Bikini und die Atombombe
31.07.2025 SissachUnterwegs im Nordpazifik, Teil 7: Kwajalein (1)
Wir sind zwischen Guam und Hawaii unterwegs und befassen uns heute mit dem Bikini-Atoll. Nirgends haben die Amerikaner ihre Atombomben lieber getestet. Dass es dort Einheimische gab, war nur ein kleines Hindernis.
Hanspeter ...
Unterwegs im Nordpazifik, Teil 7: Kwajalein (1)
Wir sind zwischen Guam und Hawaii unterwegs und befassen uns heute mit dem Bikini-Atoll. Nirgends haben die Amerikaner ihre Atombomben lieber getestet. Dass es dort Einheimische gab, war nur ein kleines Hindernis.
Hanspeter Gsell
1954 veröffentlichte Caterina Valente ein Lied mit dem Titel «Itsy Bitsy Teenie Weenie Honolulu Strand Bikini».
Es hat nichts, aber auch gar nichts, mit unserem Bikini zu tun. Die «Republik Marshallinseln» gehört geografisch zu Mikronesien. Sie besteht aus zwei Inselketten, der Ratak-Kette (Sonnenaufgangsinseln) und der Ralik-Kette (Sonnenuntergangsinseln) mit insgesamt 29 Atollen. Eines davon wurde berühmt: das Bikini-Atoll.
Dieses Eiland suchten sich die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg aus, um ihre bisher nur rudimentären Kenntnisse über die Technik des Atombombenabwurfs zu verbessern. Bevor mir nun jemand eine antiamerikanische Haltung unterstellen kann, sei Folgendes angemerkt: Ich weiss, dass auch ein gewisser Herr Hitler kurz vor der Erfindung der Atombombe stand. Und über dessen Einsatzdoktrin möchten wir ganz und gar nicht spekulieren.
Schweizer Atombomben?
Auch dies sei wieder einmal gesagt – sogar schweizerische Generalstabsoffiziere liebäugelten während des Zweiten Weltkriegs mit der Atombombe.
Die zweifelhafte Ehre jedoch, dieses Unding erfunden zu haben, gebührt eindeutig den Amerikanern. Bevor sie Hiroshima und Nagasaki in Schutt und Asche legten, konnten sie die Bombe nur ein einziges Mal selbst ausprobieren.
Zwar war der Zweite Weltkrieg zu Ende und man hätte die ganze Atombombenindustrie wieder einmotten können. Aber da standen auch schon die bösen Russen mit ihrem Kalten Krieg an der Grenze.
Ganz zu schweigen von «Supermächten» wie Kuba, Korea und Vietnam. Also wurde kräftig weiter geforscht, getestet und gebombt. Mal in Nevada – in Sichtweite der Casinos von Las Vegas – mal in New Mexiko oder Mississippi. Zwischendurch auch in Alaska.
Insgesamt haben allein die Amerikaner mehr als tausend Atombomben getestet. Sie warfen die Dinger in der Nähe von San Diego in den Pazifik und schmissen zwischendurch die Christmas-Inseln und das Johnston-Atoll zu. Am liebsten aber taten sie es auf dem Bikini-Atoll.
Die Bombenwerfer
Selbstverständlich waren auch die Bombenleger anderer Nationen nicht untätig gewesen. Die Briten übten den atomaren Winter ebenfalls auf den Christmas-Inseln, zwischendurch auf dem australischen Festland und auf den zu Australien gehörenden Montebello-Inseln. Die Franzosen beübten zuerst die algerische Wüste und später das Mururoa-Atoll in Polynesien.
Der guten Ordnung halber sei angemerkt, dass seither auch Länder wie die Sowjetunion, China, Indien, Pakistan, Südafrika, Israel und Nordkorea Atombomben getestet haben. Niemand aber tat es gründlicher als die Amerikaner auf dem Bikini-Atoll.
Sie hatten die Inseln im Krieg den Japanern abgenommen und etwas später von der UNO den Auftrag erhalten, diese zu «verwalten». Was man wortwörtlich verstand und fortan waltete und schaltete, wie immer man wollte.
Als Harry S. Truman nach Kriegsende das Bedürfnis hatte, die Wirkung von Atombomben auf Schiffe zu testen, wurde Bikini zum neuen Testareal ausgewählt. Es war schön weit weg von Amerika, auch sonst war niemand in der Nähe, der etwas dagegen haben konnte. Abgesehen von ein paar Einheimischen. Die jedoch konnte man locker verwalten. Zitat Henry Kissinger: «Ganze 90 000 Leute leben da draussen. Wer schert sich schon darum?»
Im Februar 1946 reiste der zuständige Verwalter nach Bikini und liess die Einwohner nach dem Kirchgang auf dem Dorfplatz versammeln.
Zum Wohle der Menschheit
Ben Wyatt war ein begnadeter Redner, Missionar und Eiferer. Er sprach vom göttlichen Land Amerika, von dessen Verdiensten um den Weltfrieden und davon, wie heroisch sie das Bikini-Atoll von den Japanern «befreit» hätten.
Ben Wyatt fragte sie, ob sie willens seien, ihre Insel «zum Wohle der Menschheit und für den ewigen Frieden» mal eben kurz zu verlassen. Sie – die Bikis – seien so etwas wie das «auserwählte Volk Gottes». Wenn nicht, dann habe doch immerhin die amerikanische Armee ihre Insel auserwählt.
Ich denke nicht, dass die Menschen auf Bikini die ganzen Zusammenhänge wirklich verstanden haben. Ich tue dies bis heute nicht. Doch nach einer Weile erhob sich der Chief, er hiess interessanterweise Judas, und sprach: «Wir vertrauen ihnen und legen unser Schicksal in Gottes Hände.»
An diesen wenigen Worten erkennen wir die schädliche Einflussnahme der Missionare auf diese Menschen. Hätten sie anstelle des göttlichen den gesunden Menschenverstand eingesetzt, wäre die Geschichte womöglich anders verlaufen. So aber hatten sie sich mit Haut und Haaren verkauft.
Kaum hatte sich Chief Judas wieder hingesetzt, dampfte eine riesige Armada an. 5400 Ratten sowie Gänse und Schweine wurden als Versuchskaninchen angekarrt. Insgesamt 42 000 militärische und zivile Personen waren an den Tests auf dem Bikini-Atoll beteiligt.
Rongerik
Wohin aber mit unsern 167 Ureinwohnern? Man brachte sie mit Landungsbooten zum 200 Kilometer östlich gelegenen Rongerik-Atoll. Dieses war zwar nur ein Sechstel so gross wie Bikini, hatte jedoch immerhin Wasser und ein paar Palmen und war unbewohnt. Unbewohnt war es allerdings deshalb, weil es zu klein war, zu wenig Wasser und Palmen hatte und von Geistern bewohnt wurde.
Die Amerikaner bauten den Menschen ein paar Hüttchen und überliessen ihnen einen Lebensmittelvorrat für ein paar Wochen. Dieser aber war bald einmal aufgebraucht und die Menschen begannen, Hunger zu leiden.
Und so brachten die Amerikaner immer wieder mal einen Container voll mit Büchsenfleisch, Büchsensardinen, Büchsenbier und anderen vortrefflichen Delikatessen aus heimischen Landen auf die abgelegene Insel. Genau hier ist nun der Zeitpunkt, kurz den UNO-Vertrag zu konsultieren: Dort steht, dass die Amerikaner sich verpflichten, die Einheimischen gegen den Verlust von Land und Ressourcen zu schützen und – mit ihnen zusammen – eine unabhängige wirtschaftliche Selbstversorgung zu schaffen.
Die Feuersbrunst von Rongerik
Wenn Sie jetzt genug gelacht haben, springen wir gleich zur nächsten Katastrophe: Im Mai 1947 vernichtete ein grosses Feuer die Kokosplantage auf Rongerik. Als im Herbst ein amerikanischer Reporter von den unhaltbaren Zuständen berichtete, musste die Armee handeln und man beschloss, die Menschen erneut umzusiedeln. Frohgemut wurde auf dem Ujelang-Atoll ein neuer Club Med errichtet.
Kurz bevor die Heimatlosen aus Bikini einziehen konnten, kam das Nein der Generäle. Die hatten soeben beschlossen, auch noch ein paar andere Atolle zu verwüsten und brauchten die neue Hotelanlage in Ujelang für die Umsiedler aus Enewetak. Als neues Zwischenlager stellten die Amerikaner ihren Flugplatz in Kwajalein zur Verfügung. Da hatte es neben den Pisten genügend Platz für eine kleine Zeltstadt.
Anstatt sich jetzt endlich zufriedenzugeben «und das Pfadfinderleben zu geniessen» (Silvio Berlusconi, italienischer Ministerpräsident, nach dem verheerenden Erdbeben in L’Aquila 2009) begannen die Aussiedler, umgehend wieder zu meckern. Eine eigene Insel wollten sie haben! Und dabei dachten sie in keinem Fall nur an eine Kochinsel für die Gattin!
Wer allerdings will nicht auch eine eigene Insel! So verursachte dieser Wunsch einiges an Kopfzerbrechen. Doch wie es der Zufall wollte, war eben die Insel Kili frei geworden und der nächste Exodus konnte beginnen. Wir widmen dem Bikuni-Atoll bald noch einen Teil. Fortsetzung folgt.
Unterwegs im Nordpazifik
vs. Hanspeter Gsell (Sissach), Autor und «Volksstimme»- Kolumnist, hat es wieder getan: Zum fünften Mal ist er rund um die Welt geflogen. In loser Reihenfolge veröffentlichen wir seine zehnteilige Reportage «Unterwegs im Nordpazifik». Unser Tipp: Lesen Sie auch zwischen den Zeilen! Eine Sommerserie, nicht nur für Daheimgebliebene.
Bisher erschienen:
Teil 1 (19. Juni), Teil 2 (26. Juni),
Teil 3 (4. Juli), Teil 4 (8. Juli),
Teil 5 (15. Juli), Teil 6 (22. Juli)