Ausbau statt Abbau
23.10.2025 BretzwilEinwohner wehren sich gegen ÖV-Pläne und lancieren eine Petition
Seit Jahren sorgt das Thema öffentlicher Verkehr in Bretzwil für Diskussionen. Immer wieder kam es zu Änderungen auf der Buslinie nach Reigoldswil – nun soll die Linie 74 für die ...
Einwohner wehren sich gegen ÖV-Pläne und lancieren eine Petition
Seit Jahren sorgt das Thema öffentlicher Verkehr in Bretzwil für Diskussionen. Immer wieder kam es zu Änderungen auf der Buslinie nach Reigoldswil – nun soll die Linie 74 für die Bevölkerung ganz eingestellt und künftig nur noch als Schulbus geführt werden.
Tobia Benaglio
Wie jedes Jahr tritt Mitte Dezember der neue Fahrplan der BLT in Kraft. Dieses Mal bringt er für die Bretzwilerinnen und Bretzwiler markante Änderungen.
Das Dorf ist derzeit über zwei Linien erschlossen: die Linie 111 (Liestal–Bretzwil–Laufen) und die Linie 74 (Bretzwil–Reigoldswil). Wer häufig nach Laufen oder Liestal pendelt, darf sich freuen – der «111er» fährt ab Fahrplanwechsel neu im Halbstundentakt statt nur stündlich, die Betriebszeiten werden abends verlängert, und an den Wochenenden kommen zusätzliche Nachtverbindungen dazu.
Ganz anders sieht es bei der Linie 74 aus. Seit Jahren sorgt die Verbindung für Gesprächsstoff im Dorf. Nachdem 2019 die Buslinie 91 (Bretzwil–Lauwil–Reigoldswil) gestrichen wurde, übernahmen vorübergehend die Linien 70 und 71 zu Schulzeiten den Transport zwischen Reigoldswil und Bretzwil – als Verlängerung der Kurse aus Liestal. Das Angebot stand zwar allen offen, doch abends und am Wochenende fuhr kein Bus mehr nach Reigoldswil. Ende 2023 wurde daraus eine eigenständige Linie 74, die seither nur zu Schulzeiten verkehrt. Nun soll sie ganz verschwinden. Der Kanton bestätigt, dass die Linie den gesetzlich geforderten Kostendeckungsgrad von 20 Prozent verfehlt hat – und damit nicht weitergeführt werden darf.
Nur noch Schüler willkommen
Die kantonale Lösung sieht ein reines Schulbusangebot für die Sekundarschüler in Reigoldswil vor. Zahlreiche Bretzwilerinnen und Bretzwiler kritisieren das: Viele seien auf die Verbindung angewiesen, da sich in Reigoldswil Arzt- und Zahnarztpraxen, ein Altersheim, diverse Einkaufsmöglichkeiten sowie Cafés befinden. Wer kein Auto oder andere Fahrzeuge besitzt, muss künftig entweder zu Fuss über den Hügel rund 50 Minuten ins Nachbardorf gehen oder den Umweg über Liestal in Kauf nehmen – eine ÖV-Reise von gut einer Stunde Dauer.
Die Gemeinde Bretzwil habe sich für den Erhalt eingesetzt, erklärt Gemeindeverwalter Rolf Schweizer. Die Entscheidung liege aber beim Landrat. Gemeinsam mit dem Kanton und der Sekundarschule werde derzeit die Umsetzung des Schulbusangebots geklärt. Als Übergangslösung organisiert die Gemeinde bereits jetzt einen Fahrdienst für Einwohner ohne Auto, betrieben von Freiwilligen. Fahrten müssen 48 Stunden im Voraus telefonisch bestellt werden; der Preis beträgt 75 Rappen pro Kilometer, also rund 6 Franken nach Reigoldswil und zurück, plus allfällige Wartekosten und ein Jahresbeitrag von 10 Franken für den administrativen Aufwand. Der Kanton beteiligt sich an den Kosten.
Betroffene geben nicht auf
Ganz zufrieden ist die Bevölkerung mit dieser Lösung aber nicht. Seit gestern sammeln die Bretzwiler André Frauchiger, Barbara Bulloni, Hanni Huber und Rolf Sternizke Unterschriften, um die Streichung der Linie 74 doch noch zu verhindern. In ihrem Petitionstext an den Regierungs- und Landrat sprechen sie von einer «unhaltbaren Situation für Einwohnerinnen und Einwohner».
Neben den fehlenden Arztpraxen und Einkaufsmöglichkeiten in Bretzwil wird auch das Wegfallen der Umsteigemöglichkeit auf die Buslinie 70 kritisiert, die weiter Richtung Ziefen und Bubendorf führt. Ohne Verbindung nach Reigoldswil sei diese Verbindung für Bretzwiler ebenfalls verloren. Betroffen seien alle Generationen: Ältere Menschen ebenso wie Jugendliche, die neben der Sekundarschule auch Vereine in Reigoldswil besuchen. Der Umweg mit der Linie 111 sei gerade für ältere Personen schlicht nicht zumutbar.
Als Ursache für die geringe Auslastung der Linie 74 nennen die Petenten die unattraktiven Fahrzeiten. Momentan verkehren acht Kurse pro Tag – ausschliesslich zu Schulzeiten, also genau dann, wenn viele andere Bretzwiler gar nicht unterwegs sind. Statt einer Streichung verlangen die Unterzeichnenden deshalb eine Verbesserung der Linie 74 für die gesamte Bevölkerung. Sie sind überzeugt, dass mit einem ausgebauten Angebot auch die Nachfrage steigen würde – wie sich etwa an der erfolgreichen Waldenburgerbahn oder der Buslinie 70 nach Reigoldswil zeige. Ein besserer öV, so argumentieren sie, nütze nicht nur der Umwelt, sondern auch der Wirtschaft, dem Tourismus und der allgemeinen Attraktivität der betroffenen Dörfer.
Als Alternative schlagen sie vor, die Linie 71 (Liestal–Lauwil) bis nach Bretzwil zu verlängern – allerdings nur, wenn gleichzeitig das Fahrplanangebot verdichtet wird. Mit den derzeit lediglich sieben Fahrten pro Tag sei die Linie zu wenig attraktiv.
Bei der Finanzierung sehen die Bretzwilerinnen und Bretzwiler auch den Stadtkanton in der Pflicht. Basel-Stadt verfüge über einen Mobilitätsfonds, der laut den Petenten eine umweltfreundliche Mobilität nicht nur im eigenen Kantonsgebiet, sondern auch in den umliegenden Regionen fördere – und somit auch im Oberbaselbiet. Ein solcher Beitrag wäre nicht nur für die Linie 74 denkbar, sondern auch für die Linie 116 (Seewen–Grellingen), deren Streichung ebenfalls bevorsteht. Auch diese wurde bisher von einigen Bretzwilerinnen und Bretzwilern genutzt, um von Grellingen aus per Zug nach Basel zu gelangen. Ein entsprechendes Gesuch müsste jedoch gemeinsam mit dem Kanton Solothurn gestellt werden.
Eine im Petitionstext nicht erwähnte, aber mögliche Option wäre zudem die Umwandlung der Linie 74 in ein sogenanntes Rufbus-System – wie es im Kanton andernorts getestet wird. Auch die Linien 92 (Liedertswil–Bennwil–Hölstein) und 93 (Lampenberg–Ramlinsburg–Lausen) verfehlen den geforderten Kostendeckungsgrad von 20 Prozent. Die beiden Linien werden ab Dezember auf das Rufbus-System umgestellt, das dort dieses Jahr an den Wochenenden bereits getestet wurde. In den betroffenen Gemeinden regt sich jedoch ebenfalls Widerstand (die «Volksstimme» berichtete).
Das Ziel der Unterzeichnenden in Bretzwil ist es, die Petition gegen Ende Oktober beim Kanton einzureichen. Danach wird gehofft, dass der Landrat noch vor der Vernehmlassung des Fahrplans Mitte November eine Lösung findet.

