Beim Necken übertreffen sich die Nachbarn
08.08.2025 SissachDas ist Sissach (31. Teil) | Sticheln und Zünden aus Zunzgen und Gelterkinden
Die Zusammenarbeit mit Sissach werde gepflegt, sagen Christine Mangold und Michael Kunz. Die langjährige Gelterkinder Gemeindepräsidentin und ihr damaliger Amtskollege aus Zunzgen ...
Das ist Sissach (31. Teil) | Sticheln und Zünden aus Zunzgen und Gelterkinden
Die Zusammenarbeit mit Sissach werde gepflegt, sagen Christine Mangold und Michael Kunz. Die langjährige Gelterkinder Gemeindepräsidentin und ihr damaliger Amtskollege aus Zunzgen können den einen oder anderen Seitenhieb in Richtung Bezirkshauptort trotzdem nicht lassen.
Jürg Gohl
«Gibt es etwas Grösseres als Sissach?» Diese Frage hat Journalist Philipp Loser kürzlich in seinem Jubiläumsbeitrag an dieser Stelle aufgeworfen. In seinem Befund diagnostizierte er «eine überhöhte Selbstwahrnehmung». Auch das Paar, das sich in Sissach zum Kaffee trifft, ist sich einig: Es findet keinen Grund, weshalb die beiden grossen Nachbarn auf Sissach eifersüchtig sein sollen.
Niemand kann das genauer beurteilen als sie. Christine Mangold gehörte 24 Jahre lang dem Gemeinderat von Gelterkinden an, den sie während 12 Jahren präsidierte. Michael Kunz war in Zunzgen für 10 Jahre Präsident und trat wie Mangold 2020 zurück. Beide loben die gute Zusammenarbeit mit dem Sissacher Gemeinderat und die regelmässigen Treffen, um sich mit der Führungsbehörde auszutauschen. Die Nummern eins, zwei und drei des Oberbaselbiets sehen sich auch in der Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass die ganze Region im Kanton nicht vergessen geht.
Bei dieser Gelegenheit liessen sich jeweils gemeinsame Probleme besprechen, die Zunzgen als Nachbar und Gelterkinden als zweite Oberbaselbieter Zentrumsgemeinde mit Sissach teilen. Das konnte bis zur letztlich nicht realisierten Idee einer gemeinsamen Sportanlage reichen, als Gelterkinden ein neues Hallenbad und Sissach beinahe zeitgleich eine neue Kunsteisbahn bauen musste. Das gute Einvernehmen konnte nicht einmal getrübt werden, nachdem ein ehemaliger Sissacher Gemeinderat die Zunzger Gemeindeverwaltung interimistisch geführt und dabei die Kasse um 100 000 Franken erleichtert hatte.
In Zunzgen, mit 2800 Einwohnern nach Sissach und Gelterkinden die Nummer drei im Bezirk, stand 2016 an einer «Gmäini» sogar einmal die Fusion mit Sissach zur Debatte, die ein Einwohner beantragt hatte. Voller Saal. Nachdem der Gemeinderat sein Nein begründet und die Diskussion eröffnet hatte, kam es zu keiner einzigen Wortmeldung, und die Journalisten fuhren mit leerem Notizblock heim. «Wer will denn schon mit Sissach fusionieren?», fragt Michael Kunz neun Jahre später und schmunzelt.
Ins sachliche Gespräch über gemeinsame politische Themen mischen sich immer mehr Seitenhiebe an die Adresse von Sissach. So stellt Kunz fest, dass in Sissach kein einziges Strassensignal den Weg nach Zunzgen weist, weil sonst wohl zu viele wegziehen würden. Seiner Kollegin am Tisch gesteht er, sie um den Chienbergtunnel zu beneiden, weil sie so unter Sissach durchfahren könne, während die Zunzger durchs Dorf fahren müssten … Das sei auch gut so, denn in Sissach verspüre kein Gelterkinder Durst oder Hunger, entgegnet Christine Mangold.
Verwundern können Aussagen wie diese nicht. Seit Generationen wird gestichelt. Zumindest bei Älteren sei tatsächlich eine «mentale Barriere» wahrnehmbar, sagt Mangold. Wenn diese einen Umzug in eine altersgerechte Wohnung erwägen, käme Sissach eher nicht infrage.
Fasnachtsspott
Einst waren die beiden Zentrumsgemeinden nicht nur durch eine eigene, 1891 gegründete Bahn verbunden, sondern sie waren sich auch von der Bevölkerungszahl her mehr oder weniger ebenbürtig. Dann aber setzte in Gelterkinden ein wirtschaftlicher Abwärtstrend ein, während Sissach zeitgleich ein spürbares Wachstum verzeichnete. Die Gewichte verschoben sich. Inzwischen legen in diesem Bereich Gelterkinden und Zunzgen zu, während die Nummer eins eher stagniert.
Sissach schlüpft in den beiden anderen Gemeinden vor allem in der Fasnachtszeit in die Rolle, welche die Zürcher in der fünften Jahreszeit in Basel einnehmen. Einziger Unterschied: Während die Sticheleien an der Limmat ignoriert bleiben, werden sie an der Ergolz in der gleichen Währung zurückbezahlt. Alleine der «Pfyffechopf», die berühmte Gelterkinder Schnitzelbank-Formation, brünzelt jedes Jahr einen Vers über Sissach, ebenso tat es einst die «Motte» aus Zunzgen. Not an Pointen besteht nie. Hinzu kommt, dass Frau alt Gemeindepräsidentin und Herr alt Gemeindepräsident damals nicht nur politisch, sondern auch fasnächtlich unterwegs waren. Sie wussten, dass der Sissacher Gemeindepräsident Peter Buser ohnehin Gegenrecht üben würde. Hinterher gratulierten sich alle drei zu ihren Würfen.
Gelterkinden und Zunzgen liefern nämlich nicht minder fleissig Stoff für Spott. So kam, um ein aktuelles Beispiel zu nehmen, in Gelterkinden am 1. August dieses Jahr keine offizielle Nationalfeier zustande; und in Zunzgen zucken bei diesem Stichwort ohnehin alle zusammen, seit dort 2010 Bundesrätin Micheline Calmy-Rey als Festrednerin erst zu- und dann entnervt abgesagt hat, weil man sich im Dorf vordergründig über zu hohe Sicherheitskosten stritt.
Solche Missgeschicke des Nachbarn werden weidlich ausgekostet, auch wenn sich die Situation wie beim undichten Dach der Kunsteisbahn bei genauer Betrachtung sehr verworren präsentiert. Die Anlage liegt nicht vollständig auf Sissacher Boden und der Eishockey-Club heisst EHC Zunzgen-Sissach. «Nicht umgekehrt», betont Michael Kunz, «die wussten bei der Fusion, wer wichtiger ist.»
Er kommt in Fahrt: «Hat unser Vorort zum Beispiel eine Burg?», fragt der Zunzger rhetorisch. Damit spielt er auf die Holzburg auf dem Büchel an, die vor zwei Jahren im Hinblick auf das 700-Jahre-Jubiläum errichtet wurde und prompt von Sissacher Nachtbuben mit dem Schriftzug «Sissach Süd» verunstaltet wurde. Damit nahmen sie Rache für die Unverfrorenheit von Zunzger Strolchen, die zuvor mit einem Transparent an der Sissacher Fluh für ihr Jubiläumsfest warben.
Das liefert Michael Kunz gleich das nächste Stich(el)wort: Zunzgen habe im Gegensatz zu Sissach wenigstens ein eigentliches Jubiläumsfest auf die Beine gestellt. Christine Mangold bemitleidet Sissach, weil die Gemeinde erst ihren 800. Geburtstag feiert. «Wir haben in Gelterkinden bereits das 900-Jahre-Jubiläum hinter uns. Und dieses Fest liegt 22 Jahre zurück.»
Im Herzen ist sie zwar weit mehr Oberbaselbieterin als Gelterkinderin, dennoch führt sie eine Reihe weiterer Vorzüge an: das bereits genannte Hallenbad, das «Marabu», das Orchester Gelterkinden und natürlich Baschi – sein Jubiläumskonzert zeigte deutlich, dass Gelterkinden feiern kann und die Gemeinschaft sehr wohl gepflegt wird.
«Und wir verfügen sogar über ein ‹Gälterchinderlied›, das wir bei jeder Gelegenheit singen und das uns heiliger ist als das ‹Baselbieterlied›», sagt Mangold und beginnt zu singen: «Es lyt es Dorf im Baselbiet, wyt oben im Kanton. Dört wo s my immer aanezieht, won i scho vill Johr wohn.» Bei jeder Gelegenheit? Also nicht am 1. August …
Sit 30 Johr sy mer uf dr Gass, mir singe, ryyme, dichte. Sit 30 Johr wette mir vo Sissech einisch nüt Schlächts brichte. Noch 30 Johr gits, mir gäbes zue, au z Sissech jetz es Plus: Sisch gääl und gschnäll und fahrt diräkt: Dr Gälterchinderbus.
«Pfyffechopf», 2014
Mir freuen ys, dr Trump isch geweehlt. Mir hei das jo gseh cho Ganz unter eus, wär hätt scho gärn s Hillary Clinton gnoo. Mir bruuche äin, wo Ornig macht, mir düen en unterstütze. Dä bout ys sicher au e Muur, um öis vor Sissech z schüze.
«D Motte», 2017
Die nächsten Jubiläumsanlässe
Laufend: Vergangenheit und Gegenwart im Dialog. Alte Gemälde und Zeichnungen hängen im Gemeindehaus aktuellen Fotografien des Theaterfotografen Ernst Rudin (70) gegenüber. Die Ausstellung kann zu den Schalteröffnungszeiten im Gemeindehaus besichtigt werden.
14. bis 29. August: «Hanny-Moolerei» – ein interaktives Projekt mit Musik (Deborah Regez) und Malerei (Heinke Torpus). Am «Schluuch» hinter dem «Cheesmeyer».
15. August: Lesung aus dem Buch «Der Landjäger». Der Autor Heiner Oberer liest Anekdoten und Geschichten aus dem Leben des ehemaligen Ortspolizisten Matthias Bitterlin. Im Jakobshof um 19 Uhr.