach von einer exzellenten Anbindung an den öffentlichen Verkehr.
Freude und Elan
Nach dem Gespräch mit Markus Laesser folgte ein Rundgang durch die Produktion mit dem Produktionsleiter François Dehlas. Der Rundgang vermittelte eindrucksvoll den Prozess der Entstehung eines Transformators und die hohe Fertigungstiefe bei Rauscher & Stoecklin in Sissach.
Rauscher & Stoecklin ist eine inzwischen 105-jährige Erfolgsgeschichte. Die Voraussetzungen, dass dies so bleibt, sind sehr gut. Um es mit den Worten von Markus Laesser zu sagen: «Es gilt nun, die guten Voraussetzungen zu nutzen und mit Freude und Elan unermüdlich an der Umsetzung der Strategie zu arbeiten.»