«Aussteigen, wenn es am besten läuft»
27.08.2024 AnwilMarcel Koenig gibt das Präsidialamt mit einem guten Gefühl ab
Zwölf Jahre lang gehörte Marcel Koenig dem «Ammeler» Gemeinderat an und stand die letzten fünf Jahre dem Dorf als Präsident vor. Er bestimmte die Geschicke als Mitglied einer ...
Marcel Koenig gibt das Präsidialamt mit einem guten Gefühl ab
Zwölf Jahre lang gehörte Marcel Koenig dem «Ammeler» Gemeinderat an und stand die letzten fünf Jahre dem Dorf als Präsident vor. Er bestimmte die Geschicke als Mitglied einer Kollegialbehörde mit und fühlte sich trotz seines Namens nie als Dorfkönig.
Otto Graf
Er heisst zwar Koenig. Aber als Dorfkönig hat sich Marcel Koenig, bis Mitte dieses Jahres Gemeindepräsident von Anwil, nie gefühlt, wie er gegenüber der «Volksstimme» versichert. Grundsätzlich, meint er, habe ihm der Name im beruflichen Alltag oder im Erstkontakt zu Menschen keine Nachteile beschert, ausser im Militär. Da sei er des Öfteren aus der Liste herausgepickt worden, wenn für einen Job «Freiwillige» gesucht wurden. «Im politischen Kontext», erzählt er, «wurde ich durch Wortspielereien der Presse oder politischer Kontrahenten immer wieder zum König gemacht.»
Koenig stammt keineswegs aus einer politischen Familie. Vor 18 Jahren liess er sich mit seiner Frau, beide Pendelnde, aus verkehrstechnischen Gründen in Anwil nieder. Seine Frau, eine Freiburgerin, wohnte in Basel; er, Berner, in Zürich. Sie fühlten sich im beschaulichen Bauerndorf sofort willkommen: «Wir wurden extrem freundlich aufgenommen. Das ist uns damals tief eingefahren. Wir haben uns eigentlich nie als Zuzüger gefühlt.»
Marcel Koenig bezeichnet seinen politischen Werdegang in «Ammel» als reinen Zufall. 2011 meldete er sich als Freiwilliger und half mit, für einen Anlass von «Kultur Ammel» Tischgarnituren aufzustellen. Dieses Engagement muss einen positiven Eindruck hinterlassen haben. Denn Koenig wurde Monate später angefragt, ob er sich vorstellen könnte, für einen frei werdenden Sitz im Gemeinderat zu kandidieren. Nach einem Monat Bedenkzeit liess er sich aufstellen und wurde in die Exekutive berufen. Dort war er alters- und dienstaltersmässig lange Zeit der Jüngste, was sich im Verlauf der Jahre änderte. Zunächst war er Vizepräsident und später wurde er in stiller Wahl zum Gemeindepräsidenten gewählt.
Grosse Veränderungen im Dorf hat er in seiner zwölfjährigen Amtszeit nicht erlebt. Aber, gibt er zu verstehen, auch in Anwil beanspruchten ein paar wenige Einwohnende relativ viele Ressourcen der Gemeinde, während andere praktisch keine benötigten. Im Umgang mit den Menschen, betont er, habe der Gemeinderat stets das direkte persönliche Gespräch gesucht, bevor man das «Schriftliche» ins Auge fasste. Namentlich in heiklen Angelegenheiten habe man mit diesem Vorgehen «Druck vom Kessel» nehmen können.
«Lehrreiche» Menschenkunde
Den Rückzug aus der Kommunalpolitik vergleicht der Ex-Präsident mit einem Segelflug: «Beim höchsten Punkt klinkt sich der Pilot vom Motorflieger aus. Genau das habe ich gemacht: Aussteigen, wenn es am besten läuft.» Er habe das Amt sehr gerne ausgeführt. «Es war eine tolle Zeit und ich werde mich gerne an viel Gutes erinnern. Es war auch eine anspruchsvolle Phase, die mich nachhaltig geprägt hat.» Koenig durfte lernen, wie Menschen miteinander funktionieren oder eben auch nicht funktionieren. «Ich durfte auch lernen, was ein offener Dialog und der Einbezug von Anspruchsgruppen bedeuten. Für mich war es ein lehrreiches Kapitel in Menschenkunde.»
Den Amtsantritt als Präsident habe er nicht mit Erwartungen verknüpft, erinnert sich Koenig und fährt fort: «Ich liess es auf mich zukommen. Für mich war von Anfang an klar, dass ich Eiscreme verkaufen müsste, wenn ich beliebt sein möchte. Ich definierte mein Wirken über das, was man leistet, und nicht über das, was andere von einem denken. Die Erwartung an mich selber war, dass ich die Situation inmitten verschiedener Anspruchsgruppen zusammen mit dem Gemeinderatsgremium richtig einschätzen und dann auch die richtigen Entscheidungen fällen oder Positionen einnehmen konnte.»
Als positiv empfindet Koenig den «extrem guten Rückhalt» in der Bevölkerung. Es war ihm wichtig, für alle da zu sein. Er habe sich immer selber ein Bild von einer Situation gemacht und sich nicht durch Halbwahrheiten oder verzerrte Storys beeinflussen lassen.
Enttäuschungen habe er im Amt nur wenige erlebt. Hin und wieder sei es vorgekommen, dass sich ein gemeinsam erarbeitetes Projekt in der Praxis nicht wie geplant umsetzen liess. Im Gemeinderat, stellt er rückblickend fest, habe man stets gut zusammengearbeitet. Klar sei man sich nicht immer einig gewesen. Aber man habe die Dinge ausdiskutiert. Schliesslich sei der Gemeinderat eine Kollegialbehörde und jedes Mitglied habe sich hinter die Entscheide zu stellen. So sei nie ein Stichentscheid nötig gewesen.
Koenig kündigte seinen Rücktritt ein halbes Jahr vor den Erneuerungswahlen an und spricht sowohl von einem Bauch- als auch von einem Kopfentscheid: «Vom Bauch her fühlte ich, dass ich immer mehr machen müsste, um den Output, die sichtbaren Resultate, aufrechtzuerhalten. Vom Kopf her waren der zunehmende terminliche Stress und meine berufliche Reisetätigkeit mit dem Amt kaum noch vereinbar.»
Kooperation statt Fusion
Auf die Frage nach den wichtigsten Projekten und Entscheidungen in seiner Präsidialzeit nennt der Ex-Präsident unter anderem die Digitalisierung der Gemeindeverwaltung. Dazu Koenig: «Heute kann der Gemeinderat die Akten auf dem Tablet zu Hause bei Kaffee und Gipfeli studieren.» Dank Tablets konnte in Anwil der Schulunterricht während des coronabedingten Lockdowns zu Hause stattfinden. Er listet ausserdem die eigene schul- und familienergänzende Kinderbetreuung mit Mittagstisch, den Quartierplan mit dem «Projekt Eichmet», das 2 Millionen Franken schwere Wasserversorgungsprojekt sowie die Sanierung der Gemeindefinanzen auf.
Grosse Bedeutung misst der Zurückgetretene der Kooperation über die Gemeindegrenzen hinaus bei. Neben den üblichen Funktionsverbünden wie Feuerwehr, Zivilschutz und Forstwesen, arbeitet Anwil in der Wasserversorgung mit Kienberg und Oltingen zusammen. Im Bereich der Schule praktiziert das Dorf einen Schüleraustausch in den Fächern Französisch und Englisch mit Kienberg.
Er nimmt das Dorf als sehr familiär aufgestellt wahr. In der Bevölkerung stellt er einen guten Zusammenhalt fest und meint: «Wenn man dabei sein will, ist man sehr rasch integriert. Wenn man für sich sein will, wird das voll akzeptiert.» Gerade bei Dorfanlässen beobachte er häufig, dass sonst eher zurückhaltende Leute nett empfangen werden. Man begegne sich grundsätzlich nahbar und offen. Wenn sich ein Teil des Volkes von den Annehmlichkeiten der öffentlichen Hand gerne bedienen lässt, aber wenig Lust zeigt, etwas aktiv an diese Errungenschaften beizutragen, sei die Politik daran schuld, so Koenig. Der Staat wolle ja «für alles und für jedermann eine schlüsselfertige Lösung».
Das Zusammenlegen von Gemeindeverwaltungen und die Fusion von Gemeinden wurden auch in Anwil ernsthaft diskutiert. Ökonomische Vorteile seien kaum zu erwarten, meint Koenig. Aber im Informatikbereich oder in der Personaladministration könnten Synergien genutzt werden. «Damit das Dorf attraktiv bleibt und nicht zu einem Schlafdorf verkommt, braucht es Einrichtungen wie Gemeindekanzlei, Schule, Kindergarten, Kinderbetreuung im Dorf», hebt er hervor. Die bereits beschlossene Vereinigung von drei Kirchgemeinden basiere auf einer «Defensiv-Strategie», um die Kräfte für eine neue Mobilisierung dieser eigentlich wichtigen Einrichtung zu schaffen. Sie liege auf einer anderen Ebene als eine Fusion aus politischer Sicht.
Trotz der Einschränkungen vermag er Corona auch Positives abzugewinnen: «Für Anwil war die Pandemie eine sehr interessante Erfahrung. Wir konnten die Nachbarschaftshilfe etablieren. Ich kenne niemanden im Dorf, der während der Pandemie wirklich gelitten hat. Wir konnten über die Gemeinde-App informieren und haben mit dem Frauenverein zusammen insbesondere für ältere Menschen ein Angebot erstellt. Ich empfand diese Phase als eine im Nachhinein sehr vereinende Zeit.»
Langweilig wird es dem Zurückgetretenen nicht. Denn Koenig hat vor zehn Jahren das Unternehmen Ancoma gegründet, das unter anderem Firmen beratend unterstützt. Im Fokus steht für ihn die Weiterentwicklung seines Beratungsunternehmens, das sich unter anderem mit der Lösung komplexer Kundenprojekte befasst. Schliesslich bleibt ihm nun auch mehr Zeit für seine Familie.
MARCEL KOENIG
og. Marcel Koenig, geboren 1971 und Bürger von Wiggiswil (BE), wurde 2012 in den Gemeinderat und 2019 zum Gemeindepräsidenten von Anwil gewählt. Er ist von Beruf Beratungsunternehmer mit eigener Firma. Er ist verheiratet. Die Familie hat zwei Kinder. Nach wie vor ist er Mitglied der Werkhof-Kommission («Projekt Eichmet»).
«Damit der Individualverkehr zum Auslaufmodell wird»
Herr Koenig, was war das persönliche Highlight in Ihrer Amtszeit?
Marcel Koenig: Dass der Regierungsrat in seiner letzten Sitzung des Jahres 2023 die Zonenplan-Mutation von Anwil genehmig hat und dass folglich das «Projekt Eichmet» umgesetzt werden kann.
Welches Ziel haben Sie nicht erreicht?
Dass es immer noch Menschen gibt, die in nachbarschaftlichen Streitigkeiten nicht selber zurechtkommen.
Welche Vision schwebt Ihnen noch vor?
Dass der Individualverkehr zum Auslaufmodell wird und sich die Menschen ökonomisch sinnvoll dank Digitalisierung in Fahrgemeinschaften organisieren können.
Welchen Rat haben Sie Ihrem Nachfolger mit auf den Weg gegeben?
Es gab eine geordnete Dossier-Übergabe, die zum Teil noch andauert.
Wie wird sich Anwil bis ins Jahr 2050 verändert haben?
Es gibt nur noch Häuser mit natürlichen und nachhaltigen Baustoffen. Die Grünflächen haben sich verdoppelt. Rasenmähen ist verpönt. Jeder Garten hat seinen Bienenstock und viele sind Selbstversorger aus dem eigenen Garten.