«Ankeschnittli» und «Summervögel»
30.11.2023 PolitikZugegeben, der Begriff «Biodiversität» ist etwas sperrig. Ich selbst habe manchmal Mühe, die sechs Silben korrekt auszusprechen. Biodiversität beschreibt den lebendigen Teil der Natur beziehungsweise die biologische Vielfalt an Genen, Arten und ...
Zugegeben, der Begriff «Biodiversität» ist etwas sperrig. Ich selbst habe manchmal Mühe, die sechs Silben korrekt auszusprechen. Biodiversität beschreibt den lebendigen Teil der Natur beziehungsweise die biologische Vielfalt an Genen, Arten und Ökosystemen.
Warum erzähle ich Ihnen das? Die Biodiversität ist unter Druck. Nur scheint das niemanden so richtig zu interessieren, auch wenn es an Lippenbekenntnissen nicht mangelt. Aus diesem Grund wurde die Biodiversitätsinitiative lanciert.
Die Initiative möchte einen stärkeren Schutz der Natur in der Bundesverfassung verankern und fordert für den Schutz der Biodiversität mehr Flächen und finanzielle Mittel. Derzeit sterben weltweit Arten mit einer Geschwindigkeit aus, wie es seit dem letzten grossen Massensterben und dem Verschwinden der Dinosaurier nicht mehr der Fall war. Die Forderungen der Initiative scheinen deshalb plausibel zu sein. Aber haben sie eine Chance?
Der Ständerat war leider nicht einmal bereit, auf einen Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative einzutreten. Aber nicht nur in Bundesbern weht der Initiative und ihren Forderungen ein rauer Wind entgegen. Viele Menschen anerkennen zwar, dass die Förderung der Biodiversität eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe ist, aber paradoxerweise wird häufig behauptet, wir könnten uns dies nicht leisten.
Ein Beispiel dafür ist das Narrativ von der vermeintlichen Unvereinbarkeit von Lebensmittelproduktion und Biodiversitätsförderung. Eine Bäuerin formulierte es letzthin in einem Leserbrief in dieser Zeitung im Zusammenhang mit der Pflicht, ab 2024 für den Erhalt von Direktzahlungen auf 3,5 Prozent der Ackerfläche Biodiversitätsförderflächen einrichten zu müssen, so: «Vielleicht muss ich damit leben, dass mein ‹Ankeschnittli› Luxus wird, aber ich kann ja dann die Schmetterlinge, Spinnen und Königskerzen essen, die auf unserer Rotationsbrache gedeihen.»
Warum um Himmels willen spielen wir Lebensmittelproduktion ausgerechnet gegen Biodiversität aus? Warum sind wir nicht gegen den geplanten Autobahnausbau für über 5 Milliarden Franken, der viel wertvolles Kulturland nicht nur temporär, sondern praktisch unwiederbringlich zerstören wird? Oder warum nicht gegen «Food Waste», dem in der Schweiz jährlich etwa 3 Millionen Tonnen Lebensmittel zum Opfer fallen, was etwa einem Kilo- gramm weggeworfenen Lebensmitteln pro Einwohner und Tag entspricht?
Unsere Natur sollte uns mehr wert sein als die Zupflästerung der Landschaft oder der verschwenderische Umgang mit Lebensmitteln. Nach Erlebnissen wie zum Beispiel dem Besuch der Delegiertenversammlung von IP-Suisse und angeregten Gesprächen mit den anwesenden Landwirtinnen und Landwirten bin ich zuversichtlicher als auch schon, dass ein Mitstatt ein Gegeneinander von «Ankeschnittli» und «Summervögel» möglich wird. Aber wir müssen bereit sein, den Landwirtinnen und Landwirten für naturnah produzierte Lebensmittel einen fairen Preis zu bezahlen – und uns womöglich in anderen Bereichen etwas einzuschränken.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.